Heute schreibe ich mal etwas Persönliches, nämlich über ein mir völlig schleierhaftes Phänomen: Ich vergesse wirklich etwas, das unerträglich ist, und ich verstehe nicht, warum.
Das bedarf einer Erklärung.
Als ich heute früh aufstand, ging direkt einiges schief.
In der Nacht hatte ich heftige Nervenschmerzen. An und für sich ist das fürs Schreiben nicht das Schlechtestes. Ich bekenne: Alle Beauties & Beast-Geschichten sind in solchen Nächten entstanden.
Schreiben lenkt mich ab.
Aber in dieser Nacht schrieb ich nicht, es halfen die Medikamente. Allerdings machten die so belämmert, dass ich am Morgen versehentlich noch mal so was nahm, anstelle der Schilddrüsentablette gegen die Unterfunktion. D.h. ich verbrachte die meiste Zeit des Tages - ja, genau - belämmert.
Als Nächstes ging ich ins Bad, und als ich rauswollte, blieb das Kabel meines Föhns an der Kippstütze des Rollstuhls hängen, was ich nicht direkt begriff (belämmert) und ich mich bloß wunderte, was mich bremste.
Ich fuhr dann einfach weiter und riss den Föhn aus der Wandhalterung, was heißt, dass ich ihn einige Meter in die Diele mit schleifte.
Die in die Fliesen geschraubte Wandhalterung dengelte auf den Boden.
Da ich müde war, fluchte ich nicht viel.
Erst, als mir eine fremde Katzen ins Wohnzimmer kotzte. Die Terrassentür zu öffnen, war meine erste sinnvolle Handlung. Doch wenn sie offen ist, kann auch jeder Vierbeiner der Nachbarschaft ins Haus.
Seltsamerweise vergesse ich das immer so schnell wieder.
Tatsächlich hatte ich Glück, denn Nervenschmerzen durch traumatische Amputationen können mitunter anders aussehen als letzte Nacht. Oft bringen die Medikamente, alles keine Schmerzmittel, sondern Neuroleptika, nur Linderung, aber nicht dergestalt, dass ich schlafen könnte.
Manchmal nicht mal das.
Aber schon 24 Stunden später, nach den 24 Stunden, die ich zur Erholung brauche, ist das längst vergessen.
Es fühlt sich an, als gäbe es das Damoklesschwert nicht.
Ich verabrede mich, kaufe Konzertkarten, nehme Konzerte wahr, gehe ins Kino und plane Reisen, als schwebte die Gefahr, völlig ausgeknockt zu werden, nicht ständig über mir.
Das ist echt.
Ich weiß, dass das jederzeit passieren kann, und immer völlig überraschend, aber ich weiß es nur auf der rationalen Ebene.
Emotional ist da nichts - keine Angst davor, und Angst müsste ich wirklich haben.
Der Tag ging dann noch lustig weiter. Gegen 12 Uhr gurkten wir in einen riesigen italienischen Supermarkt im nördlichen kölner Industriegebiet, um einzukaufen, und da ich ja in der Nacht die Belämmer-Tabs genommen hatte, und am Morgen versehentlich noch einmal, war ich zwar nicht bewusstseinserweitert, aber albern.
Da ich das ohnehin häufig bin, fiel das niemandem weiter auf.
Wem auch?
Mein Mann, der Urlaub hatte, hatte die versehentliche Einnahme mitbekommen, weil ich sie mit Kichern untermalt hatte, und ansonsten sah ich nur Fremde. Darüber hinaus verlasse ich das Haus, selbst belämmert, nicht, ohne mich angehübscht zu haben.
Zu diesem großen Supermarkt gehört etwas, das sie Bistro nennen, aber in etwa so aussieht, wie ich mir die Kantine eines italienischen Großkonzerns vorstelle. Allerdings kann man auch draußen essen.
Schmeckt gut, aber nicht herausragend, allerdings gibt es Wein dazu, sofern man will.
Ich will, aber…
Ich frühstücke ja nie.
Es war, so hieß es, auch recht heiß. Empfunden haben wir das nicht so, weil es noch keine zwei Wochen her ist, dass wir in Italien waren, und die 7 Grad, die es dort, im Durchschnitt, noch heißer waren, machen einen gewaltigen Unterschied, der es uns erlaubte, draußen zu essen, obwohl im Schatten keine Plätze mehr frei waren.
Aber Sonne, Wein, nüchterner Magen und die Tabletten am Morgen…
Passiert ist nichts. Im Gegenteil konnte ich mit dem jungen Mann auf dem Gabelstapler bei den Getränken auf italienisch fragen, wo das Messina-Bier steht. Er konnte kein Deutsch - und ich war enthemmt, was sich darin äußert, dass ich mich mit meinen Fragmenten so viel traue, dass sie mehr als Fragmente sind.
Und da ich enthemmt war, kaufte ich mehr ein.
Ich fühle mich dort immer wie im Schlaraffenland.
Auf dem Heimweg lümmelte ich auf dem Beifahrersitz meines Beetle-Cabrios und meinte: "Hör' mal, wir haben es ja heute wie die Italiener gemacht und nicht gefrühstückt."
"Machen wir doch sowieso nur am WE."
"Schon, aber wir haben sonst Mittags kein Pranzo mit Wein."
"Stimmt."
"Ich frage mich, ob die Italiener sich immer so fühlen, wie ich mich jetzt."
Er schenkt mir einen Seitenblick. "Und wie?"
"So leicht mit Lampen an."
Er wiegt den Kopf hin und her. "Vielleicht. Aber die haben unter Umständen nicht versehentlich ein Neuroleptika am Morgen genommen."
Ich muss heftig lachen. "Das habe ich längst vergessen."
Ich fühle seine Hand auf dem Oberschenkel. "Und das ist auch gut so."