Ein Samstag im Sommer 1988
Müde noch schleppe ich mich die Treppe ins Wohnzimmer hinab.
Ermattet von Tanz und Gelächter einer Freitagnacht im Alten Wartesaal. Fußschmerzen von zu spitzen Pumps, Augenschatten, doppelt so schwarz, da war doch was gewesen.... ja, ich war zu müde zum Abschminken, aber in dem Alter kann man sich das noch erlauben.
Von Freiheit durchströmt, das Abitur geschafft, der Beginn des ersten Wintersemester weit vor mir.
Die Zukunft ausgebreitet wie ein bunter Sommerstrauß.
Das Glück vollkommen, das Leben ruft und doch schlicht müde.
Alles ist möglich.
Im Schlabbershirt sinke ich an den Esstisch und ergebe mich dem liebevollen Zank Papas, dem elenden ewig gut gelaunten Frühaufsteher, der mit mit einem Augenzwinkern irgendeine witzige Bemerkung absondert, die ich an mir abperlen lasse, weil alles andere zu spätpubertärer Eskalation führte.
"Kaffee?", ruft Mama aus der Küche.
"Aaah", ich halte mir lachend den Kopf, "ja bitte! Und nicht so laut!"
Als sie mir die volle Tasse bringt und sie vor mir auf den Tisch stellt, strubbelt sie mir durch das haarsprayverklebte Haar.
Ich gucke in den Kaffee.
Ich nippe am Kaffee.
Papa raschelt mit der Zeitung.
Dann nennt er einen Namen. "Warst du nicht mit ihm in einer Klasse?"
Ich blinzele verwirrt. "Äh? Ja?"
Er reicht mir die Zeitung über den Tisch. Irritiert stiere ich auf den Namen, der mir schwarzumrahmt aus einer Todesanzeige entgegen springt.
Ja, wir haben vor wenigen Wochen Abitur gemeinsam gemacht, aber das war es nicht alleine.
Landschulheim, fünfte Klasse, Flaschendrehen, mein erster Freund.
Willst du mit mir gehen-Zettel.
Küssen lernen.
Schmetterlinge im Bauch
Und dann.....
...es schlich sich einfach aus, es blieb etwas Gutes, Großes, ohne in tiefer Liebe zu enden, was mir lange Zeit so rätselhaft erschien, wie die humorige Freundschaft, mit der wir durch die restlichen Schuljahre gingen.
Bis ich ihn mit ihm sah. Der Kreis schloss sich. Für jeden von uns, mit einem Augenzwinkern und einem wissenden Lachen auf beiden Seiten.
Entgeistert blicke ich hoch. Stemme mich aus dem Stuhl und sehe aus dem Fenster. Sanftes Gewölk fließt über den Himmel.
Into the great wide open, denke ich.
Er soll jetzt tot sein?
Unmöglich, er wollte doch....
....Backpacker.....Weltreise ...mit einem Freund
Ich fühle nichts.
Ich bin nicht traurig.
Nicht real. Unmöglich.