Keine Geschichte, nur die Gedanken von jemandem
der nicht aufhören kann, zu denken.
Die beste Voraussetzung dafür,
das wirre Gefasel zu verstehen,
ist es, schon mal
The Big Lebowski
gesehen zu haben.
An Tagen wie diesen fühlt man sich fast schon schuldig, wenn man vor Freude taumelt. Dabei gehöre ich zu denjenigen Menschen, die sich wie Kinder freuen. Ich freue mich über viel, und sogar oft, und meist aus tiefsten Herzen. Also auch momentan, trotz der Nachrichten.
Und an Tagen wie diesen lenke ich mich ganz gerne vom Weltgeschehen ab, und wer Nachrichten guckt, weiß, warum. Morgens gucke ich mit dem ersten Kaffee in Tagesschau-online, und denke mir bei der Lektüre meinen Teil. Darauf möchte ich eigentlich nicht eingehen, nur soviel, dass es mir auf den Zwirn geht, dass offenbar alle glauben, in das Hirn Ivans des Schrecklichen schauen zu können.
Es gehen abstruse Gerüchte um, selbst in seriösen Medien (ZDF) durch seriöse Journalisten (Udo Lielischikies), nach denen er (Ivan) womöglich krank wäre und unter dem Einfluss von Steroiden stünde.
Keine Ahnung. Medikamente haben Nebenwirkungen. Eines der am häufigsten verordneten Medikamente gegen Nervenschmerzen durch Diabetes mellitus hat die Nebenwirkung Größenwahn, was ich bereits bei einem Kollegen beobachten konnte.
Das hatte im Falle meines Kollegen nur die Konsequenz, dass er allen auf den Zeiger ging. Das war so pathologisch, dass ich ähnliche Anzeichen schon mal bei einer mir eigentlich fremden Person im Dialog beobachtete.
Alles ist möglich.
Aber leider spekulieren auch alle alles.
Ich beschränke mich aufs Lesen der Nachrichten, denke mir meinen Teil und befasse mich darüber hinaus lieber mit dem Lesen, Schreiben und anderen Hobbys wie Sport und Flippern.
Vorgestern schafften wir The Big Lebowski ins Arbeitszimmer. Es handelt sich um einen Flipper, und da der Film desselben Titels einer meiner vier Lieblingsfilme ist, und ich gerne flippere, freute ich mich wie ein Kind darüber, dass er nun im Hause steht. Ich taumelte nahezu vor Freude, und dass ohne einen White Russian getrunken zu haben, noch habe ich Kekse gegessen.
Er steht bei uns zuhause!
Und zwar auf dem Teppich. Der wurde mit dem Flipper mitgeliefert.
The rug really ties the room together.
Absolutly.
Gelegentlich gehe ich rein, um ein Spiel zu spielen, möglichst dann, wenn der Liebste keine Online-Konferenz hat. Es wäre zu merkwürdig, wenn bei bedeutenden Fachgesprächen im Hintergrund jemand schreit: This is gonna happen, if you fuck strangers in the ass, Larry.
Mit dieser äußerst expliziten Drohung wird der Spielemodus eingeleitet, indem man vermittels eines am oberen Zusatzspielfeld angebrachten Flipperfingers und der Kugel das ohnehin ramponierte Auto des Dudes demoliert.
Oder ich schreie: "Strike!", weil ich auf der Bowlingbahn unter dem Spielfeld eben dies getan habe: einen Strike gebowlt.
Es sollte mir zu denken geben, dass ich dauernd Nihilisten-Multibälle habe. Insbesondere, weil ich mich nicht zu den Nihilisten zähle, aber vielleicht wollen sie mir etwas sagen, die Nihilisten.
Sie lehnen Ziele und Werte ab.
Tue ich nicht. Ich bin ein großer Fan von Werten, ganz besonders der Humanistischen. Mit Zielen ist das so eine Sache: jemandem, der mir vor langer Zeit mal vorbetete, man müsse zielfokussiert durchs Leben gehen, entgegnete ich, dass man dann die interessantesten Abzweigungen versäumt, weil man an ihnen vorbeirennt.
Ich liebe Abzweigungen. Sie eröffnen neue Wege, die niemals Sackgassen sind, denn wenn die asphaltierte Straße da nicht weitergeht, schlägt man sich eben eine Weile durchs Dickicht, bis wieder Besseres in Sicht ist.
Ich bog immer gerne falsch ab, schrieb Klausuren über den iugurthinischen Krieg, wenn ich eigentlich über die Gracchen schreiben sollte, das aber mit Akribie.
Es ist immer noch ähnlich. Irgendwie ist alles, was ich aus Versehen mache, besser als das, was ich mir vornehme.
Aber zurück zum Nihilisten-Multiball.
Streben, Wollen und Mühen sind bei diesem Flipper aktuell noch vergeblich, was meint, dass meine Punktzahl noch nicht so hoch ist, aber was soll ich machen? Die Musik lenkt mich ab.
Streben, Wollen und Mühen sind gegenwärtig in vielerlei Hinsicht vergeblich.
Ich strebe nach größtmöglicher Gelassenheit, denn was persönlich Ängste angeht, hat die Weltlage schon mal schlimmer ausgesehen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern, wie wir auf dem großen Balkon meiner Oma standen, den Sylvesteraketen nachschauten, und ich als KIND zuhörte wie mein Vater meinem Onkel erklärte, dass mit dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan der dritte Weltkrieg beginnen würde.
Man wundert sich, dass ich das noch weiß, aber ich war ein Kind, das in der Schule schon gezwungen wurde, The Day After zu gucken, und Jonny gots his first gun.
Dazu addiert führte das zu jahrelangen schlaflosen Nächte und Alpträumen, begleitete mich in die Pubertät, und war hauptursächlich für eine Phase von Leistungsverweigerung, weil ich stündlich damit rechnete, dass eine Atombombe auf Köln fällt.
Da erscheint alles Streben und Mühen sinnlos, also wollte ich nicht.
Vollkommen überreagiert, das weiß ich, aber es wäre eine Neuigkeit, wenn Reaktionen von Teenagern maßvoll wären.
Es gibt da diese Aufnahme der geschmolzenen Uhr aus Hiroshima, mit der ich gewissermaßen aufgewachsen bin. Jeden Morgen habe auf sie geschaut, jahrelang - bis ich Nietzsche las, den ich doof fand, aber bei Camus endete, der Nietzsche und Kierkegaard zu Ende dachte.
Ich hatte einen Ausweg gefunden. Wenigstens für mich.
Nichtsdestotrotz bin ich geübt im Aushalten von Weltschmerz.
Ich trainierte ihn dank Georg Bushs Desert Storm und war schon ziemlich abgeklärt, als wir Freunde zum Flughafen brachten, die in Tarnfleck und mit Waffe in den Kososvoeinsatz flogen.
Die flogen noch Linie! Und verursachten, wegen der deutschen Uniform und der Waffe diplomatische Zwischenfälle, als die Maschine außerplanmäßig in Zürich landete.
Der Tag, an dem ich zynisch wurde, war der, an dem Georg W. Bush behauptete, Hussein hätte 9/11 inszeniert. Die Lüge über die Massenvernichtungswaffen tat ihr Übriges.
Und nun?
Ärgere ich mich.
Am Sonntag kam mir das wie ein einziger Kindergarten vor.
"Joe, was hältst du von einem Meeting?"
"Was? Ach so, ja. Aber nur unter einer Bedingung. Wenn du nicht in die Ukraine einmarschierst." (Verschränkt die Arme vor der Brust)
Und im Hintergrund nölt Jens: "Der macht das! Das weiß ich ganz genau!"
Es sieht wohl aus, als hätte Jens recht gehabt, obwohl er den Großteil seiner Informationen bei Graf Zahl gekauft haben dürfte, der vor Jahren zischelnd verkündet hatte, der Diktator im Zweistromland hätte Massenvernichtungswaffen.
Letzte Woche kam mir Graf Zahl schon vor, wie die Zeugen Jehovas.
Am Mittwoch marschiert Ivan ein.
Tat er nicht, also verlegte man sich auf Demnächst, aber dafür ganz sicher.
Also lieber wieder Big Lebwoski, denn ehrlich, ich kann ja sowieso nichts dran ändern.
Mein Gesichtsausdruck und meine Gemütslage verändert die täglichen Nachrichten überhaupt nicht. Nichts wird besser, wenn ich mit nach unten gebogenen Mundwinkeln die Nachrichten verfolge, um irgendwo einen Wink auf Zuversicht herauszulesen oder herauszuhören.
Nichts ändert sich, wenn ich in eine depressive Episode versinke. Es juckt keinen, was ich darüber denke. Zumal Bill auch beleidigt ist und sich jetzt nicht mehr treffen will.
Mag wohl sein, dass er auf dem Standpunkt steht, er und Ivan hätten sich nichts mehr zu sagen.
Kann sein, dass er sogar Recht hat.
Aber das kann man nur herausfinden, wenn man miteinander redet, oder?
Selbst wenn sie sich nichts zu sagen haben, wäre es doch schön, wenn sie das nach zehn Minuten in einem Raum feststellten.
Und es nicht einfach behaupten, ohne es versucht zu haben.
Da ist kein Streben, kein Wollen und kein Mühen, nicht einmal mehr da, wo noch Werte sind, und nicht bloß Ziele.
Alles noch wie im Mittelalter, woraus ich messerscharf schließe, dass Streben, Mühen und Wollen tatsächlich als sinnlos wahrgenommen und deshalb unterlassen wird.
Die Nihilisten haben längst an meiner Tür geklingelt.
Demnächst nehmen sie noch den Teppich mit.
Dabei hält er wirklich den Raum zusammen.