Angefangen hat alles mit dieser Frau. Zuerst hatte ich nicht gesehen, dass es überhaupt eine ist. Ich schwirrte über dem Schlachtfeld und gestehe, unaufmerksam gewesen zu sein, weil seit dem Auftauchen des Heilands nicht mehr so viele Leute nach Walhalla gebracht werden können. Die meisten, die fielen, fuhren gen Hölle oder Himmel; mit deren Auswahlkriterien kenne ich mich bis heute nicht aus. Aber während unter mir in der warm hin gebreiteten Landschaft vor Durazzo die Schlacht tobte und ich mir gelangweilt die Nägel polierte, erweckte sie meine Aufmerksamkeit allein durch einen wütenden Schrei.
Verdutzt sah ich hin. Die Waffen klirrten. In einem wilden Knäuel schlugen die Ritter aufeinander ein. Ein Schwarm Krähen nach dem anderen flog über das irre Schlachtfeld. Brüllend und mit erhobenem Schwert saß auf ihrem Pferd diese eine tapfere Kriegerin. Staubwolken wirbelten um sie herum, als sie mit ihrem Kontingent auf eine Reihe byzantinischer Soldaten zu donnerte. Schreiend warf sie sich mitten rein und stieß mit der Waffe zu. Die Schwertspitze drang mühelos in die Leiber der Feinde.
Ich warf das Polierstäbchen von mir und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Dabei verscheuchte ich die nervigen Krähen, die mir die Sicht nahmen. Als die Schlacht vorbei war, nahm ich niemanden mit. Natürlich waren Männer gestorben, aber die meisten waren Byzantiner und die toten Normannen waren Verblendete. Ich konnte nur an die Frau denken. Auf der einen Seite dankbar, einer Entscheidung enthoben worden zu sein, weil die Kriegerin hatte weiter leben dürfen, verspürte ich aber doch die Ungerechtigkeit in dieser Sache wie ein leises Jucken, das immer heftiger wurde, je näher ich Asgard kam. Schnell war ich unterwegs, weil ich eine unerklärliche Dringlichkeit verspürte und so kam es, dass ich Gerda, die ohnehin einen Hang zum Trödeln hatte, in der Mitte der Regenbogenbrücke einholte. Gerda streifte mich mit einem Seitenblick.
„Und?“, fragte sie missgelaunt und meinte die Arbeit. Ich schüttelte so heftig den Kopf, dass meine Flechten hin und her schwangen.
„Es ist keiner gestorben. Und bei dir?“
Gerda hob resigniert die Schultern. „Doch, schon, aber das war ein Feigling. Ich hätte das nicht machen können“, ihr Gesicht wurde vor Empörung rosig. „Du weißt, dass Urda und Svenja jeden Scharlatan mitnehmen, weil Walhalla immer leerer wird."
„Das stimmt“, ich legte die Flechten nach hinten, „aber stell Dir vor, was ich gesehen habe.“ Erregt schilderte ich den Kampf der Frau bis ins kleinste Detail, übte mich im Schattenkampf, indem ich Finten und Finessen imitierte und am Schluss strahlte ich Gerda euphorisch an. „Stell dir vor, wir könnten Frauen wie sie mit in die Halle nehmen, wenn sie fielen!“
Eben noch gefesselt von meiner Rede ließ Gerda die Schultern hängen. „Das würde Odin nie erlauben.“
Ich hüpfte auf der Stelle. „Aber wenn wir mit ihm reden?“
„Nein, nie würde er das erlauben, glaube mir.“
Ohne zu antworten setzte ich meinen Weg fort. Gerda hatte wohl Recht, ich befürchtete ja selbst, Odin würde mich hochkant aus dem Saal werfen, wenn ich ihm mit einer solchen Idee käme.
Aber das war nicht gerecht. Es war einfach nicht fair!
Gleichzeitig mit dem Tor der ersten Morgenröte erreichten wir Asgard. Auf den Wegen an den einzelnen Palästen vorbei wurden wir mehr und als gleißendes Damendreieck zogen wir nach Valaskjalf. Unterwegs schilderte ich mit erhitztem Wangen, was ich gesehen hatte. Alle Schwestern lauschten ehrfürchtig, blickten aber zur Seite, als Schwanhild mit einem Krieger kam. An uns vorbei schwebte sie mit ihm gen Thronssal, die Torwächter öffneten die schweren Eichenholztüren und ließen sie ein.
Wut stieg in mir auf, denn ich hatte es gesehen:
Seine Wunden waren am Rücken!
Sie bringt einen Scharlatan mit, der vom Schlachtfeld getürmt war, während dort unten Frauen kämpften?
Die sich in mir manifestieren Wut drohte mich zu verbrennen. So durfte es nicht bleiben!
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Jemand rüttelte Thor aus dem Halbschlaf und als er blinzelnd die großen blauen Augen aufschlug, sah er in das zerknirschte Gesicht seiner Schwester Gunda. Er schwang sich in eine sitzende Position und rieb sich müde das Gesicht. „Was ist denn? Du siehst aus, als wäre etwas passiert.“
„Vater ist stinksauer. Er will dich sofort sehen.“
„Hm.“ Er nahm sein Bärenfell, das er sich um die Schulter hängte, schnallte sich Gürtel mit Hammer um und folgte Gunda aus seinem Gemach. Dabei fragte er sich, was los wäre, denn ihm war eine gewisse Unruhe bei den Walküren aufgefallen. Hoffentlich machten die Mädels keinen Unsinn.
Im Vorbeigehen bemerkte er den verwaisten Schreibtisch des Sekretärs. Offenbar hatte man alle Sendboten und Bittsteller nach Hause geschickt. Allerdings machte er eine lautstarke Ansammlung vor der Pforte zum Thronsaal aus, die sich beim Näherkommen als gut zwei Dutzend Walküren entpuppte, die aufgeregt durcheinander schnatterten. Einige hielten Plakate und Schilder in die Höhe, auf denen in knappen Runen die Aufnahme kämpferischer Frauen nach Walhalla gefordert wurde. Als sie die Herannahenden bemerkten, skandierten sie Parolen im Chor „Die Maulhelden nach Hel! Frauen an die Kriegertafel!“
Mühsam schoben sie sich durch den aufgebrachten Pulk zerzauster Walküren. Als die Wachen die Türen aufstießen, drängten sie mit hinein, doch der Versuch scheiterte. Im Inneren hörte man ihre aufgebrachten Flüche und wie kräftige Frauenfäuste gegen das Eichenholz hämmerten. Im Thronsaal aber herrschte eisige Stille. Odin und Frigg saßen auf ihren Thronen, aber auf der Bank neben dem Brunnen Nimir, der Odin den Blick in die Welt öffnete, hockte zusammengesunken eine Walküre und versuchte zu verbergen, wie nervös sie war.
„Ihr habt mich gerufen, Vater? Ist es wegen der Weiber?“ Er zuckte mit dem Daumen zur Tür.
"Hör Dir das an", grollte Odin und blickte im grellweißen Saal des Palastes auf die Gesichter derer, die am silbernen Tisch saßen. Drei Walküren mit zerzausten Zöpfen, die Helme lagen vor ihnen auf dem Tisch, und zwei davon bleich wie der Tod, als wäre ihnen erst jetzt aufgegangen, mit wem sie hier sprachen, von wem sie es wagten, etwas zu fordern. Dass ihre Sprecherin neben dem Brunnen vor Aufregung glühende Wangen hatte, sah zwar überaus reizend aus, doch im Augenblick stimmte ihn das nicht milde, denn ehrlich gesagt, verstand er nichts von dem, was sie wagten zu verlangen. „Erzählt Thor von dem Unsinn, den Ihr da faselt! “
„Ich versuche", sagte die Frau neben Nimir mit brüchiger Stimme, "zu sagen, dass die Halle voll ist mit Feiglingen, aber dort unten Frauen in Kämpfen und Kriegen fallen, die einen Ehrenplatz verdient hätten.“
„Feiglinge! In Walhalla!“ Odin sprang auf und wanderte mit einer Hand am Kinn und wehendem Purpurumhang durch seine große Halle. An einem der Bogenfenster blieb er stehen und spähte zum Tisch zurück. „Feiglinge, also. Und wie kommen sie da hin?“
Sie rutschte so tief die Sitzfläche der Bank hinab, dass sie beinahe hinabstürzte. „Einige von uns haben ein Auge zugedrückt“ wisperte sie und klappte sofort ängstlich die Lider zu.
„Wer?“ Sein Zorn ließ Odins Stimme grollen.
„Das tut doch nichts zur Sache Vater, vielleicht solltest du….“
„Wage es! Was fällst du mir ins Wort?“
So leicht war der Lieblingssohn nicht zu schrecken. In versöhnlichem Tonfall meinte er: „Sei doch nicht so erregt, Vater. Was hätten sie tun sollen? Walhalla wurde immer leerer, die alten Kämpen begannen sich zu langweilen. Auch hofften sie auf ein Wiedersehen mit den Gefährten. Laste es den Mädchen nicht an, Vater.“
Odin trat einen Schritt vor. „Nenne mir jemanden, der zu Unrecht dort sitzt.“ Zwar funkelte sein blaues Auge lebhaft, aber offenbar war er nun tatsächlich interessiert.
Sie wühlte in ihren mitgebrachten Papieren. „Ähm, naja, also zum Beispiel Harald Blauzahn.“
„Ihn traf ein Pfeil aus dem Hinterhalt“, tat Odin das ab. Der Großteil seines Zorns war verraucht.
„Äh, hm, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber in Wahrheit ist er an einer Zahnfleischentzündung gestorben.“
Verblüfft guckte Odin zu Thor. Der hob die Schulter: „Aber als er lebte, hatte er ja trotzdem tapfer gekämpft“, wandte der diplomatisch ein.
„Ja, schon, aber wir….äh sollen ja, hm, wenn sie im Kampf fallen….“, sie straffte ihre Schultern, „ich habe damals gesehen, wie er sich mit einem Lappen auf der Backe im Bett gewunden hat. Er hat derartig gewinselt, dass seine Hunde getürmt sind. Ich wollte ihn nicht mitnehmen, aber die anderen…..“
Thor, der einen herannahenden Wutanfall seines Vaters spürte, sprang für sie in Bresche. "Also noch mal von vorne: Ihr möchtet die sogenannten Scharlatane aus Walhalla entfernen und künftig tapfere Frauen mitbringen."
Sie nickte so energisch wie sie konnte.
"Warum?"
"Welche Senkgrube wäre die Erde, wenn es nicht immer wieder Frauen gäbe, die unausgesprochene Versprechen halten. Für die vielen laut beschworenen, die von Männern gebrochen werden." Bei allen gestammelten Worten zuvor, bockte die Rede jetzt merklich. Dennoch,
das Mädchen sah aus, als fiele es gleich in Ohnmacht. Und sein Vater, als wollte er Ragnarök herauf beschwören. Die Schultern leicht gehoben, stand er ihr gegenüber wie ein großer wartender Raubvogel und starrte sie mit zuckungslosem Auge an.
"Ich finde, sie hat Recht."
Überrascht wandten sie die Köpfe zur Empore. Auf dem Thron saß Frigg; Odins Weib, das bis jetzt geschwiegen hatte, "Deshalb mache ich einen Vorschlag."
"Was willst Du Weib?", Odin sah noch nicht besänftigt aus.
Frigg legte ihren Stickrahmen auf den Schoß. "Bringt die Totenbücher in Ordnung. Entfernt die Scharlatane aus Walhalla. Und dann gebe ihr einen Auftrag. Wenn sie ihn erfüllt, erlaube die Aufnahme von Frauen nach künftigen Kämpfen."
"Auftrag?", wisperte die Walküre scheu.
Erst hörte er dumpf an ihren Worten vorbei, dann leuchtete Odins Auge. "Ja", mit einer Hand fuchtelte er in der Luft herum, "Es gibt ein paar echte Helden in der christlichen Hölle, die dort nichts verloren haben. Bring sie her. Wenn Dir das gelingt, haben wir einen Deal."