(1. März 21:29 Uhr bis 22: 15 Uhr)
Am Ende des Winters blühen die Tulpen.
Meine Lieblingsblumen. Ein Versprechen von Farbe und Licht, die Verheißung von Wärme auf dem Esstisch positioniert.
Am Ende des Winters kauften wir einen Hänge-Sessel für die Terrasse und platzierten ihn so, dass die erste Sonne genau darein scheint.
Natürlich war das Wetter miserabel genug, um das Teil nicht wirklich einweihen zu können. Aber als Zeichen der Hoffnung lag das Polster zwei Tage im Wohnzimmer auf dem Boden. Drei Katzen prügelten sich zwei Tage lang um die Matratze, bis sie das Interesse verloren.
Am Ende des Winters schrubbe ich mein Cabrio von innen und außen, obwohl ich es auch über den Winter fahre. Aber die Vorfreude lässt mich, eingemummelt in eine dicke Jacke, bei aufgedrehter Heizung, mit offenem Verdeck fahren. Auch, um Tulpen zu holen.
Am Ende des Winters ist die Freude auf den Anfang des Sommers so groß, das nichts sie trüben kann. Das heißt schon was, denn
am Ende des Winters wechselt die Jahreszeit. Was mir garantiert viele Tage und Nächte witterungsbedingte neuropathische Schmerzen einbringt. Das ist alt und behinderungsbedingt, macht die Sache nicht schöner, ändert aber nicht arg viel an meinem sonnigen Temperament.
Warum erwähne ich das? Deshalb.....
Am Ende dieses Winters aber habe ich eine Idee. Botox ist nicht nur ein kosmetisch verwendbares Nervengift. Im Kühlschrank steht zwei Wochen lang eine Schachtel mit zwei Ampullen Botox, die auf ihren Einsatz warten. Claudia ist zu Besuch. Wir waren eben essen, sitzen jetzt bei mir auf dem Sofa und reden über ihre Arbeit. Ihre nervenden Kolleginnen und die Nachbarn, die noch enervierender sind. Seit ihrem Mann das Aneurysma geplatzt war, am Ende eines Winters, warten die auf ihren finanziellen Ruin. Dass der nicht eintritt, irritiert sie seit Jahren ebenso, wie ein neu angeschafftes Auto und die Urlaubsreise nach Florenz.
Miserabel verhohlene Sensationsgier unter dem Deckmantel der Nachbarschaftshilfe.
„Das Botox“, sagt sie plötzlich mit funkelnden Augen, „Das ist doch schon da, oder?“
Ich nicke. „Ja, die Neurologin kommt am Mittwoch, um es zu injizieren.“
„Hast du ne Flasche Sekt?“
Kurz runzele ich die Stirn. Dann malt sich das Begreifen in mein Gesicht, die Mundwinkel heben sich, bis ich am Ende breit lache. „Ich habe was viel Besseres.“
Ich steuere den Kühlschrank an und kehre mit dem Botox und einer Flasche Champagner zurück. „Die steht da schon seit 4 Monaten. Jean-Luc bringt immer eine mit, wenn er zu Besuch kommt.“
Grinsend stelle ich beides vor den Tulpenstrauß auf dem Esstisch. Claudia kichert, zückt schon mal ihr Handy, schießt zwei Fotos und stellt ein neues Statusbild ein.
„So!“, sie steckt das Smartphone zurück in ihre Handtasche, „Das wird die Zicken verrückt machen.“
Weil ich einige der Zicken schon kennenlernen durfte, giggeln wir ein wenig, ehe wir uns anderen Themen zuwenden.
Die Neurologin kam am Mittwoch.
Angesichts der derzeitigen Corona-Panik machen wir ein paar dumme Witze über unsere Nachbarn und ob sie ab jetzt die Straßenseite wechseln, wenn sie uns sehen. Den Worten nach lauschend erkenne ich Erklärungsbedarf. Meine Neurologin ist Deutsche.
Ja, na und, wird man sich fragen, demzufolge schiebe ich die Antwort hinterher: Sie sieht chinesisch aus.
Aber infolge der Anhäufung von C-Fällen in Deutschland hat der Rassismus in diesem Zusammenhang ja wohl hoffentlich bald ein Ende. Da die bisher in NRW bekannten Fälle von einer Karnevalssitzung ausgingen, werden in absehbarer Zeit nur Lappenclowns, Plüschzebras und Biene Mayas diskriminiert. Oder aber....
Die Hexenjagd kennt neue Opfer.
Allergiker, denn...
...... am Ende des Winters blühen die ersten Bäume.
Heute lese ich in den Nachrichten, dass ein Zug in Hamm gestoppt wurde, weil eine DB-Mitarbeiterin Erkältungssymptome zeigte.
Es war natürlich Fehlalarm.
Ehrlich, den Kollegen würde ich was husten.
Die Ersten rennen heim, um die Mistgabeln aus dem Keller zu holen. „Schleppt sie weg!“
„Verbrennt die Hexe!“
Der Pulk drängt sich um sie, wird enger, stoppt aber mit einem Meter Abstand. Ihr bleibt die Luft weg. Panik schnürt ihre Kehle zu.
„Da“, ein hagere Frau zeigt mit dem Finger auf sie, die Stimme kippt über vor Hysterie, „Sie hustet! Sie hustet!“
Der Kopf eines dicken Mannes fliegt herum. Angestrengt stiert er auf die Straße. „Wo bleibt die Polizei!“
Die Hexe wagt einen Fluchtversuch, der Mob schneidet ihr den Weg ab und drängt sie in de Wald zurück. Sie strauchelt. Ihre Augen tränen wie verrückt. „Aber“, stammelt sie, „Das ist nur Heuschnupfen.“
Steffi schickt mit aus Wuppertal Fotos von leer gekauften Supermarktregalen. Gibt es das?, schreibt sie drunter, und ich schreibe zurück, Komisch, bei unserem Rewe war alles normal.
Normal ist nichts mehr, am Ende dieses Winters.
Ich mache den Fernseher an und denke, so wäre es gewesen, wenn es im Mittelalter, während der großen Pestepidemien schon Privatfernsehen gegeben hätte. Aber das dann zu Recht. Pest ist was anderes.
Doch niemand findet mehr das richtige Maß, überall nur Panik, was mir vollkommen schleierhaft vorkommt, denn diese Furcht hatte beim alljährlichen Grippe-Virus 2017/18 keiner.
Daran starben 25.300 Menschen. Allein in der BRD.
Aber endlich, endlich machen die Leute das, was Ärzte und das Robert-Koch-Institut seit Jahren, Jahrzehnten in der Grippesaison empfehlen. Händewaschen, Erkältungshygiene und Vorsicht. Das ist nicht neu. Die haben sich in der Vergangenheit den Mund fusselig geredet, aber niemand hörte zu, sicher auch, weil erschreckend viele Menschen den Unterschied zwischen grippalem Infekt und Grippe nicht kennen. Jetzt machen sie es endlich, aber sie denken, sie hätten es vor Covid19 nicht gesollt. Irritierend das alles.
Im bayrischen Rundfunk erzählt ein genesener Corona-Patient von seiner Erkrankung, und ja, sie war banal. Ich war mit eine Grippe schon mal länger krank. Natürlich war er nicht vor-erkrankt. Aber angesichts der Tatsache, das geradezu getan wird, als würde jeder Infizierte sterben, wünschte ich, es erzählten noch mehr Genesene davon.
Heute veröffentlichte das Robert-Koch-Institut, dass die meisten Infektionsfälle mit milden Symptomen verlaufen, ja, mitunter sogar symptomarm.
Am Ende des Winters campieren 13.000 Menschen an der türkisch-griechischen Grenze. Sie sind vor Krieg, Tod, Hunger und Elend geflohen und wurden mit Tränengas und Pfefferspray zurückgetrieben.
Verzweifelte Schrei am Grenzzaun. Weinen und Flehen, ja, und auch Rufe der Wut.
Aber am Ende des Winters drehen wir uns um uns selbst, rennen umher wie die aufgeschreckten Hühner.
Wird Zeit, dass man bei Corona wieder an ein leckeres Bier denkt.
Nachtrag:
Ich konnte heute nichts anderes schreiben, ich habe es versucht, aber die Nachrichten verfolgten mich.
Nein, nicht die über das Virus. Die anderen, und es grenzt fast an ein Wunder, dass sie es in die Nachrichten geschafft haben, bedenkt man, dass bis zum Erbrechen darüber berichtet wurde, dass, Oh Gott, ein Mitglied unserer Regierung kurzzeitig in Gefahr war, Kontakt zu jemandem aus der Flugbereitschaft zu haben, der Kontakt zu jemanden hatte, der Kontakt...etc.
Ich habe den Eindruck, wir haben das Maß und die Verhältnismäßigkeit verloren. Alles wird exzessiv, selbst die Paranoia. Ich betone, dass auch ich diese Infektionskrankheit nicht auf die leichte Schulter nehme und die Lage für Menschen mit Vorerkrankungen verzwickt ist. Denn gegen die Grippe, die für sie genauso gefährlich ist, können sie sich impfen lassen.
Ich möchte das auch nicht haben.
Aber ich möchte auch die Grippe nicht haben.