"Lily! Lily“
Heftiges Rütteln an der verrotteten Tür weckte mich aus meinem Tagesschlaf. Ich raffte das helle Laken zusammen, das ich mir über das Geisterskelett zog, zog die Tür knarzend auf und linste hinaus. Direkt ins Gesicht meiner einzigen Freundin Befana. Ich machte den Durchlass weiter auf. „Was ist denn?“
Ihren Besen hinter sich her ziehend kam sie in das finstere Kellergewölbe des Castello Arechi, in dem ich hauste. Dabei wirbelte sie reichlich Staub auf.
„Ich hab‘ ihn gefunden.“ In ihrem runden Antlitz leuchteten die Augen glühend. Sie ließ sich auf die Truhe mit meinen Habseligkeiten fallen, und lehnte ihren Besen so nachlässig an, dass er umfiel. Das würdigte sie keines Blickes.
Mein durchscheinendes Geisterherz pochte mit einem Mal so heftig, dass sich das Laken im schnellen Rhythmus nach vorne ausbeulte. „Jocelin?“, hauchte ich und schwebte neben sie.
„Na ja, seine Wiedergeburt, oder wie immer du das nennen willst.“
„Hach!“, seufzend sank ich zu einem Stoffberg zusammen. Befana, die mich trösten wollte, tätschelte in die substanzlose Luft, in der sie meinen Schopf wähnte.
„Beruhige dich, Kind.“
Wie sollte ich mich beruhigen, schluchzte ich lautlos. Die Liebe meines Lebens seit 1080, zwei Jahre vor meinem Tode. Ein fescher Ritter war er gewesen, wenn auch etwas zu weichherzig.
Halt nein!
Aufgebracht schwebte ich bis unter die Decke und stieß mir den Kopf. Er war genau richtig so gewesen. Aber ich sollte standesgemäß heiraten und ich war dumm genug gewesen, auf die Traditionen wert zu legen. Als ich verunfallte, von Bord des Schiffes stürzte, das uns in den Krieg hatte rudern sollen, ich unter Wasser nach Atem schöpfte, kämpfte und strampelte, dabei seine Stimme hörte, die schmerzerfüllt meinen Namen brüllte, belegte ein Campo mich mit einem Fluch.
Auf ewig sollte ich das Gespenst sein, dass immer im unmöglichsten Augenblick hereinplatzte und störte. Weil ich das ja schon zu Lebzeiten gemacht hatte.
Ich störte spukend die Hochzeitsnacht meines Bruders Roger Borsa und trieb seine holde Adelheid in den Wahnsinn.
Ich hui-buhte in Konstantinopel, wodurch die Flotte Balduins von Flandern kenterte.
Ich geisterte vor Antiochia, Kerboga, der Feind meines Halbbruders Boemund verschluckte sich, sein Pferd scheute und Boemund wurde Fürst von Antiochia.
Aber Stören war nie mein freier Wille gewesen.
Nur in Jocelins Nähe wollte ich weilen. Mich nach ihm verzehren und stören, wann immer er eine andere Frau begehrte. Als er sein Leben auf dem Schlachtfeld aushauchte, war ich kreischend und flehend um ihn herum geflattert, und ich glaube fest daran, dass er in der Sekunde seines Sterbens mein Antlitz sah.
Also nicht das Jetzige.
Sondern mein weiches lebendiges rotwangiges Gesicht, das von meinen wilden roten Locken umrahmt wurde.
Klagend und jammernd schwebte ich heim nach Salerno, nachdem er in der öden Wüstenei Antiochias begraben wurde.
Ich vegetierte dahin, versunken in den Bildern der Vergangenheit, in der wir uns nah gewesen waren. Damals, als wir uns beinahe geküsst hatten.
Wenn ich nicht nur aus Knochen und Laken bestünde, wäre ich abgemagert.
Ich atmete nicht mehr. Ich spukte ohne Esprit und nur, weil ich es musste. Bis Befana kam, störte ich schon seit fast 1000 Jahren, aber nur noch in Salerno, über dem das Castello Arechi, mein Heim erbaut war.
Jocelin war nicht mehr. Was sollte ich noch auf Reisen gehen?
Alles war öde und endlos. Eines Tages, ich kannte sie gar nicht, erschreckte Befana mich. Auf dem Weg zum Weihnachtsfest verfliegt sie sich ständig, weshalb sie die Geschenke seit der Geburt des Herrn immer erst im Januar überreicht. In jener mondhellen Nacht hatte ihr Besen eine Panne. Ich spukte ein wenig zwischen der Hochzeitsgesellschaft herum, die oben auf dem Castello Arechi feierte. Tauschte Getränke, verpfefferte antriebslos die Speisen und wechselte den Inhalt der Zuckerdose aus.
Über der Zitadelle sprotzte es. Ich guckte hoch und sah Befana, deren Namen ich noch nicht kannte, mit ihrem Besen spiralförmig hinab trudeln. Blitzartig schwebte ich hoch, fing den Sturz auf und trug die Hexe in meine Gruft. Wir sahen den Besen noch auf der reich gedeckten Tafel aufprallen und die Gäste beiseite springen. Aber das kümmerte mich nicht. Mich kümmerte ohnehin nichts, bis Befana kam und mir Hoffnung gab. Anderntags brachte ich ihren Besen zu Enzo Carozzeria, damit er ihn reparierte, und stahl auf dem Heimweg einige Tüten bei Sergio Maroni. Während sie die Früchte dankbar aß, sich die Schalen zu ihren spitz beschuhten Füßen stapelten, erzählte ich ihr meine Geschichte.
Kauend hob sie einen Finger. „Moment! Sagtest du, ein Campo habe dich verflucht?“
Mein Laken wackelte, als ich traurig nickte.
Fahrig kramte sie in ihrem Jutesack und brachte eine Glaskugel hervor, die sie weit von sich gestreckt in einer Hand hielt.
Mit der anderen wischte sie theatralisch drüber. „Palampo Campo!“
Ein Bild erschien, mit dem sie zischelnde Worte wechselte, dann machte es Puff und sie guckte mich hoffnungsfroh an. Ich hockte mit angewinkelten spitzen Knien auf meiner Holztruhen und lauschte ihren Worten zuerst mäßig interessiert.
„Ich dachte es mir, ich dachte es mir“, sie lief im spinnwebenüberzogenen Gewölbe auf und ab, „Die Campos sind nie böse. Er hat mir gebeichtet, dass der Fluch ein Versehen war.“
„Ein Versehen?“ Ich schnellte rasch auf vor Entrüstung. „Wie kann er…“
„Nur, die Ruhe, Mädchen. Es gibt eine Lösung. Dein Jocelin ist immer wieder geboren und wenn du ihn findest, erlischt der Fluch durch das Sakrament der Ehe.“
Mutlos sank ich zusammen. „Aber er wird sich nie in ein Gespenst verlieben.“
„Papperlapapp“, sie wedelte mit der schmalen Hand, „Natürlich wird er das. Wenn er erfährt, wessen Geist ihn umschwebt.“
Die Hoffnung auf so etwas wie Glück keimte langsam auf. „Aber wie soll ich ihn finden?“
„Ich gehe suchen. Sobald mein Besen repariert ist.“
Das war vor 37 Jahren. Sie kaufte sich einen Besen mit V8-Motor und düste jedem Hinweis nach. Sie fragte sich durch die Liga der guten Hexen, aber die wussten nicht viel. Es gab einen Unfall, als sie einen Vampir in New Orleans fragte, den sie so erschreckte, dass er in die Sonne hinaus rannte.
Nur mühselig konnte sie ihn regenerieren, aber er war nicht nachtragend und führte sie auf die rechte Fährte, nach Köln.
Von der Stadt hatte ich noch nie gehört.
„Aber das ist umso besser“, sie rieb sich die Hände, „Mädchen, das ist wunderbar. Sie feiern dort Karneval. Wenn du Rosenmontag offen als Gespenst geisterst, wirst du ihn kennenlernen. Ihr verliebt euch…“
„Wir sind schon verliebt“, aufgeregt schwebte ich auf und nieder, „Vielleicht wird er es merken.“
„Genau. Und der Rest geschieht von alleine.“