Herbstanfang?
Bitte nicht.
Jana C. Neuenbach war weder von Antidepressiva noch von irgendetwas anderem süchtig. Sie litt auch nicht unter ständigen Depressionen oder war seelisch labil oder selbstmordgefährdet.
Sie war einfach nur stur.
In ihr lebte die erklärte Absicht, weder an Herbst noch an Winter irgendetwas Gutes zu finden. Eine Absicht, die auf jahrelangen, nein jahrzehntelangen Erfahrungen beruhte und sich in jedem Jahr neu verfestigte.
Wenn sie sich zum Beispiel daran erinnerte, wie ihr Studium damals begann, wollte sie nichts lieber tun, als sich unter einem dicken Federbett zu verkriechen.
Unvergesslich, der Herbststurm, durch den sie sich gekämpft hatte. Der Südwestwind rüttelte an ihrem Schirm, so lange, bis er nach dreimaligem nach außen klappen kapitulierte und sie ihn wutschnaubend in eine Mülltonne pfefferte. Mit ihrer schweren Tasche beladen stapfte sie über glitzerndes Laub, überschüttet von den durch Pfützen vorbei rauschenden Autos auf der viel befahrenen Inneren Kanalstraße, und erreichte den Hörsaal ihrer allerersten Vorlesung begossen wie der berühmte Pudel.
Wo sie frisurlos mit klammen Fingern einen Stift umfasste, und versuchte, sinnvolle Sätze auf gewelltes Papier zu schreiben.
Wenn man abergläubisch wäre, aber das war sie nicht, hätte man sagen können, das Studium stünde unter keinem guten Stern.
So einen richtigen Zugang zur Philosophie hatte sie auch nie gefunden.
Das hatte auch ein wenig an den aufgeblasenen Sätzen gelegen, die ein Kommilitone, dessen Gesicht sie heute gelegentlich aus Zeitungen heraus anglotzt, absonderte, und die ihr den Spaß an diesem halb aus Verzweiflung gewählten Nebenfach verdarben.
Mit Geschichte lief es deutlich besser, aber das war ja auch ihre erste Wahl.
Nicht besser lief es mit dem Herbst, Nebenfach Winter, was insofern eigenartig war, dass sie im Oktober Geburtstag hat und ihr die sogenannten Herbstfarben in modischer Hinsicht hervorragend stehen.
Es war, als hätte eine übergeordnete Instanz beschlossen, ihr die Hälfte des Jahres so schwer wie nur irgend möglich zu machen, indem sie sie ständig mit Wassermaßen übergoss, sie auf nassem Laub ausrutschen ließ, und abknickende Äste so auf ihren Weg wehte, dass sie davon noch gestreift wurde, damit sie ja verletzt in einer Krankenhausambulanz ihren Vormittag zubrachte.
Schimpfend hatte sie das Krankenhaus im regengepeitschten Sturm erreicht, und als sie mit geschientem Arm herauskam, glitzerte die Sonne höhnisch auf buntem Laub.
Herzlichen Dank, auch.
Und es wurde ja nicht besser.
Da war zum Beispiel der Tag, an dem sie im nassen Nieselnebel, es war noch dunkel und würde den ganzen Tag nicht heller werden, entschied mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Meist ging sie zwar zu Fuß, weil es nur zwei Stationen waren, aber angesichts der Nässe und des Herbstes generell, der ihr bereits zwei Schirme zertrümmert hatte, wollte sie das an jenem Tag gar nicht erst versuchen.
Am Kiosk nebenan erwarb sie eine Schachtel Zigaretten nebst einem Kölner Stadtanzeiger und stiefelte auf die Bahn zu, die sie unversehrt bestieg.
Als sie ausstieg und im wabernden Nebel hinter den anderen Fahrgästen den Fußgängerüberweg überquerte....
Den folgenden Herbst verschlief sie im Koma, den Winter im Krankenhaus und es war Frühling, der einen zauberhaften Sommer versprach, als sie das Krankenhaus verließ.
Seither geht das im Grunde so weiter.
Im Herbst parkt sie ihr Auto auf einem Behindertenparkplatz, hebt den Rollstuhl über sich, und positioniert ihn ihn neben der Fahrertür, um dann umzusetzen, nur um spätestens im Büro zu bemerken, dass sich unter dem gülden schimmernden Laub neben ihrer Fahrerseite auf dem Boden ein gigantischer Hundehaufen befunden hatte.
Der sich nun überall auf ihrem Rolli-Rad verteilt hat.
Und auf den Greifringen und damit auf ihren Händen.
Eine Spur aus Kot und Regen, geziert von gelben Blättern, die sie den Gang bis zu ihrem Schreibtisch hinter sich her zieht.
Aber was soll’s.
Allzu oft ist sie im Herbst ohnehin nicht auf der Arbeit, weil sie ganz speziell dieser Jahreszeitenwechsel immer gerne mit vernichtenden Nervenschmerzen, eine Folge des oben stehenden Herbstunfalls, überschüttet.
Die Gemütlichkeit eines in Wolldecke zugebrachten Lesetages, auf dem Tisch einen dampfenden Tee, der Sturm, der an die Fenster rüttelt, hat sich ihr nie erschlossen. Schon vor dem Unfall nicht.
Nach Besagtem gestaltet es sich schwierig, ein Stövchen nebst Tasse unfallfrei von der Küche auf den Wohnzimmertisch zu schleppen, weshalb sie oft nur Teebeutel nutzt.
Aber selbst da...
..du liebe Güte.
An einem verregneten Herbsttag kam ihr Kater nach Hause, hob die Nase schnüffelnd und folgte dem Duft von Kräutern bis zur Spüle, wo er den Beutel zerrupfte und den Inhalt in der gesamten Küche verteilte.
So was passiert im Sommer nie.
Im Winter wird es theoretisch etwas besser.
Der unter Laub verborgene Hundekot auf Behindertenparkplätzen und Bürgersteigen generell wird von Schnee abgelöst. Auf dem rutscht der Rollstuhl dann nur noch weg, und so findet sie sich nach dem Versuch, umzusetzen, zwischen Rollstuhl und Auto wieder, selbstredend mit nassem Hosenboden.
Aber das stinkt nicht so.
Was sich nicht ändert?
Nasse Rollstuhlreifen, mit und ohne Kot, wahlweise Schneematsch, den sie bei Heimkehr im ganzen Haus verteilt.
Nasse Katzenpfoten mit und ohne Schlamm, den drei Katzen bei Heimkehr im ganzen Haus verteilen.
Aber irgendwie schafft sie diese Jahreszeiten, obwohl sie mitunter wünschte, sie könnten nach Curaçao ziehen, wo das ganze Jahr über das gleiche Wetter herrscht. So völlig ohne Jahreszeiten.
Apropos Jahreszeiten; das vor drei Jahren am Ende ihrer Straße gebaute Seniorenheim regt sie fürchterlich auf, weil es dieses Restaurant hat. Das Lokal, gutbürgerlicher Küche, mit dem höhnischen Namen „Vier Jahreszeiten.“
Jedes Mal, wenn sie daran vorbei düst, mit ihrem Auto, einem Cabrio, was sonst, fragt sie sich, was man sich dabei gedacht hatte, das Restaurant ausgerechnet so zu nennen, um die Bewohner ja darauf aufmerksam zu machen:
Es gibt vier Jahreszeien.
Ihr befindet euch im Winter.
Hehehe...gehässiges Händereiben.
Absicht unterstellt sie dabei nicht.
Es ist nur so, dass anscheinend zu wenig gedacht wird.
Aber mal ehrlich, die ganze Geschichte ist doch witzig.
Mit Abstand betrachtet sind die Szenen des Lebens genau jene, die in Komödien das Publikum zum Lachen verleiten.
Deswegen lacht es ja.
Weil es sich selbst wieder findet, denn letztlich ist der Versuch des Einzelnen sich mit der Welt in Einklang zu bringen, zum lachen oder zum weinen.
Was davon man tut, unterliegt dem freien Willen, nimmt aber Einfluss auf die Art, wie man sein Leben führt.
Weshalb sie auch im Herbst lacht und Winterdepressionen etwas sind, was sie Figuren in den Geschichten, die sie schreibt, durchleben lässt.
In der Tiefe des Winters erfuhr ich schließlich, das in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt,
denkt sich Jana C. Neuenbach und schrubbt schon jetzt im Geiste ihr Cabrio für den nächsten Sommer.
Im Herbst und im Winter wird sie ein wenig schreiben. Am besten Satiren.
Vielleicht über eine Frau, die ständig verunfallt.
Mal sehen.....