Suche nach dem Greif
Während sich Zyklopus in die Höhle des Löwen, oder vielmehr in die Höhle des Xandrax begab, suchten die Geschwister und ihre Begleiter, in der Nähe des Kraters, einen geeigneten Ort, um die kommende Nacht zu verbringen. Als es eindunkelte machten sie sich langsam etwas Sorgen um Zyklopus. Hoffentlich war alles gut gegangen.
Darum waren sie sehr erleichtert, als sich der Riese kurz nach Sonnenuntergang wieder zu ihnen gesellte.
Sofort bestürmten die Wartenden ihn mit Fragen. „Wie ist es gelaufen?“ wollte Benjamin aufgeregt wissen.
„Ganz gut,“ erwiderte der Riese mit einem schiefen Grinsen. „Ich gehöre schon beinahe zur Familie.“
„Konntest du Näheres über Xandrax uns seinen Priester in Erfahrung bringen?“
„Einige Dinge schon. Wenn ihr mir ein Stück eures lecker aussehenden Bratens überlasst, werde ich euch alles im Detail erzählen.“
Tatsächlich brutzelte über dem Feuer ein saftiger Schweinebraten, den Malek aus seiner Speisekammer herbeigezaubert hatte. Dieser war jetzt gut durchgebraten und sah wirklich lecker aus. Sofort schnitt Sturmius mit seinem Dolch ein grosses Stück selbigen ab und reichte es dem Riesen. Dieser biss herzhaft hinein und verdrehte dann wohlig seufzend die Augen. „Das ist wirklich sehr gut. Wer hat das gekocht?“
„Das war ich,“ erwiderte Malek bescheiden.
„Ganz vorzüglich, wirklich ganz vorzüglich! Bei dem vielen Met, den ich zurzeit intus habe, tut es richtig gut, so eine herzhafte Mahlzeit zu mir zu nehmen.“
„Du hast so viel Met getrunken?“ fragte Pia neugierig.
„Ja. Dieser Xandrax- Priester hat, nach dieser seltsamen Messe, eine ganze Menge Met an uns alle ausgeschenkt. Kein Wunder hat er so viele Anhänger unter meinem Volk.“ Er lachte laut und etwas bitter auf. „Der Priester weiss genau, wie er die Riesen für sich gewinnen kann. Wenn ich nicht fest in meinem Glauben wäre, hätte er vermutlich auch mich bereits für sich gewonnen.“
„Wirklich?“ fragte Pia erschrocken.
„Ja. Aber wie gesagt, ich bin fest in meinem Glauben an den gütigen, mächtigen Schöpfer, der keinerlei Unterschied zwischen den verschiedenen Völkern des Omniversums macht. Von daher empfand ich das, was dieser Xandrax- Priester will, von Anbeginn, als überaus unethisch! Er will wirklich das ganze Zwergenvolk vernichten. Aber ich erzähle euch alles von vorn!“
Nachdem Zyklopus seine Erzählungen beendet hatte, waren besonders die Zwerge, erneut kreidebleich geworden. „Bei allen guten Geistern!“ flüsterte Sebius. „Das alles klingt ja entsetzlich! Wir müssen umgehend all unsere Mitbrüder warnen! Sie sollen sich gut versteckt halten und genug Vorräte und andere lebenswichtige Dinge einlagern, bevor all diese Riesen über uns herfallen!“ Er wandte sich an Sturmius. „Am besten teilen wir uns auf! Kehr du zurück ins Dorf und sende sofort Kundschafter oder Brief- Eulen, zu allen Klans, damit sie gewarnt sind. Ich werde mich mit Pia und den anderen umgehend auf die Suche nach diesem geheimnisvollen Greif machen, um ihn um Hilfe zu bitten. Dabei werde ich noch einen kurzen Abstecher zum Geburtshügel machen. Vielleicht weiss ja die Erdmutter ihrerseits einen Rat. Der Gedanke, dass dieser Xandrax- Priester sie als Feindbild für das Riesenvolk darstellt, ist unfassbar! Beim grossen Geist! Was ist bloss aus unserer Welt geworden?“ Er wirkte tief bekümmert und Zyklopus klopfte ihm mit seiner riesigen Pranke mitfühlend auf den Rücken, so das der zwergische Seher richtiggehend in sich zusammensackte. „Tut mir echt leid!“ meinte der Riese zerknirscht. „Das alles ist wahrhaft schrecklich! Wir müssen unbedingt etwas gegen diesen Kult unternehmen! Ich werde mich weiterhin unter dessen Anhänger mischen, um noch mehr herauszufinden. Noch ist nicht ganz klar, wer dieser Xandrax wirklich ist. Vielleicht ist er auch einfach nur ein Hirngespinst. Aber zweifelsohne ein sehr gefährliches Hirngespinst.“
„Ich glaube irgendwie nicht, dass er nur ein Hirngespinst ist,“ gab Benjamin zu bedenken. „Vielleicht ist er ja auch ein Dämon oder eben… einer der Ritter. Vielleicht ist ja auch der Priester selbst, einer der Ritter. Das wäre gut möglich, wenn man bedenkt, wie manipulativ er sich verhält. Jedenfalls sollten wir ihn und auch seinen Gott, nicht unterschätzen. Deshalb ist es sicher gut, wenn du noch etwas weiter spionierst Zyklopus. Finde alles über die beiden heraus, was möglich ist!“
Der Riese nickte zustimmen. „Ja, das werde ich tun!“
„Und lass dir dein Gehirn nicht zu sehr von irgendwelchen Met- Gelagen aufweichen,“ fügte Pia schmunzelnd hinzu.
„Oh nein! Eine Weile werde ich wohl keinen Met mehr anrühren können,“ stöhnte Zyklopus. „Vor allem seit ich erfahren habe, dass er das Lieblingsgetränk dieses verderblichen Gottes Xandrax sein soll.“
„Diese Met- Geschichte ist ja auch echt der Brüller!“ rief Benjamin lachend. „So ein Schwachsinn! Jeder mit etwas Verstand, müsste das doch sogleich durchschauen!“ „Ausser es handelt sich dabei um jemanden, dem diese Geschichte, in die eigenen Karten spielt,“ sprach Malek ernst. „Beim grössten Teil des Riesenvolkes, scheint das tatsächlich der Fall zu sein und darum sind sie so fanatische Anhänger dieses zwergen- feindlichen Kultes. Der Gedanke, das einzige auserwählte Volk zu sein, schmeichelt ihrem Ego und zudem liefert die Lehre des Xandrax, ihnen auch noch einen guten Grund, die Zwerge, die ihnen vermutlich sowieso schon länger ein Dorn im Auge sind, zu verfolgen…“
„Dabei haben wir, die letzten Jahre, doch so viele positive Verhandlungen mit ihnen geführt,“ meinte Sturmius verbittert. „Wir dachten wirklich, wir hätten einen guten Weg für uns alle gefunden. Ich meine…, wir haben doch auch das Recht hier ordentlich zu leben. Schliesslich leben wir schon seit viel längerer Zeit an diesem Ort, als die Riesen. Eigentlich sind die Riesen die Einwanderer.“
„Ich weiss,“ stimmte ihm Zyklopus zu. „Aber so wie es aussieht, hat dieser Xandrax- Priester meinem Volk den Floh ins Ohr gesetzt, dass sie Anspruch auf mehr als die bisherigen 40% des Landes haben.“
„Aber…, das würde keinen Sinn ergeben! Riesen hat es hier viel weniger als Zwerge und für ihre geringe Anzahl, haben sie doch wirklich genug bekommen. Sie können damit prima leben.“
„Die Riesen sehen das aber scheinbar etwas anders,“ erwiderte Ben nachdenklich. „Vielleicht können wir sie aber wieder zur Vernunft bringen, wenn wir erst einmal diesen Xandrax- Kult zerschlagen haben.“
„Das hoffen wir natürlich sehr,“ erwiderte Sturmius, jedoch wenig überzeugt. „Jedenfalls werde ich gleich Morgen, bei Tagesanbruch zurück in unser Dorf reisen und von dort aus die Brüder der anderen Klans warnen. Ich hoffe, sie nehmen unseren Appell auch ernst.“ „Das müssen sie!“ rief Sebius. „Sonst… geschehen hier bald furchtbare Dinge! Wir sollten uns deshalb jetzt wirklich aufs Ohr legen, damit wir Morgen wieder bei Kräften sind.“