Freiheit ist das Vorhandensein von Optionen.
Die Möglichkeit, zu entscheiden, ob ich bleiben oder gehen soll.
Dachte sich Kater Narses zeit seines Lebens, und wenn wir versuchten, ihn einzusperren, wäre es die Gelegenheit gewesen, einen alten Song von The Clash zu spielen.
Should I stay it will be trouble, er zerlegt uns die ganze Bude.
If I go it will be double, wir klauben Mäusekadaver oder ganze Mäuse vom Teppich, feudeln Blutspuren und müssen schlimmstenfalls zum Tierarzt.
Er hatte den Namen eines byzantinischen Generals aus dem 6 nachchristlichen Jahrhundert, weil sie beide kastriert waren.
General und Kater.
Anders wäre es blöd gewesen, denn ohne Kastration pinkeln sie überall hin. Die Kater. Nicht die Generäle.
Bis zu unserem zeitlich begrenzten Aufenthalt in Dänemark war er eine Wohnungskatze in Köln, in einer Wohnung mit feinem Rauputz, damit wir nicht unentwegt tapezierten, was er ent-tapeziert hatte.
Als wir ihn dort frei ließen, war es die Vollendung seines Wesens.
Jede Katze ist anders, diese war der personifizierte Freiheitsdrang. Siehe oben.
Als wäre sein Name Programm, eroberte Kater Narses Dänemark oder doch zumindest den Ort Lovel. Schlachten wurden geschlagen und Wunden geflickt, was meint, dass er bereits im vierten Lebensjahr vernarbte und nicht mehr ganz vollständig dreieckige Ohren hatte. Sein Revier verteidigte er bis an die Zähne bewaffnet mit scharfen Krallen und Gebrüll.
Aber da war dieses Wetter, dass ihm mitunter Einhalt gebot.
Rückblick:
In der Nacht kam der Schneesturm aus Osten, was leider die Himmelsrichtung ist, zu der unsere beiden Haustüren liegen. Zwei Türen sind in dänischen Häusern die Regel. Eine Offizielle, in der u.a. die Katzenklappe untergebracht ist, und die für das Alltägliche und die Nachbarn, die zum Wirtschaftsraum neben der Küche führt. Wirr haben noch keinen Schimmer davon, als der Wecker geht, ich kuschele mich gar noch mal ins Federbett, denn ich habe frei. Es ist Tim, der raus muss zur Arbeit. Im Stockfinsteren, und als er die Tür öffnet, stürzen Schneemaßen in den Flur. Allein der Fluch treibt mich aus den Federn, weil ich neugierig bin, und einmal erwacht, helfe ich natürlich kichernd bei der Beseitigung des kalten Zeugs. Danach tappt er draußen umher und findet sein Auto nicht, denn im einzigen Carport steht mein Cabrio.
Aus dem Fenster linsend, muss ich lachen.
Ich finde umherirrende Uniformierte ja insgeheim lustig, aber als er es gefunden hat, schaufelt er es vermittels eines dienstlich gelieferten Klappspatens frei. Ich weiß nichts darüber, ob er die Kaserne fand, bis heute schweigt er sich darüber aus. Wäre nicht wirklich schlimm, wenn nicht, weil er weder beim Heer noch bei den Pionieren oder dergleichen ist, aber na ja.
Die Menge des Schnees, konstatiere ich mit einer Tasse Kaffee in der Hand und Blick aus dem großen Wohnzimmerfenster, ist immens.
Über Tag fällt die Temperatur rapide, was zweierlei bedeutet: dass es nicht mehr schneien würde, weil es zu kalt ist und dass der bereits gefallene Schnee bleibt.
Zu Narses‘ Leidwesen, denn der Ausgang ist von einer weißen Wand auf Höhe der Katzenklappe versperrt.
Abends reißen wir sie ihm immerhin mit dem Spaten nieder.
Ja, wir schaufeln ihm einen Weg ins nächste Gebüsch, auf dass er der Schande entbunden sei, sein Geschäft im Katzenklo zu verrichten. Nach kurzer Zeit sind in der Straße so viele Wege und Zufahrten freigeschaufelt, dass Narses ein vergleichsweise kleines Territorium sein eigen nennt.
Und dennoch leidet er.
Wollte er das Territorium erweitern, stieße er gegen eine kalte, weiße, nasse Wand. Unbefriedigend wie das ist, wird er launisch. Nach drei Tagen scheint der die Schnauze schon voll zu haben, denn als ich aufstehe und die Küche ansteure, nehme ich verblüfft wahr, dass er mit Leidensmiene innen vor der Katzenklappe kauert und dröge hinaus stiert. Zunächst denke ich mir nicht viel dabei. Ich husche in die Küche, braue meinen Morgenkaffee, füttere die Katzendamen und sehe denselben eine müde Weile beim Fressen zu. Minka und Billund rauscht das Großen Draußen am pelzigen Prinzessinnengesäß vorbei. Drinnen ist es warm, das Bad hat eine Fußbodenheizung, das Futter ist frisch und ich bin rund um die Uhr bereit, mich für sie zum Affen zu machen, wie sich das für Katzenhalter gehört.
Wobei…
Halte ich Katzen?
Die Wissenschaft soll kürzlich herausgefunden haben, dass es in Deutschland nur circa 150 Katzen gibt, die sich 100.000 Haushalte teilen. Das schrieb jedenfalls der Postillon.
Generell sollte man über das Wort Katzenhalter nachdenken, selbst wenn das nicht wahr ist, denn wir halten sie nicht.
Sie halten uns.
Der Anblick der Silvertabby und des braungetigerten Würmchens (Billund) ist beruhigend, wenn auch abzusehen ist, dass ich die Sauerei rund um die Näpfe bald entfernen darf. Als Geräusche aus der Diele ertönen, schießen meine Brauen verwundert in die Höhe.
Was ist das?
Es schrabbt, dengelt und kratzt.
Ich stelle die Tasse auf der Anrichte ab.
Es klopft, schrubbt, und jetzt quietscht es auch noch.
Du liebe Güte.
Das klingt, als würde die Haustür eingerissen. Rasch düse ich in den Flur, wo ich Narses weiterhin vor der Klappe vorfinde. Aber keineswegs mit Trauermiene, vielmehr auf dem Rücken liegend über Kopf, dabei mit ungeheurem Aggressionspotential die Katzenklappe demontierend.
Ich verenge die Augen und fixiere das verstellbare Ein-und Ausgangrädchen.
„Was willst du denn?, ich streichele ihm über den rotgetigerten Schopf, „Sie ist doch offen.“
Er widerspricht vehement, indem er mit dem Kopf gegen die Klappe dengelt und mich danach vorwurfsvoll mustert.
Genervt spanne ich den Mund. „Was denn? Sie ist offen.“
Händisch will ich sie aufdrücken, und stutze.
Warum geht das denn nicht?
Ich wende mehr Gewalt an.
Und da!
Es knirscht.
Außen splittert dünnes Eis ab und der Weg ist frei.
Unter den mitleidigenden Augen der Prinzessinnen entschwinde der Feldherr in den endlichen Weiten des Winterreviers.
Armer Irrer, steht auf deren kleinen Stirnen.
Als wir zurück nach Deutschland zogen, in ein Haus, weit außerhalb von Köln, nahmen wir uns vor, allen drei Katzen erst nach drei Wochen Freigang zu gewähren, damit sie sich an die neue Umgebung gewöhnen konnten.
Schon am ersten Abend baute Narses das Fliegengitter am Küchenfenster aus.
Bis zu seinem Tode änderte er sich nicht. Einsperren war unmöglich, dafür hatten wir zu viel Respekt vor den Werten unserer zur Zerstörung bereitstehenden Einrichtung oder waren schlicht zu weichherzig.
Im letzten Drittel seines langen Lebens kam er schwerst verwundet aus dem Kampf mit einem Marder zurück, der ihn beinahe das Augenlicht links gekostet hätte. Er verblieb nach der OP beim Tierarzt. So weit, so normal. Weniger normal war, dass sie uns anriefen, damit wir ihn abholten, kaum, dass er aus der Narkose erwachte.
"Der zerlegt uns hier die ganze Praxis."
"Warum haben Sie ihn aus dem Käfig geholt?"
Bescheuerte Frage. Warum wohl?
Weil auch der Tierarzt gemerkt hatte, dass der Freiheitsdrang dieses Katers zu gewaltig, zu mächtig war.
Und doch; in ihm schlummerte das Urvertrauen, dass nur den Tieren innewohnt, die man mit der Flasche großzieht.
Das freie Leben beendetet er nach 21 Jahren ohne Krankheit. Er starb in meinem Arm in einer Augustnacht vor 6 Jahren als letzter der hier erwähnten Katzen.
Nur Mika war noch älter geworden, 23.
Er fehlt mir noch immer.