Gestern Abend schaffte ich keine Geschichte zu dem Prompt, weil ich unter Zeitdruck stand. Aber er ließ mich nicht los, wuselte wieselflink in meinem Kopf und überlagerte alle fiktiven Stories, die ich würde daraus mache können. Denn Unter-Zeitdruck war der Prompt meines Lebens.
Also versuche ich ein paar Anekdoten, alltäglicher Unsinn gewissermaßen. So viel in eine Stunde passt.
Es ist der Abend meines vierundzwanzigsten Geburtstages. Der Liebste, damals schon derselbe, macht sich auf, um bei Baskin Robins mein Lieblingseis zu holen. Rocky Road, Schokolade mit Marshmallows. Klingt furchtbar, war es aber nicht.
Ich warte, innerlich strahlend und sehe aus dem Hotelzimmer auf den Atlantik. Es ist Oktober, aber das heißt in Miami Beach nichts. Der Himmel ist blau, die Wellen rauschen. Schlicht; alles war ruhig, in mir ein Rundumwohlgefühl. Von Hektik keine Spur, was sich schlagartig ändert, als Tim mit dem Eis zurückkommt. Gespickt ist es mit Kerzen, die nicht ausgehen, wenn man sie auspustet.
Sehr witzig. Besonders, wenn sie auf dem Fernseher stehen.
Direkt unter dem Brandmelder.
Der sofort los jault.
Das ganze Hotel ist in Aufruhr. Er sprintet los, die drei Etagen hinunter zur Rezeption, denn er ist gehörig unter Zeitdruck. Hotels haben eine Direktschalte zur Feuerwehr.
Ich schmeiße das Eis ins Waschbecken, lösche die Kerzen und flitze hinterher. Das ging damals noch, das war fünf Jahre vor dem Rollstuhl. Unterwegs überhole ich Menschen in Bademänteln, ihre Gepäckstücke in Händen. Als ich unten ankomme, sehe ich ihn über den Tresen gelehnt. Die Rezeptionistin beruhigt ihn.
Gerade noch rechtzeitig.
Andere Situation, anderer Ort, Jahrzehnte später. Die heimische behindertengerechte Garage. Mustergültig funktioniert alles automatisch. Ich habe sie, büromässig aufgebretzelt, durch die Tür, die aus dem Haus direkt hineinführt, erreicht. Ich sitze schon im Auto und betätige den Knopf, mit dem sich das Garagentor öffnen lässt.
Nichts tut sich.
Gehetzt schaue ich auf die Uhr.
Ich drücke den Knopf.
Es knirscht furchterregend, aber das Tor rührt sich nicht.
Ich habe eine Besprechung um 9 Uhr, verdammte Axt.
Es ist sieben Uhr.
Ich betätige den Knopf.
Es ruckelt lauter, aber das Tor rührt sich nicht vom Fleck.
Und jetzt?
Erst mal auf der Arbeit anrufen und die Situation schildern.
Leider habe ich einen Vorgesetzten, der sich nicht eben durch geistige Flexibilität auszeichnet, weshalb sich der Dialog kompliziert gestaltet.
„Ich sitze im Auto und die automatische Toröffnung funktioniert nicht. Die Unterlagen für die Besprechung sind....“
„Verstehe ich nicht.“
„Ich habe nichts anderes erwartet.“ Nebenher versuche ich es noch einmal. Jetzt rumpelt und knirscht es nicht einmal mehr.
„Man kann die doch auch manuell öffnen“, kommt es blöd aus meinem Handy.
„Ach was.“
„Normalerweise ist oben...“
„Genau, Herr Strom. Oben.“
„Ja, und?“
„Ich sitze worin?“
„Aaah.“ Der Groschen ist so laut gefallen, dass ich es bis in meine Garage höre. „Kann ihnen nicht jemand...“
„Mein Mann kommt heute erst von einer Dienstreise zurück. Er ist in Litauen.“
„Nachbarn können vielleicht...“
„Ich wohne hier auf dem Land. In einer Sackgasse am Waldrand. Hier gibt es keine Passanten.“
„Und wenn sie klingeln?“
„Vor jeder Tür sind drei Stufen.“
„Ja, und..?“
„Ich sitze worin?“
„Rollstuhl, verstehe.“
„Jetzt schon?“
Ich beende das fruchtlose Gespräch und steige aus, was mit einigem Aufwand verbunden ist, weil ich den Rolli über mich hebe, beide Räder aufstecke und umsetze. Die meisten arbeitenden Nachbarn sind schon weg. Die, die nicht arbeiten, möchte ich nicht mit einem Anruf wecken. Ich stehe auf der Straße und warte auf Gassigeher.
Mir fielen noch mehr Anekdoten ein, aber die Stunde ist rum.