(Freitag 4:55 Uhr bis 5:40 Uhr)
Kurz vor Ostern 2001, irgendwo in Jütland/Dänemark
„Sie sind da“!“, ruft Tim aus dem Arbeitszimmer, dessen Fenster zur Straße liegt. Ich werfe die Bügelwäsche von mir und rase strahlend vor Freude hinaus.
Sie sind da.
So verlässlich wie die Gezeiten tauchen Sanne und Jonas mit Hund jedes Jahr kurz vor Ostern bei uns in Jütland auf.
Ostern, im Sommer zwei Wochen und kurz nach Weihnachten über Sylvester nehmen sie die lange Fahrt von 800 Kilometern auf sich, um uns unsere Auslandsjahre zu versüßen.
Meine beste Freundin.
Die Wagentüren öffnen sich, Hund Tara, Münsterländer, rast schwanzwendelnd auf mich zu, hüpft an mir hoch und kann ihre Freude kaum kanalisieren.
Sanne springt dynamisch aus dem Auto, zwängt sich zwischen mich und den Hund, wir umarmen uns fest. Auch Jonas, ihr Liebster freut sich, kann sich das Schwanzwedeln aber eben noch verkneifen.
Angesichts des Hundes hält sich die Freude unserer Katzen in Grenzen. Kater Narses wetzt in Voraussicht auf die Neu-Regulierung der Verhältnisse die Krallen. Minka positioniert sich missmutigen Antlitzes auf der Küchenanrichte, um nichts, das hereingetragen wird, zu versäumen.
Apropos verpassen. Katze Billund verpasst zunächst alles. Doch sobald sie den Besuch ihrer Hundefreundin mitbekommen haben wird, wird ihre Freude gigantisch sein, auch wenn sie gleichwohl aufs Schwanzwedeln verzichten wird.
Dann wird reingetragen.
Natürlich reisen sie mit Gepäck, das sich als das kleinste Problem entpuppt.
Deutlich größer sind stets die Mengen Lebensmittel, die auf Veranlassung Barbaras, Jonas Mutter‘, nach Jütland geschleppt werden. Offenbar hat sie von Dänemark eine Vorstellung, die der Sahelzone gleicht.
Klappkiste über Klappkiste findet den Weg in die Küche.
„Du lieber Gott“, kichere ich, während ich die Grappasalami, den Büffelmilchmozzarella, den Danone-Yoghurt und Unmengen Vergleichbares in den Kühlschrank räume.
„Ja“, Susanne schwingt mit einer Flasche Pinot Grigio in der Hand herum, „Das kriegen wir nicht aus ihr raus.“
„Macht ja nichts“, ich reibe mir die Stirn, pfusche mich am Hund vorbei, der außer sich vor Freude das Katzenfutter entdeckt hat und es inhaliert, „Ist ja auch schön.“
„Hier kommt die Osterkiste.“ Jonas schleppt die letzte Klappkiste herbei und wuchtet sie auf die Arbeitsplatte. Mit vor Glückseligkeit gespannten Gesichtern räumen wir sie aus, nicht ohne Jonas mit Hund aus der Küche gescheucht zu haben.
Kleine Geschenke, die wir erst Ostern öffnen werden, liegen oben auf und werden ordentlich neben den Vollautomaten gestellt.
Susanne greift in die Kiste und holt ein Six-Pack lackierter Eier hinaus. „Ostereier“, sie grinst schief über ihre Schwiegermutter, „Als ob es in Dänemark keine Hühner gäbe.“
Ein Glucksen steigt in mir auf, das sich in echtes Vergnügen wandelt, als sie den nächsten Inhalt ins Freie entlässt. Vier mittelgroße Lindt-Hasen.
Wie ein Kind hüpfe ich auf der Stelle. „Oh, ach!“, jauchze ich, „Herrlich!“
Denn die gibt es hier nicht.
Ebenso wenig wie Milka Noisette, was das Erste war, das ich mir im 5-er Pack von unserer ersten Flensburg-Einkaufstour mitgebracht habe, und was mir dann direkt die Figur ruiniert hatte.
Ist schon wieder gut.
Hier kann man viel Fahrrad fahren.
Am Nächsten Morgen, es ist Gründonnerstag, haben wir am Frühstückstisch eine lange Debatte darüber, dass die Geschäfte hier schon zu haben.
„Gründonnerstag?“, Jonas bestreicht sich sein Brötchen mit Marmelade, „echt?“
Ich zucke die Achseln. „Ein protestantisches Land, das Ostern sehr genau nimmt.“
„Samstag können wir noch was kaufen, falls was fehlt“, murmelt Tim.
„Was sollte den fehlen“, quietscht Sanne“, wir haben Care-Pakete für drei Wochen.“
„Und Lindt-Hasen“, strahle ich und gebe Katze Minka ein Stück gekochten Schinken nach unten, „Über die freue ich mich so.“
Mittags bei strahlendem Sonnenschein sitze ich mit Susanne auf der Bank unter unserer gigantischen Birke. Damals ging das noch, die Allergie suchte mich erst vier Jahre später heim.
Eng wie beste Freundinnen, die sich vermisst haben. Ihr Kopf auf meinem Schoß, spiele ich mit den einzelnen Strähnen ihres dichten blonden Haares.
„Meinen Hasen esse ich am höchsten protestantischen Feiertag“, summt Sanne leise, „habe ich Jonas gesagt.“
Womit sie auf ihr alljährliches, religionsfreies Fasten zwecks Wiederherstellung einer Bikinifigur anspielt
„Ich glaube, ich esse meinen gleich“, meine Augen ruhen zufrieden auf Billund, die mit dem monstergroßen Hund im Garten spielt. Der seinerseits gestern, am frühen Abend, noch eine Ansage von Kater Narses bekommen hatte und seither wieder weiß, dass er alles darf, nur nicht ihm und Katze Minka auf den Sack gehen. Inmitten der territorialen Verhandlungen durften wir den Kater vom Hund abheften, da er sich mit allen Vieren in dessen Rücken verkrallt hatte. Seither widmet sich Tara der Katze, die sie liebt.
Herzig sehen die beiden aus.
Zauberhaft, sie alle hier zu haben.
„Ich hätte ja auch Appetit“, sagt Sanne leise.
„Ich gebe dir ein Stück von meinem und du isst deinen am höchsten protestantischen Feiertag“, ich runzele die Stirn, „Also morgen. Karfreitag. Warum ausgerechnet dann? Das hat er geglaubt?“
"Glaub nicht. Ist ja auch nur ein Spiel", sie macht eine zerknirschte Miene, „Ich will halt nicht bis Ostersonntag warten.“
„Ich will nicht bis morgen warten. Außerdem habe ich so was ja nicht gesagt“, grinse ich breit und bedeute Susanne, aufzustehen.
Sie sitzt neben mir auf der Bank, von der ich mich träge hochschraube. „Bringst du mir meinen mit?““
„Aber es ist doch erst Gründonnerstag.“
„Das weiß doch Jonas nicht.“
„Klar, weiß er, dass Donnerstag ist.“
„Schon aber er ist katholisch und kommt aus Polen. Wenn ich dem sage, Gründonnerstag wäre der höchste protestantische Feiertag, glaubt er es schon deswegen, weil wir hier in einem protestantischem Land sind.“ Ihre Wange spannen vor Vergnügen.
„In dem auch Gründonnerstag alle Geschäfte zu haben“, resümiere ich, „Ich bringe deinen mit.“