Eine weitgehend gewaltfreie Geschichte im Hexenmilieu
„Pömpelchen, nein!“ Befana warf die Hände in die Luft. Mit geschürztem Rock flitzte sie dem Kater nach durch die vollgestellte Wohnstube, die auf der Nordseite in die offene Küche mündete. Ein Stuhl ging polternd zu Boden, nichts, wovon sich Kater Pompeius beeindrucken ließe. Zielgerichtet jagte er seinerseits der Haselmaus nach, die sich vor dem Napf mit dem Trockenfutter so scharf in die Kurve legte, dass sie unter das Sofa schlitterte. Pompeius hinterher.
„Lass‘ sie in Frieden!“ Mit einem Hechtsprung verschwand Befana ihrerseits selbst unter dem Möbel, unter dem Maus und Kater auf der anderen Seite wieder hervor jagten.
Dort unten, umgeben von Wollmäusen sackten ihre Schultern resigniert hinab.
„Clint! Mach‘ doch auch mal was!“, rief sie weinerlich.
Ein gewaltiges Scheppern, das davon zeugte, wie Maus und Katze die Vitrine umrissen, übertönte die Antwort ihres außerirdischen Liebhabers.
Sie seufzte. Ihn nicht gehört zu haben, war womöglich besser. Etwas Sinnvolles kam ohnehin nicht dabei raus, wenn er den Mund aufmachte. Weil die blöden Astrophysiker auf Hawaii jahrzehntelang Scooter-Songs ins All geschallt hatten, waren Liedtextes lange Zeit das Einzige gewesen, womit er sich hatte verständlich machen können. Und dann noch so blöde. Mittlerweile verfügte er zwar über ein größeres Repertoire, aber echte Kommunikation sah anders aus. Dafür war er liebestoll, was anfänglich ganz lustig gewesen war, aber ohne geistreiches Miteinander verlor das allmählich seinen…
Es dengelte und schepperte. Dann klirrte es. „Laufen Sie über die Arbeitsplatte?“
Ihr brach der Schweiß aus. Rückwärts robbte sie unter dem Sofa hervor, war fast schon draußen, als sie im Staub, zwischen Spielzeugmäusen und dem Strickzeug, das sie vor 383 Jahren verlegt hatte, etwas blitzen sah. Sie kroch näher heran.
Was war das?
Tastend erwischte sie das Teil. Ein Metallstück mit acht Winkeln und sechszehn Löchern für Schrauben, was sie zuerst mehr erfühlte, als sah.
„Das ist doch…“
Sie fühlte, wie sich ihre Wangen mit Blut füllten. Mit dem Ding in der Hand und staubüberzogen tauchte sie aus der Versenkung ins Wohnzimmer, in dem es nun erstaunlich still war.
Ihren Rock strich sie mit einer Hand glatt, bevor sie Clint, der im Sessel gegenüber hockte und zum Anbeißen aussah, aber doof guckte, das Teil vor die Linse hielt. „Das Ersatzteil für dein Raumschiff! Von dem du behauptet hast, es wäre gestohlen worden!“
Beglückt lächelte er sie an und nickte energisch.
„Hast du es dahin gelegt?“ Sie tappte mit dem Fuß.
Er zuckte die Achseln. „You sexy Thing.“
Sie schnaubte, wohlwissend, wie erregend er ihre Wut fand, aber in ihr keimte ein Verdacht. „Lyndis ist mit dem von dir gezeichneten Bauplan auf ihrem Besen bis nach Venedig geflogen, um diesen Kaufmann zu bitten, das Teil zu besorgen. Der wusste auch nicht weiter und hat es bei den Amazonen bestellt! Die sind von Zelena überfallen wurden, der bösen Hexe des Westens! Nur, weil die mich hasst! Während des Kampfes landeten alle in einem Feuerball in diesem Scheiß Oz. Lyndis Besen musste geölt werden, was ewig dauerte, weil das Kack-Ölkännchen sich verlaufen hatte! Wir hatten hinterher einen Haufen Ärger! Beim Anblick der Amazonen starb der feige Löwe, die dämliche Vogelscheuche ist verbrannt und die Hexenliga zahlt Immer noch die Traumatherapie dieser hohlen Dorothy! Diplomatische Verwicklungen ohne Ende, für dein Ersatzteil, und du versteckst das?“
„Somewhere over the…!“
Sie preschte vor und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. „Es reicht! Raus!“ Mit ausgestrecktem Zeigefinger wies sie zur Tür, doch im Augenwinkel bekam sie mit, wie Pompeius die quietschfidele Maus vor ihren Füßen ablegte, und im Begriffe war, zu seinem Lieblingsschlafplatz zu stolzieren. Die Maus trippelte unaufgeregt, mit einem Umweg zum Trockenfutter, wo sie sich zwei Snacks heraus stahl, zu ihrem Mausloch.
Clint grinste Pompeius verstehend an. „The chase is better than the catch.“
„Beide! Raus!“, gellte Befana.
Pompeius machte als erster die Fliege, aber das mit wissender Arroganz. Clint entdeckte in ihrem Gesicht etwas, das keinen Widerspruch dudelte. Umständlich stemmte er sich hoch und schlurfte dem Kater mit hängenden Schultern nach, der sich am Rand der Lichtung unter einem Kastanienbaum eingerollt hatte. Mit vorn eingeklappten Pfötchen schien er ihn zu erwarten. Ächzend sank er neben dem Kater ins Laub, und rieb sich die Wange.
„Die Backpfeife hat gesessen, was?“, schnurrte Pompeius.
„Backpfeife? Sind das die Dinger, die an den Weckmännern kleben?“
„Nein. Das sagt man zu ohrfeigen.“
Eine Weile schwiegen sie, eher der Kater weiterredete. „Ich wusste immer, dass du normal reden kannst.“
Clint hob verlegen eine Schulter. „Und ich wusste immer, dass du von einem anderen Stern bist.“ Versonnen schaute er unter dem Laubdach her nach oben in den Himmel. „Auf Xeira sprechen wir in Ehrfurcht von euch und eurem Planeten Feliway. Ihr seid uns in so vielem voraus.“
„Wir beobachten die Menschen seit mehr als 2000 Jahren.“
Clint stellte die Füße auf und umklammerte seine Knie. Dabei nickte er schweigend.
„Haben sie dich deshalb von Xeira nach unten geschickt?“, wollte Pompeius wissen. „Um uns nachzumachen, um zu sehen, was die Menschen treiben?“ Er leckte sich die rechte Vorderpfote. „Sei gewiss, sie taugen nur zu philosophischen Debatten. Wir verstehen bis heute nicht, warum sie was machen. Was sie tun, hat weder Sinn noch Verstand, aber viele von ihnen sind echt lieb. Auch die, die keine Hexen sind.“
„Aber euch vertrauen sie.“
„Nicht alle. Wir hatten auch schon schwere Zeiten.“
Clint nickte. „Schon, aber wie macht ihr das? Wir dachten, dass ihr euch liebevoll und verschmust zeigt, wäre der Grund dafür, dass sie euch lieben.“
„Naja, nicht alle. Aber nein, das ist nicht der alleinige Grund.“ Pompeius streckte sich. „Du benimmst dich wie ein Hündchen, Clint, wenn du glaubst, uns kopieren zu können. Du musst souveräner sein. Ihr signalisieren, dass du alleine, dass du ohne sie leben könntest, und dass es eine Gnade ist, dass du nicht gehst. Furchtlos musst du sein.“
Mit gerunzelter Stirn musterte Clint den getigerten Kater. „Furchtlos bist du doch auch nicht.“
Pompeius schnaufte. „Ach, wir tun nur so, als ob wir Angst hätte. Am besten vor völlig ungefährlichen Sachen. Am besten vor Dingen, die nicht mal gefährlich für sie sind, damit sie sich wie Helden fühlen und uns niedlich finden. Das Wäschereck des Grauens, huh.“
Auflachend erinnerte sich Clint an das Theater, das Pompeius mit dem Bügelbrett gemacht hatte, nur weil Befana es mal zusammengeklappt an die Kommode im Schlafzimmer gelehnt hatte. Wo es sonst hinter der Tür stand. „Der Schrecken des Bügelbretts.“
Fast schien es, als lachte der Kater mit ihm. Sie schauten zum Haus, das in der untergehenden Sonne auf der herbstlichen Lichtung prangte. Rauch stieg aus dem Schornstein. „Langsam wird es kühl.“ Clint schlang beide Arme um sich.
„Ich springe aufs Fensterbrett, kratzte, miaue, und wenn sie guckt, setze ich eine niedliche Miene auf.“
„Und ich?“ Er senkte den Blondschopf. „Ich meine, ich häng‘ wirklich an ihr. Sie bdeutet mir viel.“
„Du solltest nicht aufs Fensterbrett springen, an der Scheibe kratzen und eine niedliche Miene aufsetzen.“ Der Kater blickte sich um. „Schlag‘ ein paar Kastanien vom Baum. Die liebt sie. Und versuch‘ irgendwo Blumen aufzutreiben, am besten fleischfressende. Warte, bis ich drin bin, klopf‘ und entschuldige dich. Ohne Songtext.“
„Okay.“ Clint kerbte die Zähne in die Unterlippe, und schaute dem Kater nach, als er sich auf dem Weg zum Häuschen machte. „Pompeius!“, rief er.
Der Kater wandte sich erhaben um.
„Was bedeutet es eigentlich, wenn du immer mal wieder vor den Schränken stehst und mit dem Schwanz zitterst?“ Er zuckte die Achseln. „Ich hab‘ gesehen, dass Befana dann alle Schränke öffnet, aber du gehst nie rein, sondern guckst nur rein und gehst wieder.“
„Ich gucke rein und blinzele.“
„Ja, und?“
„Mit jedem Blinzeln sende ich ein Bild des Schrankinneren an den Mutterplaneten.“
„Ah.“
„Das solltest du aber nicht machen, Clint.“
„Was?“
„Vor den Schränken stehen und mit dem Schwanz zittern.“