(18:25 Uhr bis 19:17 Uhr)
Die Aufmerksamkeit war ihr gewiss, aber es war nie so, dass sie sie wollte. Es ergab sich von alleine als Folge der beschränkten Weltsicht ihrer Mitmenschen.
Wenn sie offenen Verdecks in ihrem dunkelgrünen Z3 angebraust kam, und zielsicher auf den Behindertenparkplatz zu düste, glotzten alle Umstehenden.
Manche rissen schon das Maul auf.
Des Parkausweises zum Trotz.
Wegen des offenen Verdecks musste sie schon Dialoge führen, die jeden Sinn entbehrten, noch ehe sie ausgestiegen war.
„Da dürfen sie nicht stehen!“ Empörung springt der Mittvierzigerin aus dem Gesicht, derweil sie mahnend gestikuliert.
„Dann machen Sie jetzt mal schön die Augen auf“, spitzt sie und hievt ihren Rollstuhl vom Beifahrersitz auf die Straße und steckt die Räder auf.
Das ist ihre Reaktion an guten Tagen. Sie guckt dann nur etwas verkniffen, denn nach einem aufreibenden Tag im Büro will sie eigentlich nicht wegen Nichts streiten. Tage, die stressig waren, an denen sie ohnehin schon genervt war, weil auf der Arbeit das Projekt ins Stocken kam, forcierten eine andere Reaktion.
„Da dürfen Sie nicht stehen!“ Der rotköpfige Kerl schreit schon, obwohl der Parkausweis sichtbar vorne ausliegt.
„Was denken sie, was das hier ist“, sie deutet forsch auf den Rollstuhl, der auf dem Beifahrersitz ruht, „Ein Fahrrad?!“ Ihre Wangen werden gleichwohl rot.
Was sie ärgert ist das Vorurteil, das er Ermahnung vorausgeht.
Als sie beruflich in Dänemark gewohnt hatte, durfte sie parken, wo sie wollte. Niemand hat von ihrem Auto auf die Unrechtmäßigkeit des Parkens auf Behindertenparkplätzen geschlossen.
Nach 12 Jahren ging der Z3 in die Knie. Nicht, dass er defekt wäre, aber das Verdeck war nicht mehr dicht, sodass sie im Winter auf einem ledernen Eisklumpen saß, der auch nicht vermittels Sitzheizung auftaute, bis sie auf der Arbeit war. Mitunter befürchtete sie, sie bekäme einen elektrischen Schlag, ehe sie am Ziel ankam.
Das wäre schlecht für die Frisur gewesen.
Als sie den Fiesta kaufte, klein, schwarz und schnell, hatte sie eigentlich geglaubt, das Problem wäre sie los. Aber nein....
Selbst mit einem völlig normalen Auto hatte sie jedermanns Aufmerksamkeit, sobald sie einen Behindertenparkplatz ansteuerte.
In Köln gafften geschätzt sieben Rentner vorwurfsvoll auf den Parkvorgang vor dem Café auf der Severinstraße. Der erste macht den Mund auf, aber sie kommt ihm zuvor, derweil ihre Mutter den Rollstuhl aus dem Heck holt und sie umsitzt. „Ich weiß nicht“, ruft sie dabei, „wie alt ich werden und wie ich aussehen muss, damit ich unbehelligt auf einem Behindertenparkplatz parken darf!"
Weil sich nichts änderte, entschied sie, nach sechs Jahren Fahrt mit einem langweiligen Auto, wieder ein Cabrio zu kaufen. Schwarz und ein Beetle, mit dem sie jetzt wieder doppelt so vorwurfsvoll beguckt wird, wenn sie parken will.
Stilblüten erlebt sie:
Sie sieht den uralten Mann am Stock schon, als sie auf den riesigen Parkplatz des Einkaufscenters zufährt. Er guckt zuerst böse, dann wütend, aber er schweigt.
Still sieht er zu, wie sie den Rollstuhl neben den Fahrersitz stellt und umsteigt. Sie rollt im Rollstuhl an ihm vorbei. Und er sagt: „Da dürfen Sie nicht stehen! Das ist für Behinderte!“
Ach? Ehrlich?
Auf eine Entgegnung verzichtet sie, das übernimmt eine Passantin, die dem Mann entgeistert die Meinung geigt. Interessant, denn es ist genau der Typ Passantin, der normalerweise als Erster krakeelt, sie dürfe da nicht stehen.
Oder als sie vor dem Rathaus parkte und eine leibhaftige Entgleisung erlebte. Sie steigt aus. Der Mann, Anfang fünfzig, sieht, dass sie im Rollstuhl sitzt und trotzdem brüllt er, dass sie den Arsch nachgetragen kriegt!
Dass sie Geld vom Staat kriegt!
Und so eine Karre davon kauft!
Und er, er habe 25 Jahre auf dem Bau gearbeitet und nicht,wie sie, mit ihrem fetten Arsch nur rumgesessen!
„Ich arbeite für mein Geld!“, schreit sie tränenerstickt zurück, wird aber mit noch mehr Schmähungen niedergebrüllt. Warum muss sie sich so was anhören?
Augenscheinlich hat sich der Mann soeben im Rathaus irgendeine Abfuhr eingehandelt und lässt das jetzt an ihr aus. Mit seinem Gebrüll im Rücken rollt sie ins Bürgerbüro, um ihren neuen Personalausweis zu beantragen, aber sie braucht den Rest des Tages, um sich davon zu erholen.
Letzten Sommer braust sie Einkaufen, parkberechtigterweise und mit sichtbarem Parkausweis. Sogar das komplizierte, elektronische Handgassystem auf dem Lenkrad ist sichtbar.
Als sie zurückkommt und die Einkäufe ins Auto stellen will, entdeckt sie ein Post ist auf der Seitenscheibe/Fahrerseite.
Verdutzt rupft sie es ab. Liest „Rücksichtslosigkeit ist keine Behinderung.“
Tränen der Wut steigen in ihr auf, sie kann nicht mehr.
Sie will nicht mehr.
Sie fühlt eine tiefe innere Hitze und eine ungeheure Gewaltbereitschaft.
Was soll das? denkt sie, und zischt halblaut: „Wie muss ich denn sein, damit ich euren Vorstellungen von Behinderten genüge?“
Aufgebracht pfeffert sie ihre Handtasche ins Auto und friemelt sich und den Rolli hinterher.
Mit überhöhter Geschwindigkeit rast sie heim, flitzt ins Haus, wo sie ihrem Liebsten den Zettel auf den Tisch knallt. „Das war an meinem Auto! Das ist eine unver....Ich fasse es nicht! Was sind das alles für Idioten!“
Er lächelt milde und räumt die Einkäufe aus ihrem Auto ins Haus. „Komm mal runter, Schatz. Die meinen es nicht böse.“
Das weiß sie, aber es ist einfach genug.
„Das Problem ist“, meint er später beim Essen, „dass du eine Frau bist und selbst Auto fährst. Die Marke des Autos ist dabei sekundär.“
„Ich höre aber deshalb nicht auf, eine Frau zu sein“, grinst sie müde.
„Das hoffe ich doch.“
Wenigstens ist sie damit nicht allein. Tan Caglar, ein Comedian im Rollstuhl, erzählt Geschichten darüber. Wenn er einen Behindertenparkplatz berechtigterweise ansteuert, ist ihm jedermanns Aufmerksamkeit gewiss.
Weil er ein Mann ist.
Selbst einen 3 er BMW fährt und man ihm den sogenannten Migrationshintergrund ansieht.
Er steigt dann mit Rollstuhl aus, aber vorher hört er: "Da dürfen sie nicht stehen!"