Wenn sie ihr Haar raspelkurz schneidet, wächst es in der Folge erst mal lange zur Seite.
Als sie klein war, wollte es jeder anfassen, um zu sehen, wie es sich anfühlt, so wie Wildfremde, meist alte Frauen, Schwangeren ungefragt an den Bauch fassen. Im letzteren Fall mit kreuzdebilem Grinsen im Gesicht.
In ihrem Fall mit einem Ausdruck zwischen Faszination und… ja, was eigentlich?
Dummheit?
Oder kommt es ihr nur wie Dummheit vor, weil es sie nervt.
Weil sie heute 52 ist, und die Menschen es immer noch machen, wenn sie vor dem Supermarkt steht, und auf jemanden wartet.
Vor 20 Jahren, aus dem Karibikurlaub, hatte sie 12 Falschen Glättungsmittel mitgebracht. Shampoos, Spülungen, Sprays -- nur um das Gewächs auf ihrem Schädel in eine formbare Form zu zwingen, denn damals gab es das Zeug hier noch nicht, inzwischen kann man sich damit bei Rossmann oder DM tot werfen lassen.
Sie fast sich an den Kopf, fühlt, stemmt sich von der Couch und wandert gereizt in die Küche.
Das Thema der Sendung, die da gerade in der Flimmerkiste läuft, ist wichtig, ja.
Und es interessiert sie auch.
Aber das…
… ergibt überhaupt keinen Sinn. Mit Diskriminierung, wie sie es dort meinen, hat das mit den Haaren nichts zu tun.
Sie steht am Kühlschrank, in dem das Licht defekt ist, was wieder ein Grund zum ärgern ist, aber darum muss sich sich morgen kümmern. Erst mal eine Apfelschorle. Als sie das Glas aus dem oberen Schrank holt, es halb mit Wasser und halb mit Apfelsaft, naturtrüb, füllt, rauscht ihr durch den Kopf, was sie bis vor 10 Jahren noch alles getrieben hatte, um diese bekackten Haare glatt zu kriegen. Durch halb Köln ist sie gegurkt, um einen afrikanischen Friseur zu finden, wo sie Methoden und Mittelchen hatten, ihr Problem zu beheben, und nach der Behandlung waren ihre Haare 5 cm länger.
Sie lehnt sich, mit dem Glas in der Hand, an die Küchenzeile, schließt die Augen, lacht leise in sich hinein und schüttelte den Kopf, über den Irrsinn, den sie betrieben hatte - Haare glätten bis zum Exzess.
Warum eigentlich?
Weil man nie zufrieden ist, mit dem, was man hat.
Sie erinnert sich noch daran, wie sie mit ihrer glatt-und kurzhaarigen Freundin zu diesem Friseur nach Ehrenfeld gefahren war, wo sie ihr, der Freundin, in 5 Stunden Arbeit ultralange Haare, - gewellt, nicht kraus- , in die Kurzhaarfrisur geflochten hatten.
Echthaar, sauteuer, hammerschön.
Weil Jana nie wieder lange Jahre gehabt hatte, seit sie ihr nach einem Unfall die Mähne geschoren hatten, um die Schädelverletzung behandeln zu können.
Sie ist gut im beobachten, ihre Freundin.
Obwohl es ihr auch aufgefallen war, wie die Typen plötzlich, beim Anblick einer langhaarigen Frau, den Verstand verloren.
"Das letzte Mal gegen einen Pfeiler gelaufen, nur weil er mich sah, war ein Mann, als ich 23 war", hatte Jana trocken gemeint, als sie sich nach dem Friseur-Exzess in die Außengastro direkt gegenüber des Ladens gesetzt hatten, und die Jungs in Köln-Ehrenfeld, wo sie sich aufhielten, fast Amok liefen.
Bis zur Mitte des Rückens floss Janas Echthaar - dunkel, mit einem natürlichen Rotstich, was zauberhaft zu deren braunen Augen aussah.
Seither nimmt sie Männer nicht mehr ernst.
Sie sind so leicht zu beeinflussen.
Wann war das noch?
Egal.
Aber ihr geht es nicht darum, es geht ihr darum, dass sie nie zufrieden sein konnte, mit dem, was sie hat.
Es geht nicht um Diskriminierung.
Sie stellt das Glas ab, um ins Bad zu gehen.
Vor den Spiegel.
Heute ist es eigentlich okay, obwohl es immer noch jeder Vollidiot anfassen will, sie hat sich nur daran gewöhnt, denn das Reinfassen war nicht der Grund, aus dem sie es ändern wollte.
Der Grund war simpel.
Blonde Frauen wollen brünett sein, wenn sie glattes Haar haben, verlangt es sie nach Locken, und umgekehrt und immer finden sie ihre Haare zu dünn.
Es dauert, bis man bereit ist, sich so zu nehmen, wie man ist, und manche schaffen das nie.
Sie greift rein, findet es weich.
Geht mit dem Finger die Linien ihres Gesicht nach, betrachtet die grünen Augen und die zahllosen Sommersprossen, die sie die meiste Zeit ihre Lebens auch hatte loswerden wollen.
Weil man sich unsicher fühlt, wenn man anders aussieht?
Auch, wenn man schneeweiß ist mit roten Punkten -- haha.
Kalkweiß, keltischer Teint, knallrotes Haar und eine Krause, als stammte sie aus der dominikanischen Republik.
Sie lächelt sich an.
Dass Fremde einem in die Haare fassen, hat mit Diskriminierung nichts zu tun.
Aber sie geht zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich neben ihrer alten Katze ins Sofa kuschelt.
Anders sein, denkt sie.
Das ist das eigentliche Problem, ganz gleich woher man kommt.