Firlefanz ist ein Wort, das man einer Kölnerin nicht erklären muss.
So wird dieser Prompt zu einem Brainstorming, tut mir leid.
Das Wort ist Sprachschatz und wird hier pro Tag mindesten viermal benutzt. So plant man hier auch größere Bauprojekte mit einem irgendwie unangemessenen Laissez faire.
Auf die Idee zum Beispiel, eine U-Bahn unter die älteste Straße der Stadt zu bauen, kommen nicht einmal die Römer.
Warum ich die Römer erwähne?
Weil Köln eine römische Stadt ist, die zweitälteste Deutschlands und somit, unterirdisch, voller römischer Artefakte.
"Egal", wird der Verantwortliche gesagt habe, "Firlefanz. Damit geben wir uns nicht ab."
Also baute man, und ich möchte nicht wissen, wie viel von dem Firlefanz zerstört und ignoriert wurde, den man dabei fand.
Mein Historikerherz blutete.
Auf derselben Straße fand mal der Besitzer eines Hauses, bei Entkernung und Grundsanierung ein ganzes römisches Grab mit allem dazugehörigen, vermeintlichen Firlefanz in seinem Keller!
Wie doof muss man also sein, unter diese Straße eine U-Bahn zu bauen?
Nebenher waren dann die Sicherungsstreben zum Abstützen der Baugrube auch Firlefanz.
In der Folge stürzte im März 2009 das Stadtarchiv ein.
Das, der zweitältesten Stadt Deutschlands.
Mein Historikerherz blutete.
Es starben zwei Menschen.
Mein Herz blutete.
Das darauf folgende Herauswinden und Zuweisen der Schuld (Ich war's nicht!) konnte ich als Kölnerin nur mit einer Mischung aus Zynismus und Humor ertragen.
Köln kann man ohnehin nur mit Humor ertragen, aber als Eingeborene bringt man den schon mit. Das wird etwas mit Darwinismus zu tun haben. Die Voraussetzungen für das Leben in einer bestimmten Umgebung sind irgendwann Genpool.
Letztlich war der Einsturz natürlich keiner schuld, was ziemlich typisch für die Stadt ist.
Verantwortung übernehmen?
Firlefanz.
Und doch liebe ich meine Stadt. Hier macht man alles mit Gefühl.
Leider auch U-Bahnen.
Aber dass man vieles nicht so genau nimmt, ist in anderer Hinsicht einfach Balsam. Als ich zuletzt den Zoo zur Halloween-Nacht besuchte und an der Kasse nach meinem Schwerbehindertenausweis kramte, damit meine Begleitperson kostenfrei hineindarf, meinte der Knabe an der Kasse wortwörtlich: "Lass den Firlefanz stecken,Mädchen, du sitzt ja nicht zum Spaß in dem Wägelchen."
Genau.
Tue ich nicht. Ich muss aber jenseits von Köln, in ähnlicher Situation, überall meinen Schwerbehindertenausweis vorlegen. Als hätte ich mir dieses ultrateure Sportmodell nur geliehen, um ermäßigt irgendwo reinzukommen.
Klappspaten, alle......
Sicherheitsvorschriften sind hier auch Firlefanz, was ich im Zeitalter des Sicherheitswahns ziemlich angenehm finde.
Ich weiß, dass ich das erklären muss.
Ich tu es mal so: Köln ist die einzige Stadt Deutschlands, in der ich, schwerbehinderte Rollstuhlfahrerin, einen Film im Kinosaals meines Lieblingskinos auf der ersten Etage (kein Aufzug) gucken kann, weil mich die Jungs, die da arbeiten immer mitsamt Rolli hochtragen.
Sofern ich mit Freundin gucke und nicht mit dem Liebsten, der das in diesem Fall übernimmt.
Einmal nur hat eine studentische Aushilfe an der Kasse moniert, dass ich da aus Feuerschutzgründen nicht hoch dürfte.
Super, es war mein Geburtstag und das war das einzige Kino, in dem "Grand Budapest Hotel" lief.
Beharrlich bestand sie darauf, dass ich den Film da oben nicht gucken dürfte, bis der Verantwortliche herbeikam, sich ihren Sermon anhörte und abwinkte. "Firlefanz. Brauchen Sie Hilfe?"
"Alles gut", der Mann an meiner Seite lächelt, "Das kriegen wir allein hin."
Wahrscheinlich war die Aushilfe aus Hannover, wo man Vorschriften sehr ernst nimmt.
Wahrscheinlich stürzen dort keine Stadtarchive ein.
Aber alles, wirklich alles im Leben hat zwei Seiten.
In Deutschland ist es der Köln/Bonner Flughafen der einzige, in dem das Bodenpersonal mit mir spricht und nicht mit meiner Begleitperson, weil es vermutlich die einzige Stadt Deutschlands ist, in der die Einwohner nicht zwangsläufig denken, dass Rollstuhlfahrer gehirnamputiert sind.
Das ist sehr angenehm, weil ich mich dort, also zuhause, nicht wie Sperrgut fühle.
Es ist auch der einzige deutsche Flughafen, an dem ich bis zum Gate in meinem eigenen Rollstuhl sitzen darf.
Überall woanders muss der als Sperrgut direkt aufs Gepäckband.
In Berlin habe ich mal gefragt, warum.
Sicherheitsvorschriften, sagte man mir, die gelten überall in Deutschland.
Aha, spitzte ich zurück, in Köln nicht.
Mir das Leben noch komplizierter zu machen, indem man mich, pro forma, nur weil ich im Rolli sitze, zwei Stunden früher einbestellt, eine Zeit, in der ich mir die Nüsse kraulen könnte, wenn ich keine Frau wäre, ist also eine Dienstvorschrift.
Die Vorschrift ist Firlefanz.
Sie dient nichts.
Man sitzt nur dämlich in einem flughafeneigenen Rollstuhl herum, der zu groß, zu schwer, zu unhandlich ist, um damit vernünftig, bspw. aufs Klo zu gehen.
Deshalb fliege ich am liebsten von Köln ab. Ich kann zu einer Zeit ankommen, zu der ich auch ankäme, ginge ich zu Fuß.
Ich habe mal gefragt.
"Warum muss ich nicht in einen Flughafen-Rollstuhl umsteigen? Auf anderen Flughäfen machen sie das."
"Dat is doch Firlefanz. Sie sitzen ja nicht zum Spaß in dem Ding."
Ganz genau.
Komisch, dass das alle Nicht-Kölner zu denken scheinen.
Über den Rosenmontagszug, über Karneval generell kann man ja denken wie man will. Mein Kopf sagt mir, welch Blödsinn das ist, aber mein Herz drängt mich häufig Rosenmontag auf die Straße. Ich kann nichts dafür, das sind die Gene. Ich bin im Klösterchen geboren und auf der Severinstraße aufgewachsen.
Das ist die älteste Straße Kölns, die unter die die Bahn gebaut wurde, aber auch Hochburg von schlichtweg allem, das mit Karneval zu tun hat.
Insofern ist es mein Herz, dass mich drängt, wenigstens Rosenmontag rauszugehen, um den Rosenmontagszug zu gucken.
Aus diesem Grund habe ich ein Notfall-Kostüm.
Der LVR hat in der Altstadt eine Tribüne für Menschen mit Behinderung, was an sich ja eine gute Lösung ist, denn vermeintlich wird man im Rollstuhl rücksichtslos herumgeschubst.
Ich mag diese Tribüne nicht, denn sie sieht aus wie ein Käfig (in sich geschlossen mit Dach, falls es regnet) und hat meiner Meinung nach nichts mit Inklusion zu tun.
Abgesehen davon ist der Besuch des Rosenmontagszug für mich eine impulsive Entscheidung, weil ich bis einschließlich Sonntag ja so tue, als wäre das alles kommerzieller Firlefanz, und gute Laune könnte ich auch so haben. Kann ich auch. Aber ich darf doch wohl auch Rosenmontag gute Laune haben. Wenn ich dann also Rosenmontag aus dem Bett springe und mein Notfall-Kostüm heraus krame, und endlos mit dem Mann an meiner Seite diskutiere, ob wir da nun hinfahren oder nicht (er will eigentlich nie), und ich am Ende dann doch mit irgendwem, den ich habe überreden können, am Zugweg stehe, habe ich keine Karten für die Tribüne.
Ist auch nicht nötig.
Firlefanz.
Bisher hat mich noch immer irgendeine Gruppe Feiernder adoptiert.
So lernt man Menschen kennen.
Das ist ganz leicht in Köln.
Ich weiß, dass meine Stadt einen schlechten Ruf hat, woran eine bestimmte Sylvesternacht nicht ganz unschuldig ist.
Und ja, das war scheiße.
Darüber müssen wir nicht diskutieren.
Über den Firlefanz, den die Bürgermeisterin in geistiger Umnachtung von sich gegeben hat, den Schwachsinn über die Armlänge Abstand, hat Eko Fresh dann sogar ein Lied geschrieben und obwohl ich ihn sonst nie höre, mochte ich den Song.
Darüber also müssen wir auch nicht diskutieren.
Die meisten meiner weiblichen Kollegen in der Kreisverwaltung Bergheim (30 Kilometer außerhalb Kölns), fuhren schon vor der "Silvesternacht" nicht gerne abends nach Köln. Ich habe die Landeier immer gerne damit aufgezogen, sagte solche Sachen wie ,"Ach, ihr fahrt in die große böse Stadt"?, wenn mal wieder so was geplant war und sie am liebsten Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes engagiert und mitgenommen hätten.
Mir war immer unklar, was die sich vorstellen und wovor die solche Angst haben. Dass sie grundsätzlich überfallen und angegrabscht werden, sobald es dunkel ist?
Meine Mutter, 70, war letzte Woche mit drei Freundinnen ihres Alters auf einer Mädchensitzung in Köln.
Das war in Mülheim, ein Stadtteil, den die vorurteilszerfressenen Kolleginnen gar nicht erst aufsuchen würden, weil dort sehr viele Türken und Kurden leben. Die Damen, allesamt Kölnerinnen taten es. Auf dem Rückweg verpassten sie die erste Bahn und standen um 2 Uhr nachts an der Bahnhaltestelle Wiener Platz in Mülheim herum.
Sie wurden nicht überfallen.
Beim Umsteigen am Ebertplatz, sahen sie, dass die Bahn, die sie nehmen müssen, schon da stand. Aber sie mussten viele Treppen hoch und viele Treppen wieder runter, um sie zu erreichen.
Und das angeschickert und auf Pumps. Mit 70.
Naja, sie waren lustig und nahmen es mit Humor. Aber laut genug, dass drei junge, vermutlich nordafrikanische Männer das mitbekamen und die Bahn für sie aufhielten. Einer gestikulierte zum Fahrer, der andere signalisierte mit Handzeichen zu den Damen, die Bahn würde warten.
Kichernd und giggelnd erreichten sie ihr Ziel. Sie kamen unbeschadet zuhause an.
Vorurteile?
Firlefanz.