„Hatschi!“
Was, zum Teufel…? Befana torkelte, den Besen hinter sich herziehend, neben der Tür gegen die Holzwand ihres Häuschen. „Hatschi! Hatschi!“
Sie stöhnte. Die Nase lief wie ein Wasserfall, und sofort schwollen ihre Augen zu. Sehen schien bald unmöglich, nur schemenhaft erkannte sie die Wurzel alllen Übels, auch wenn sie entwurzelt war.
„Tschiiii!“
Der nächste Versuch scheiterte erneut. Ihr Gesicht fing zu jucken an, die Augen tränten, und beides lag nicht am Ende der Party auf dem Blocksberg. Nicht am ausschweifenden Genuss aphrodisierender Drinks, und auch nicht an der Verzückung, die sie zugegebenermaßen mit diesem leckeren Kerl empfunden hatte. Dass ihr Kopf schier zu platzen drohte war zweifellos eine Folge, aber das hier … „Haa --Tschi!“
Mit dem Ärmel ihres in Fetzen hängenden Kleides wischte sie sich die triefende Nase. Sie ging zwei Schritte rückwärts, taxierte den Bereich, in dem sie ihren Hauseingang vermutete, unwillig Clint, ihren liebestollen Außerirdischen um Hilfe zu bitten, der hoffentlich weiterhin in gnädiger Unkenntnis des wahren Charakters des Blocksbergeireignisses, selig schlief. Sie haderte schon den ganzen Heimweg damit, ihn betrogen zu haben.
Aber der Bursche war aber auch zum Anbeißen. Jedes Jahr aufs Neue, aber dieses Mal, war er besonders talentiert. Es juckte , zu wissen, wo er geübt hatte, aber das Jucken ihres Gesichts war aktuell vorrangig.
In ihrem verschwommenen Gesichtsfeld manifestierte sich das Ding, dem sie die Nissattacken und alles andere zu verdanken hatte. Bunte Bänder wie Schlieren. Ein Herz. Ein riesiges Plakat. Und daneben die Tür, durch die sie hindurch musste.
Ärger machte sich in ihrem Bauch breit. Drei Schritte rückwärts, dann Anlauf nehmend rannte sie auf die Tür zu, in der festen Absicht, die Klinke im Sturm runterzudrücken, aber…
Das Häuschen bebbte, als sie gegen die Wand prallte und erschöpft hinabsank. Es half nichts, sie musste ihn wecken.
„Clint!“, schrie sie.
Sie lauschte.
„Clint, verdammte Axt!“
Voller Konzentration sperrte sie die Ohren auf, aber da war nichts außer den Geräuschen des Waldes. Ein Käuzchen flog klagend um sie herum. Ein Eichhörnchen raschelte die Eiche neben ihrem Schuppen hinauf. Zweige knackten, doch da!
Schlurfende Schritte, die sich der Tür näherten.
Was er jetzt wohl sagen wird, dachte sie, als sie, sich an der Hauswand entlang tastend, aufrappelte. Immer noch nicht hatte er gelernt, sich vernünftig mitzuteilen. Noch immer kommunizierte er ausschließlich mit Liedtexten, nur weil die verflixten Astrophysiker Musik von Scooter ins All geschallt hatten. Jahrzehntelang!
„Wake me up when september end“, murrte er, ohne die Tür zu öffnen.
„September?“, schrillte sie. Es ist der 1 Mai. Du willst nicht allen ernstes bis…“
Die Tür öffnete sich rasch. Er musste sie an der Stimme erkannt haben.
„Hello again“, strahlte er sie.
Unwirsch schob sie ihn beiseite, pfefferte ihren Hut aufs Sofa, direkt auf ihren Kater Pompeius, der sie böse anfauchte. Doch das war gleich. Zornig rupfte sie das Telefon aus der Ladestation, drückte eine gespeicherte Nummer, tappte ungeduldig mit dem Fuß, während des Freizeichens und schimpfte sofort los, als Serafina dran ging. „Du musst sofort herkommen! Ich brauche dringend deinen Zaubertrank! Irgendein Schwachkopf hat mir einen Maibaum vor die Tür gestellt!“
„Was? Oh, Nein! Deine Birkenpollenallergie! Wer hat…“
„Es ist mir scheißegal, wer!“ Befanas Nase juckte. „Er sei verflucht! Ein Frosch soll er sein! Haaatschiii!“
"Nein, eine Kröte! Hatschi! Und reden soll er nur noch wie Clint. Ihm soll die Sprache verloren gehen."
„Ich komme.“ Serafina legte auf.
„Haaatschi!“
„Ein Prosit, ein Prohosit!“ Clint guckte sie besorgt an.
*
„Luce?“
Luisa blinzelte. Eben noch hatte sie mit ihrem guten Kumpel Luce, der völlig übernächtigt wirkte, beim Brunch gesessen, und jetzt war er weg?
Sie linste unter den Tisch. „Luce, hör‘ auf mit dem Scheiß.“
Sie lupfte die Tischdecke und schielte darunter. Da war er nicht.
„Den Mist kannst du mit den Hexen abziehen, aber nicht mit mir“, murmelte sie und schraubte sich hoch. Aber als sie gehen wollte, erhaschte sie eine Bewegung im Augenwinkel. Sie riss die Augen auf. Auf dem Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, hocke eine Kröte.
„Das ist jetzt ein Spaß, oder?“
"???"
"Äh?" Sie tippte sich das Smartphone, dass sie schon mal aus der Tasche gekramt hatte, nachdenklich an die Stirn.
"Quar…."
"Verstehe." Sie wählte eine eingespeicherte Nummer, dabei gebot sie ihm mit der Hand, zu schweigen.
„Mein Kind“, summte es.
„Mama“, redete sie hastig. „Es ist schwer zu erklären, aber ich fürchte, jemand hat Lucifer in eine Kröte verwandelt.“
„Bitte? Diesen leckeren blonden Burschen mit den Silberaugen?“
Luisa hielt sich das Telefon ein Stück vom Ohr weg. „Da ist nix mehr silbern. Er sieht wie ein Haufen aus, der aus dem Hintern der Midgard…
„Luisa.“
„Schon gut. Ich weiß ja, dass das eigentlich eine Sache zwischen Himmel und Hölle ist, aber ich weiß nicht wo Lysander steckt, und ohne ihn sagen sie mir, einer Walküre, da oben nichts. Ich dachte, du könntest mal einen Blick in Nimir werfen.“
„Augenblick.“
Sie hörte Geräusche. Schritte. Wasser. Dann: „Ach.“
„Was?“ Luisa linste besorgt zur Kröte.
Frigg kicherte. „Weißt du, was sie da auf dem Blocksberg eigentlich machen?“
„Mama! Da ist jetzt nicht wichtig.“
„Huu, alle Achtung. Eieieiei… ts ts. Die Hexen paaren sich mit dem Satan. Hihi. Es gibt viele Hexen, hihi, und nur einen Satan, und das ist unser Schnuckelchen Luce. Hach, ich fürchte, Loki wird vor Neid erblassen, wenn er das hier…“
„Mama!“
„Befana war besonders… Moment. Ah, er hat ihr einen Maibaum ans Haus gestellt. Das machte sie so wütend, dass sie ihn verflucht hat.“
„Bei allen Asen. Weiß sie, dass der Baum von ihm ist.“
„Sie merkt es gerade. Warte, ich halte die Smartphone-Kamera aufs Wasser.
In der Hütte kauerte Befana, eine dampfende Tasse fest umschlungen, auf ihrer Couch. Neben ihr schnurrte der Kater, aber sie schien auch einen mächtigen desselben Namens zu haben, denn sie wirkte, über die allergische Reaktion hinaus, hinfällig, wie sie da an Serafina lehnte, die ihr die tränenden Augen tupfte. Auf dem Tisch lag beschriebenes Krepppapier. „Zusammen für immer, dein Luce“, wisperte Serafina. „Du musst ihn gewaltig beeindruckt haben.“
Clint, der knackige Alien, der die ganze Zeit händeringend im chaotischen Wohnzimmer gekreist war, stockte. „Do you really Want to hurt me?“, fragte er entsetzt.
„Clint.“ Serifana gestikulierte beschwichtigend.
„Do you really want to make me cry?“
„Meine Güte!“, gellte Befana und schnellte hoch. „Ich habe jetzt andere Sorgen! Ich habe… Himmel, ich muss die Verwandlung rückgängig machen.“
Aufgebracht düste sie in die Küche.
„I’m sorry. So sorry.“
„Jaja schon gut. Hast du meinen gelben Korb gesehen? Da sind die Kräuter drin, die ich dringend dafür brauche.“
„I’m just a jalouse guy!“, brüllte er verzweifelt.
„Ich muss ihn irgendwo verloren haben.“ Aus dem Buffet, vor dem Befana kniete, flogen Bücher, Katzenspielzeug, die Schallplatte mit Cindy &Bert-Songs, die sie ihrem Alien vorenthalten hatte, ein Nudelsieb.
„Verloren?“ Serafina wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Den gelben Korb?“
„A tisket, a tasket, she lost her yellow basket.“
„Clint!“, kläffte Befana. „Ich brauchte dieses Kraut“, wimmerte sie in Serafinas Richtung.
Die kaute auf der Unterlippe. „Wir könnten es bei diesem Italiener oben in Neapel kaufen. Warte ich rufe ihn an.“
Befana kauerte auf dem Boden vor dem offenen Schrank und gab ein elendes Bild ab. Versöhnlich legte Clint, der neben sie gekrochen war, den Arm um sie. „I did’nt mean to hurt you.“
Serafina, das Telefon noch in der Hand raste zu ihnen zurück. „Er hat alles da, was du brauchst. Er wartet. Aber denk dran, dass er nur italienisch spricht.
Befana nickte hoffnungsvoll und ließ sich von Clint aufhelfen. Gemeinsam verließen sie das Häuschen. „Robert de Niro’s waiting“, sagte Clint. „He’s talking …
„Ja, ich weiß“, seufzte sie.
Luce, dachte sie weinerlich. Verzeih mir. Ich bin eine impulsive Frau.
"Alles klar", rief Luisa ins Telefon, und drückte den roten Knopf.
Sie stürzte zum Schrank, um in den alten Alben vergangener Parties zu kramen, bis sie ein Foto von Befana gefunden hatte, das sie ihm vor die triefende Linse hielt. "Sie war's"
Sofort verdrehten sich die Krötenaugen verklärt. "Ich liebe dich", erklärte er Befanas Antlitz.
"Oje." Neben dem Stuhl ging sie in die Hocke. "Es scheint nur eine Sache von Stunden zu sein. Sie bedauert es ja schon und wird es rückgängig machen. Aber da oben muss es ja mächtig abgegangen sein. Was habt ihr getrunken?"
Traurig sah er sie an. "Eisgekühlter Bomerlunder."