Mal wieder Aktenzeichen XY, davon nur das letzte Drittel, weil wir erst kurz zuvor heimgekommen und ermattet auf das Sofa gesungen waren. Die Thematik war, wie immer, nie erquicklich. Lustig dafür aber die Befähigung zur freien Rede sämtlicher zugeschalteter ermittelnder Beamter.
Sie barsten, wie stets vor unfreiwilliger Komik oder sie täten es, wenn es nicht so tragisch wäre. Wenn ich einen authentischen Kriminalroman schriebe, und keine Krimi-Satiren, müsste ich deren Verbalakrobatik kopieren. Das Ergebnis würde mir jeder Lektor um die Ohren schlagen, also lieber Satire, oder…
"…der Verdächtige trug eine auffällige orangene Warnweste…"
"Wäre schlimm, wenn sie nicht auffällig wäre", murmelt der Liebste neben mir. Ich Ich nicke nur.
Gehört, was er sagte, habe ich durchaus. Wie immer reißt mich ein banales Ereignis wie XY gucken, in Kombination mit irgendeiner seiner vollkommen richtigen Bemerkungen in die Idee einer Satire-Szene…
Ein dunkler PKW halb im Graben, das Heck auf dem Standstreifen. Der Fahrer flucht, hämmert wütend auf das Lenkrad ein.
"Was für eine Scheiße." Er löst den Gurt, stößt die Tür auf. Mühsam schraubt er sich aus dem Wagen, kriecht die Böschung entlang zum Kofferraum, den er, durch die Schieflage erschwert, nur schwer öffnen kann. Mit dem Oberkörper im Kofferraum versunken, kramt er in den Hinterlassenschaften seines letzten Einkaufs, bis er fündig wird. Mit Warndreieck und Weste klettert er hoch zum Bankett. Tiefe Finsternis und eisige Kälte umfangen ihn, als er die Weste anlegt, und vorne schließt. Er lauscht.
Das ist nichts als eisige Ruhe. Kein Mensch weit und breit, und das im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. Gereizt schaut er auf die Uhr. Und das um erst 23:10 Uhr.
Als er sich mehrere Meter, mehr staksend als gehend, vom Wagen wegbewegt, konstatiert er, wie glatt es war.
"Blitzeis", murmelt er mit Blick auf dem Asphalt.
Erleichterung überkommt ihn erst, nachdem er das Warndreieck positioniert hat. Er reibt sich die Hände an der Jeans, dann gegeneinender, um sie zu wärmen. Hier ist nichts. Dunkle Wolken jagen über den Himmel, kein Fahrzeug weit und breit, kein Motorenlärm, nur Winterstille, denn auch die nächste Ortschaft ist weit fort. Die schwarzen Wolken im Bleigrau des Himmels zerfetzen für einen Zeitenbruchteil. Kalter Wind rauscht, und das silbrige Mondlicht zeichnet bizarre Geästschatten auf die finstere Straße. Zwei Schritte, dann schlittert er wieder. Vielleicht wäre es besser, mitten auf der Straße zu gehen. Die Dunkelheit ist wieder vollkommen, aber dafür hat er ja die Weste, denkt er, als er das Handy aus der Hosentasche zieht, um den ADAC…
Nanu, was ist das denn?"
Scheinwerfer nähern sich.
Er gestikuliert hektisch.
Sie rasen heran.
Weshalb? Das versteht er nicht. "Warum, ich hab‘ doch die Westeeeeeee…"
Newsflash
"Hier ist Susi Sendich vom GDD-Fernsehen. Vor wenigen Stunden kam es auf der L477 bei Niederaußem zu einem schrecklichen Unfall. Der Fahrer eines verunglückten Fahrzeuges wurde von einem Schwertransporter erfasst und mehrere Meter mitgeschleift. Neben mir steht Herr Dröge, Hauptkommissar und Leiter der SoKo KLO, dem Kommando Landstraßen-Operation. Können Sie bereits etwas über den Unfallhergang sagen?"
Susi richtet sich das Haar und streckt Herrn Dröge das puschelige Wintermikro vors Gesicht, das seine Dienstmütze touchiert. Er fängt sie in letzter Sekunde. "Bisher können wir nur mit Gewissheit feststellen, dass das Opfer eine zu unauffällige Warnweste trug."
Ich blinzele. "Warnweste. Es wäre schlecht, wenn sie nicht per se auffällig wäre."
Er greift nach meinem Wasserglas. "Dann wäre es eine Tarnweste", erwidert er grinsend, ehe er am Getränk nippt.
"Und wer hat schon eine Tarnweste im Auto."