Ich hätte es mir denken können, wirklich.
Dass es entwürdigend endete, aber mit Silberzunge hatte sie mich becirct, diese Nacht vorbeizukommen, obschon außer Frage stand, dass ihr Gemahl zurückkehren würde.
„Der wird besoffen und rotnasig in der Rinne liegen“, winkte sie ab.
„Nein, nein“, fahrig fuchtelte ich mit der Hand in der Luft herum, wohl wissend, wie wenig sexy das wirkte, aber sei es drum, „Ich schwöre dir, er wird jemanden finden, der ihn nach Hauses schleppt.“
Und schon streifte sie die Kleider ab. Mein Wille sank danieder und wir wohlig in die Laken.
Und jetzt steckte ich in dieser elenden Holzkiste aus der Renaissance und stierte die Planken an, derweil sie draußen herum krakeelte.
„Du bist besoffen, Richard!“
„Was? Aber nie im Leben!“
„Du hast eine ganz rote Nase!“
„Draußen ist es kalt“, lallte er.
Ich dachte, ich sollte mir nicht so viele Gedanken um meine Würde machen. Der hier hatte selbige spätestens auf dem Standesamt abgegeben, als er, der angesehenste Herzchirurg der Stadt, Filomena heiratete, ungeachtet des gigantischen Altersunterschiedes.
Sie mochte die elegantesten Kleider besitzen und den teuersten Schmuck, nichtsdestotrotz war es kein Geheimnis, dass sie dauernd erkältet war, weil er sie im Bett nicht richtig zudeckte. Haha…
Wie witzig du wieder bist, Gedeon.
Diese verflixte innere Stimme. Ich verzog gereizt den Mund. Durch das Holz schimmerte das Deckenlicht in Scheiben, zerschnitten von den Planken, und die Staubkörnchen hier drin tanzten vor meinen Augen. Ich plagte mich mit der Frage ab, ob ich mit dem Herausklettern aus dem sargähnlichen Möbel wirklich würde warten müssen, bis der Herr Doktor schnarchend in den Traumgefilden segelte, als eben der…
„Hubert hat Interesse an dem Ding hier“, säuselte Richard geldgierig und klapste mit der flachen Hand dreimal auf den Truhendeckel.
Ich rieb mir das Ohr, aber meine Anspannung wuchs. Er stand so nah, dass ich dachte, gleich wäre es mit mir vorbei. Der Schatten vor der Truhe veränderte sich, wurde dunkler. Offenkundig beugte er sich drüber.
„Was?“ Filomena klang spitz. Dann schaltete sie in den Liebchenmodus. „Nein, das geht nicht.“
Der Schatten entfernte sich von mir. Ich atmete unhörbar auf. Mit hämmerndem Herzen wartete ich auf ihre Erklärung nicht weniger gespannt, als der Herr Gemahl.
„Warum denn nicht?“ Zugegeben, das klang nach „A-um de nich?“
„Ich habe einen Interessenten für das olle Ding.“
Ich sah sie im Geiste mit den Wimpern klimpern und fragte mich, was sie wohl an hatte. Ich tippte auf den Seidenkimono, den er ihr vom letzten Herzchirurgenkongress in Tokio mitgebracht hatte.
„Wosch?“
Ah, das sollte wohl was heißen.
„Ja, er ist bereit, das Doppelte von dem zu zahlen, was du dir zusammengestrickt hast.“
Vergnügt klang sie und kam näher.
„Wehr dänn?“ Richards Stimme entfernte sich. Ich hörte am Knistern der Seidenlaken, wie er aufs Bett sank.
„Oh, er ist Banker. Gideon Habemehr. Er…“
„Aber…“, begehrte Richard auf, aber Filomena zwitscherte dazwischen: „Er inspiziert sie gerade. Die Truhe.“
Oh? Zuerst begriff ich nicht, was sie da schwafelte, doch dann?
Aber Banker? Ich war Jazz-Musiker, verdammte Axt.
Und doch, ich fühlte, wie sich ein breites Grinsen in mir ausbreitete. So weit es in der Enge der Kiste funktionierte, sortierte ich mein blondes Haar und stopfte das Hemd, das ich mir ebenso wie die Hose auf die Schnelle übergestreift hatte, in eben die.
Sie trillerte und zwitscherte da draußen herum, und mir war, als hörte ich ihn schon leise schnarchen. Innerlich zählte ich bis drei, dann stieß ich die Kiste auf, dass der Deckel gegen die weiß geputzte Wand knallte, und stand mit erhabener Kennermiene aufrecht darin.
„Ich muss sagen, Frau Lahmhans, die Beschaffenheit ist trätabel. Sie haben nicht übertrieben, man sieht ihr die fünfhundert Jahre nicht an.“ Affektiert zupfte ich meine Hemdsärmel zurecht.
„Nehmen se se?“, lallte der Herr Doktor. Unter schläfrig arroganten Lidern sah ich ihn an. Das Lachen wäre fast aus mir rausgeplatzt.
Du lieber Himmel, besoffen sah er aus wie 110 und nicht wie 67. Das Rentiergeweih in seinem schütteren Haar vervollständigte harmonisch seine Lächerlichkeit, der er sich selbst preisgab, und die wir mit der Show nur perfektionierten.
„Ja, ich denke, das passt. Ich werde morgen ein Transportunternehmen vorbei schicken.“
„Aber zahlen“, hikste er auf dem Rücken liegend, „müssen Sie direkt.“
„Ich…“, hob ich an, wurde aber von lieblicher Hand hinaus bugsiert.
Vor der Tür verabschiedeten wir uns kichernd. „Morgen hat er das vergessen. Diese albernen Weihnachtsfeiern“, giggelte sie in den Kuss, den ich ihr aufrückte.
Sie winkte mir noch. Auf dem beschneiten Gartenpfad drehte ich mich noch einmal um. Ihr vom Lachen gespanntes Gesicht malte sich in mein Herz und ich es nahm es mit nach Hause.