Endlich betrat er einen frei dem Meer zugewandten Raum, eben von der fallenden Sonne überpurpurt. In der Mitte hielt sich sehr grade in die hohe Sessellehne gepresst ein Mann mit schütterem Spitzbart.
Es fiel ihm schwer, zu glauben, dass diese silbern schimmernde, fast durchsichtige Gestalt die Macht haben sollte, ihn endlich, endlich sterblich zu machen.
Wieder zurück in die menschliche Natur. Das war, was er wollte.
Wie hatte er glauben können, Unsterblichkeit wäre etwas Wünschenswertes?
Als er herausgerissen wurde aus dem Leben, damals, war er noch nicht fertig gewesen. Er hatte diesen Krieg zu Ende führen wollen, um sich die Kaiserkrone aufs Haupt zu setzen. Das wäre der einzige akzeptable Abschluss seines Lebens gewesen, weshalb er sich gesträubt hatte, zu gehen, selbst als Leichnam noch. An den Wänden des Sarges gerüttelt, gestemmt, gestoßen, bis er barst und er allein weitertrieb. Bis er gehoben wurde in Sphären lichten Glanzes. Engelschöre, die ihn in einer Spirale dem Kuppelraum entgegen trieben. Keuchend war er auf die Knie gefallen. Obwohl auf die Knie fallen das allerletzte für ihn war.
"Seit Menschengedenken", tönt die filigrane Gestalt vom Stuhl, "ist mir kein sturer Bock untergekommen, als Ihr es seid. Ihr habt unsterblich sein wollen! Wir haben es ermöglicht! Und jetzt? Jetzt wollt Ihr sterben?"
Wollte er das?
Damals, bevor sein irdisches Licht erlöschen wollte, war ihm alles zugeströmt. Wie Zaubervögel flogen die Ereignisse zusammen, schmiegten sich in seine Hand. Jeder hielt im Schnabel ein Fadenende, das er verknüpfte mit Geschick, Klugheit und Mut, um ein großartiges Leben daraus zu weben.
Er wollte nicht, dass der letzte Faden zerriss.
Das Geschenk der Unsterblichkeit hatte ihn träumen lassen, wie er alles weiterführen würde. Man schenkte ihm eine neue Gestalt und einen neuen Namen. Alles auf Anfang, was er für kein Problem hielt. Aber auch das hatte er unterschätzt. Welch Traumtänzer er gewesen war.
Denn es war ihm nicht gelungen.
Alles entglitt ihm. Er hatte zusehen müssen, wie seine Frau alles zerstörte, was er geschaffen hatte.
Er hatte zusehen müssen, wie sein Sohn, der einzige, der seine Namen verdient hatte, zuerst aufstieg wie der helle Stern, um dann zermalmt zu werden von seinem ruchlosen Gegner, der ihm zuletzt die Würde geraubt hatte.
Aber das Schlimmste war, dass sie ihn alle vergessen hatten. Tausend Jahre sind vergangen und alle erinnern sich an seinen Bruder Roger, der ein Königreich erschaffen hatte.
An jenen mutigen Sohn, der doch gescheitert war.
Aber an ihn, den Löwen erinnert man sich nicht. Er ist der Beginn von allem.
Für die Geistergestalt schüttelt er vage den Kopf. "Ich hab's mir anders überlegt", sagt er mit Kälte, "Ich bleibe lieber doch am Leben."
"Diese Art Wankelmut ist man von Euch nicht gewöhnt", spitzt das dürre Männlein, "was ist Anlass des Sinneswandels?"
"Naja, der Kadaver eines Maulesels und der eines toten Löwens sind nach ein paar Wochen schon nicht mehr sehr verschieden. Staat machen kann man damit nicht."
"Es ist Hochmut, der Euch am Leben klammern lässt."
Er hob eine Braue. "Was habt Ihr erwartet? Von einem Mann wie mir, denn man zu Lebzeiten die Weltenunruhe nannte."