Sie brachten Geld mit.
Die Scheine sehen aus, wie die Einheimischen, aber das nur Dank der Einheitswährung Europas. Doch aus unverständlichen Gründen ist es dort, bei denen, mehr wert, als hier.
Wenn es aber nur das Geld wäre – Jana könnte mit dem Ausverkauf der Perle, in der sie hier stets residiert, weil sie die Privatwohnungen wegen des Rollstuhls nicht erreichen kann, leben.
Obwohl es trotzdem schmerzt.
Von dem familiengeführten Hotel im alten Palazzo ist nichts mehr übrig, seit die Spanier kamen.
Zwei Jahre hatten sie versucht, die Folgen der Pandemie zu überstehen, und mitunter hatte es ausgesehen, als hätten sie es geschafft. Aber sie waren immer nur kurz durch die Wasseroberfläche gestoßen, um nach Luft zu schnappen. Mit gefüllten Lungen wieder untergetaucht. Hatten von dem Atem gezehrt, dann Wasser geschluckt, gestrampelt, qualvoll aufgestoßen, gehustet, sich verschluckt – abgesoffen.
Da ist das Landgut, der Weinbau, die Oliven. Alles davon floss ins Hotel und in das dazugehörige Lokal mit den Michelinsternen 2015 bis 2019. Das Bistro.
Alles lief blendend. 2019 – das letzte Jahr, in dem noch alles gut schien.
2020 saß Jana mit Michele im Michael Collins-Pub mit unverstellter Aussicht auf den Palazzo Vecchio, dem Rathaus, und resümierte, dass vielleicht alles gut, nein sogar besser werden könnte. Denn er hatte das Gefühl, die Einheimischen fänden endlich eine echte Beziehung zu ihrer Stadt, die über das Geldverdienen hinaus ginge.
Dabei hatte er nur von sich selbst auf andere geschlossen und geirrt. Wahrscheinlich ist das der Irrtum derjenigen, die aus sicheren Verhältnissen stammen, in die sie zurückkehren können.
Wenn man es sich erlauben kann, seine Stadt um ihrer selbst willen, um ihrer Geschichte willen, zu lieben, sieht man womöglich keine Notwendigkeit, sie zu verkaufen.
Denjenigen, die verkaufen, was seit hunderten von Jahren ihnen gehörte, weil es existentiell ist, kann sie aber keinen Vorwurf machen.
Er auch nicht.
Aber mussten es wirklich die Spanier sein?
Das führt aktuell zu äußerst deprimierenden Erlebnissen.
„Einen Kaffee! Ist das wirklich zu viel verlangt?“
Die junge Dunkelhaarige schaut sie an wie ein Kalb, wenn es blitzt. Das macht Jana nur noch wütender. Sie sitzt im Innenhof, weil es ausnahmsweise mal nicht regnet, die qualmende Zigarette in der Hand und labert auf Italienisch auf die Mitarbeiterin ein, nur um festzustellen, dass sie immer noch nicht verstanden wird.
Die neue Hotelmanagerin hastet herbei, um auf Englisch und mit falschem Lächeln zu erklären, dass die Kollegin kein Italienisch kann.
„Aha?“, entgegnet Jana. „Was dann? Muss ich demnächst Spanisch lernen, um in Italien einen Kaffee und einen Aschenbecher zu bekommen?“
Nach beschwichtigenden Worten steht ein schier ungenießbarer Kaffee neben einem Aschenbecher auf dem Tisch.
Warum der Kaffee so miserabel ist, wird sie später herausfinden. Sie kommt nicht direkt drauf. Nimmt es erst mal so hin. So wie das nicht aus dem Zimmer geräumte Geschirr, das fehlende Wasser in der Minibar, dass vergessen wurde, ihr ein Taxi zu bestellen und die Tatsache, dass der Innenhof nicht mehr gefegt wird.
Sie wusste es ja vorher schon. Dass es verkauft worden war, und dass es jetzt nicht mehr wie heimkommen sein würde.
Dass das Nachhausekommen nun außerhalb ihrer Unterkunft stattfinden würde. Dass Michele da nicht mehr arbeitet. Und Dorina auch nicht mehr die Managerin ist.
Zwar können sie sich jetzt besser auf ein Bier und zum Essen treffen, aber ihm bei der Arbeit zuzusehen, und ihm manchmal zur Hand zu gehen, war einfach lustiger gewesen.
Überhaupt anzukommen – mit großem Hallo, Küssen und Umarmungen – Palaver und Lachen ohne Gleichen – war schöner gewesen, aber alle wirklich schönen und guten Dinge gehen zu Ende.
Werden aufgefressen, manchmal von der Pandemie, an anderer Stelle von der Gier.
Sie steht im kleinen Foyer, starrt in den Regen und wartet darauf, abgeholt zu werden. Dabei kann sie nicht vermeiden, Zeugin eines Bewerbungsgesprächs zu werden, dass Señora Lopez auf Englisch führt, weil sie gegenüber dem italienischen Bewerber einräumen muss, kein Italienisch zu können.
Na großartig, denkt Jana.
„… mache das noch nicht lange“, referiert die Señora. Und irgendwas darüber, dass sie das Management erst seit April innehat.
Ja, und hoffentlich fährst du den Laden an die Wand, du Kretin.
Janas Handy gibt ein akustisches Signal von sich. Eine Whatsapp. Man werde sich verspäten. Verkehrschaos. Bei Montespertoli sei eine Straße überflutet. Ein Kaffee wäre eine Idee, auch wenn er entsetzlich schmeckt, aber neuerdings befindet sich im Bogengang zum Frühstücksraum und zur Küche eine Tür.
Ganz toll im Rollstuhl, aber nicht unüberwindbar. Wütend zerrt sie sie auf, sieht sich in der leeren zauberhaften alten Küche vor der gigantischen Siebträgermaschine stehen, und fragt sich, weshalb niemand da ist, den sie nach einem Kaffee fragen kann.
Sie lässt den Blick schweifen. Was sie sieht, verschlägt ihr den Atem. Das ist doch…
Zornig fabriziert sie sich den Kaffee selbst, eiert irgendwie, mit dem Becher in der einen Hand, mit dem Rollstuhl wieder ins Foyer zurück, wo das Bewerbungsgespräch seinen weiteren Verlauf nimmt.
Ob denn noch altes Personal hier arbeite, will der Bewerber wissen.
„Zum Teil“, gibt die Señora zurück. „Einige Mitarbeiter haben gekündigt.“
Das ist nicht wahr. Du hast Dorina und den besten Mann gefeuert, und ehrlich, jetzt, wo ich das hier sehe…
Irgendetwas an Janas Gesichtsausdruck lässt die Señora aufblicken. Das strahlende Lächeln nach wie vor falsch, fragt sie, auf Englisch natürlich: "Ist alles in Ordnung?"
Jana hebt den Pappbecher mit der Plörre an. „Sieht es so aus?"
Die Replik ist ein irritiertes Blinzeln.
"Ich fahre nach Florenz, um einen Kaffee aus einem Saeco-Vollautomaten zu trinken? Meinen Sie das Ernst? Ich habe zuhause eine Siebträgermaschine, und muss in Italien ungenießbaren Kaffee trinken."
Lopez verengt die Augen, grinst aber weiterhin falsch. "Aber das ist komfortabler. Sie können sich jederzeit einen Kaffee holen."
"Vor zwei Monaten noch wurde mir jederzeit ein Kaffee gemacht. Mit einem echten Lächeln und aufrichtiger Herzlichkeit von jedem, der gerade greifbar war. Aber wahrscheinlich haben Sie alle gefeuert, die die Maschine bedienen können."
"Der neue Service…"
Jana winkt ab. Sieht woanders hin. Sie kann sich das Drama vorstellen, das sich abspielte, als die Señora mit den Vollautomaten für Café-Funghi um die Ecke kam. Sieht Micheles Gesichtsausdruck.
Ihr habt ihn rausgeworfen, weil er alles besser kann als die Señora. Ihr konntet euch nur auf Englisch unterhalten, aber selbst das kann er besser, weil es die Sprache seiner Mutter ist. Muss sich schlimm angefühlt haben.
Jana stellt die Plörre in Pappe vor der Señora ab, weil eine weitere Nachricht eingegangen ist. Sie liest sie auf dem Handy ab. Enteilt ohne Abschied. Lässt sich draußen umfangen und begrüßen.
Der Regen hat aufgehört. Über dem Palazzo Medici-Riccardi kämpft sich die Sonne durch die tiefschwarzen Wolken. Streichelt sanft den lohfarbenen Stein, wie Dorina ihre Seele.
„Ich habe eine Wohnung gefunden“, quasselt die direkt aufgeregt. „Airbnb aber tageweise und barrierefrei. Direkt hinter San Marco.“ Dorina zeigt aufs Kloster auf der anderen Seite der Straße. „Du musst hier nicht mehr wohnen.“
„Ohne euch“, seufzt Jana, derweil sie sich im Autositz zurücklehnt, „ist es auch nur noch ein Hotel."