Alle hier auftauchenden Namen sind fiktiv und doch real. Klingt seltsam, ist es aber nicht, denn sie wurden durch real existierende Namen aus dem entsprechenden Kulturkreis ersetzt.
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„Wenn sie mir nur das Papier bringen, auf dem steht, von wann bis wann sie den Kinderzuschlag bekommen, kann ich alle Ihre Anträge bewilligen, Frau Bula-Bula-N'gangula“, ich lächele echt und breit, „das ist kein Hexenwerk.“
Zuerst sieht sich mich erschreckt an, dann lächelt sie offen zurück. Im schummerigen Licht des Behördenflures leuchten ihre Zähne so hell in ihrem dunklen Gesicht, wie ihre ihre gelb-orangefarbenen Kleider. Es ist so hübsch, was sie trägt. Unbeschreiblich schön auch die dazugehörige Kopfbedeckung. Zögerlich war ihr Lächeln zuerst, weil sie durchaus einen Bezug haben, zum hexen. Einen, der Furcht auslöst. Dort im Kongo, woher sie kommt.
Auf deren Pässen „Demokratische Republik Kongo“ steht, worüber ich insgeheim zynisch lache, weil das ein Widerspruch an sich ist: Demokratie und Kongo. Aber na ja....
Und so waren es zufällig die richtigen Worte, die ich gewählt hatte, denn noch am selben Tag bringt sie das Papier herbei, das ich so lange schriftlich gefordert und dann angemahnt hatte.
Ab da fluppt alles, was ihre Anträge für ihre Familie betrifft.
„Es ist verhext“, Jenny, meine junge Kollegin, lehnt sich in meinen Besucherstuhl zurück, „dass du nie Probleme hast, mit unseren fremdländischen Antragstellern.“
„Ach, ein paar Probleme habe ich auch. Besonders, wenn sie schlecht deutsch sprechen.“
Das Telefon läutet, ich nehme ab und verstehe von dem folgenden Sermon kein einziges Wort, abgesehen vom Namen vielleicht, aber das hilft mir nur bedingt weiter.
Im Hintergrund rauscht der Autoverkehr so dahin, ich höre selbst den Motor des Fahrzeuges, in dem der Telefonierende sitzt, aber beides ist nicht das Problem.
„Ich versteh Sie nicht, Herr al-Dris, sorry.“
„Ist Auto.“
Ist Sprache, denke ich. „Vielleicht hilft es, wenn sie herkommen?“
„Ich fahre Parkplatz.“
Das nützt überhaupt nichts.
„Ich fände es besser, wenn sie herkommen und jemanden mitbringen, der Deutsch kann.“
„Ist Auto. Fahre Parkplatz.“
Nein, das nützt gar nichts....
„In solchen Fällen machst du nichts, Jenny. Aber in allen anderen Fällen gibt es einen Trick, mit jedem Antragsteller bestens zurechtzukommen. Das ist kein Hexenwerk und gilt auch für jede andere Situation im Leben.“
Erwartungsvolle dunkle Augen leuchten mir aus ihrem Gesicht entgegen. „Der wäre.“
„Namen. Du musst dir nur die Namen merken. Und wenn sie Müller heißen. Merk‘ dir die Namen.“
Wir rauschen alle gen Hauptausgang, um eine zu rauchen, was die ganze Abteilung menschenleer zurücklässt, da selbst die Nichtraucher mitkommen. In Ermangelung eines kompetenten Vorgesetzten finden alle Dienstbesprechungen bei Zigaretten vor der Tür statt. Kann man nichts machen, ist aber so und würde ich, im Falle einer Beschwerde über unsere Abwesenheit, auch so vor der Amtsleitung formulieren.
Ich habe schon ganz andere Sachen formuliert, was das einzige Privileg einer Beamtin mit schwerem Dienstunfall ist. Ich gehe trotzdem arbeiten. Was sollen sie schon machen, wenn ich meckere?
Mich in vorzeitige Pension schicken?
Da gehöre ich seit sechszehn Jahren hin.
Unten strömen Unmengen von Menschen ins Gebäude, die meisten zur Zulassungsstelle, aber unter all den Leuten erkenne ich ein Gesicht. Das Gesicht eines Mannes, von dem ich noch eine Unterlage brauche. Ich bremse ab. Meine Kollegen bleiben mit mir stehen. „Möchten sie zu mir, Herr Santurulingam Kanapitapillei?“
Meine Kollegen glotzen entgeistert, er strahlt mich an. „Nein, Zulassungsstelle.“
„Ah, gut, aber denken Sie daran, dass ich noch was von Ihnen brauche."
Er nickt. "Ich bringe es morgen."
"Dann einen schönen Tag noch.“
Wir rauschen raus.
Als wir zurückkommen, steht eine hagere Frau vor der Tür. Ihr Gesicht verkniffen, vom Warten, glättet sich, als ich den Schlüssel zum Büro zücke. „Frau Simons“, ich schließe auf, „Tut mir leid, dass sie warten mussten.“
Das Eis ist gebrochen.
Ich gebe zu, die meisten Schwierigkeiten damit zu haben, mir die deutsch klingenden Namen zu merken. Die kongolesischen sind... nun ja, ich mag sie, die kongolesischen Namen.
Nach dem Grillen, mit einem Glas kühlem Weißwein in der Hand, blinzele ich meinen Mann an. „Ich kann es nicht erklären. Ich finde die kongolesischen Namen total witzig, ohne es böse zu meinen. All die Kinder. Sie haben französischen Vornamen, heißen mit Nachnamen Bula-Bula-N’gangula. Jenny muss jedes Mal lachen, wenn sie in Vertretung deren Akten bearbeitet.“
„Sie finden unsere Namen auch lustig“, er leert sein Kölsch und grinst breit, als der DPD-Wagen in unsere Straße fährt. Der Zaun ist zwischen ihm und uns, sodass wir den Lieferdienst eigentlich nur an der aus dem Wagen dröhnenden Musik erkennen. Jeder Fahrer hat andere Vorlieben, und wir bestellen viel, wegen des Nebengewerbes des Göttergattens, der jetzt sagt: „Mach du auf. Kannst es ja ausprobieren.“
Und es klingelt auch schon.
„Moment!“, rufe ich vorsichtshalber, da Paketboten nicht mit Geduld gesegnet sind.
Als ich die Tür aufreiße, streckt mir ein tiefdunkler Mensch ein Paket entgegen.
„Bist du Altenbach“, lacht er sich krumm.
„Äh, ja?“
„Altenbach“, er hört nicht zu lachen auf. „Alt und Bach.“
„Ganz genau“, ich neige mit amüsiert blitzenden Augen den Kopf, „Alt und Bach. Und wie ist Ihr Name?“
„Elikia-Bombo.“ Die Lachtränen schwimmen noch in seinen Augen.
„Hoffnung, aber Bombo kann ich nicht übersetzen.“
Sein Ausdruck wird einen Moment ernst. „Ich wollte Sie nicht auslachen“, entschuldigt er sich.
„Ich fühle mich auch nicht ausgelacht. Ich finde ihre Namen ja genauso witzig.“
Wir zwinkern uns zu.
Seither winkt er mir energetisch, egal, wo wir uns entgegenkommen.
Er mit seinem DPD-Wagen und ich mit meinem Cabrio.
Ich freue mich, wenn wir uns treffen. Ich freue mich schon, wenn ich seinen DPD-Wagen aus der Ferne heran brausen sehe.
Mit Menschen auszukommen, ist kein Hexenwerk.