Dieser verfluchte Weihnachtsabend ist eisig. Zuerst die Nebelschwaden, die sich wie ein milchiger Brei über alle Gebäude gelegt haben, dass ich annehmen musste, ich hätte einen Grauen Star. Lächerlich, mit 35, aber na ja.
Dann setzt das Schneegestöber ein. Meine Freude darüber hält sich in Grenzen, wie sich meine Freude über überhaupt irgendetwas eng begrenzt, seit ich Damiano den Dolch ins Herz gestoßen habe, und es sich anfühlte, als wühlte ich in meinem eigenen Herzen damit herum.
Das Herz, nur noch ein Organ, notwendig zum Leben, auf das er mir die sinnbildliche Pistole gesetzt hatte.
Weil er es nicht mehr ertrug, dass ich den braven Ehemann einer Frau gab, die ihre Bettgymnastik sowieso bei ihrem Yoga-Lehrer absolvierte. Wahlweise mit ihrem Friseur. Derzeit, glaube ich, ist es ihr Zahnarzt, was sie natürlich mit blendend weißem Lächeln weit von sich weist. Ich habe den Überblick verloren.
Ah, da kommt sie daher gestöckelt. „Denkst Du an den Panetone, Gianluca?“
Und zack, ist sie wieder im Bad, derweil ich in der Diele stehe, an meinen Manschettenknöpfen fummele und warte. Dieser Scheiß-Kuchen, den keiner mag. Es ist ja nicht mal so, als hätte ich ihn selbst gekauft, um ihn zu diesem öden Familienessen zu schleppen. Aus der Kanzlei hatte ich ihn mit geschleppt, in der Garderobe abgestellt, und Chiara hat beschlossen, dass er es sein wird…
Ein bitteres Lachen steigt in mir auf. „Stell dir mal vor, es gäbe nur diesen einen“, rufe ich vage amüsiert, als wollte ich mich in die Ironie retten, „Und es ist immer derselbe Panetone, der umhertragen wird.“
„Was?“ Mit langen, frisch getuschten Wimpern klimpert sie mich irritiert an, derweil sie in ihre Pumps steigt.
„Ich habe noch nie gesehen, dass den einer gegessen hat“, wage ich noch einen Einwand, der leicht knurrig gerät, weil sie es mal wieder nicht kapiert hat. Vollkommen ironieresistent. Ich frage mich, wann es verloren gegangen ist, das Gefühl, das für sie in mir gewohnt hat.
„Rede nicht so einen Unsinn“, sie schwingt sich ihre Designerjacke über, „Die Cantelecci werden auch da sein. Mein Vater wird ihm das Projekt für die neue Mall in Fiesole vorstellen. Die Bauplände…“
Ich blende das aus. Sie schnattert, und piepst und quasselt den ganzen Weg hinunter und auf der schneebedeckten Straße. Ich spanne den großen schwarzen Schirm auf, erdulde, wie sie sich an mich hängt, als wäre ich für ihre Haxen verantwortlich, statt vernünftige Schuhe anzuziehen.
Obwohl…
Ich sehe ja nicht besser aus. Anzug, Kaschmirmantel, Schuhe mit glatten Ledersohlen, haha.
Aber wie bescheuert sie aussieht, denke ich, oben herum dick in Teddy und mit Schal, und unten gucken ihre schmalen Beine in dünnen Nylons raus, deren Füße in viel zu hohen Schuhen stecken. Wie ein Wollknäuel mit Stricknadeln.
Mit Damiano würde ich darüber lachen, aber wichtiger noch, die Geschichte mit dem Kuchen hätten wir bis zum Exzess ausgesponnen, uns die Augen gerieben, weil die Lachtränen überflossen.
Und apropos Exzess, einen ihrer Dolce-Schuhe hatte sie nicht gefunden. Ich hätte ihr fast empfohlen, im Bett ihres Zahnarztes zu suchen.
Auf der Höhe des Palazzo Strozzi, der im Schneegestöber kaum zu sehen ist, frage ich mich, was Damiano macht, nur um es keine fünfzig Schritte später vor Augen geführt zu bekommen. Zuerst nur als undeutliche Silhouette sitzt dort ein Weihnachtsmann auf einer der vier Marmorbänke der Piazza della Republica.. Ein billiges rotes Kostüm, feucht glänzend. Letztes Jahr hatte Damiano für die Kinderhilfe am alten Findelhaus Luftballons verkauft, in dieser affigen Aufmachung. Wie wir gelacht hatten. Ich komme nicht auf den Gedanken, dass er es ist, bis wir an ihm vorbei schliddern.
Chiaras Gezwitscher im Ohr, streife ich den Weihnachtsmann nur mit einem Blick, erkenne nichts, dafür ist das Gestöber zu heftig. Aber die Bewegung, mit der er den Arm hebt, um eine halb leere Flasche Vodka…
Rasch wende ich den Blick ab. Mein Herz läuft über vor Schmerz.
„Ich bin ein verdammter Feigling“, wispere ich.
„Was?“ Chiara drängt sich in den Hauseingang.
„Vergiss es“, ich schüttele den Schirm aus und klappe ihn zusammen.
Mit einem Summen wird aufgedrückt. Unsere Schritte hallen durch das helle Treppenhaus. In einem Zwischengeschoss hält sie kurz inne, kramt einen Spiegel aus der Handtasche, die den Preis eines Kleinwagens gehabt hatte, und wischt die verlaufene Wimperntusche weg. Von oben, durch die geöffnete Wohnungstür fließen die Sätze, das Lachen und der Duft des Ossobuco.
Der Pfeifentabak ihres Vaters.
Das Lachen meiner Nichten.
Die Stimme ihres…
Zahnarztes?
Ohne ein Wort sehe ich sie an und hebe eine Braue.
„Ach, das hatte ich vergessen, zu sagen. Dottore Anfiso ist auch geladen. Er plant, in die Mall zu investieren. Ein zahntechnisches Labor auf der ersten Etage.“
Affektiert wirft sie ihr helles Haar zurück. An den Spitzen ist es feucht, resümiere ich, ehe ich mich räuspere und mich dran mache, die Treppen wieder hinunter zu gehen.
„Wo gehst du hin?“
Ich steige die vier Stufen wieder hoch und drücke ihr den albernen Kuchen in die Hand.
„Ich denke, ich werde nicht fehlen.“
Wieder mache ich mich auf den Weg nach unten.
„Ich verstehe nicht…“, schrillt sie.
„Ich gehe.“
Sie wirft den Pappkarton mit dem Kuchen nach mir.
Unten bleibe ich stehen und klaube ihn auf. Sehe zu ihr hoch, erkenne ihren Vater, der raus getreten ist und eine Hand an ihre Schulter legt. Ich würde es gerne erklären.
Dass ich höchstens wiederkomme, um meine Sachen zu holen.
Aber mein Mund ist knochentrocken. Die Zunge klebt mir am Gaumen, ich bin bar jeder Worte, als ich wieder in die Kälte eintauche und fast verzweifelt nach ihm suche. Nass, er muss völlig durchnässt sein.
Großer Gott.
Auf dem Weg zur Bank schlüpfe ich aus meinem Mantel, lege ihn ihm um und gleite neben ihm auf die Bank. Abrupt dreht er sich zu mir. Zuerst, das sehe ich, will er mich anraunzen. Wildfremde Typen, die einen Mantel um ihn legen, wo kämen wir da hin.
Ein halb verzweifeltes Lachen steigt in mir auf.
Seine großen grauen Augen sind blutunterlaufen, aber ich weiß nicht, ob vom Weinen oder Saufen, vermute aber beides. In den langen Wimpern hängt geschmolzener Schnee. Ich habe ihn noch nie so zerzaust gesehen. Die Perücke liegt neben ihm und ist ein Fall für den Müll, den Bart hat er runtergezogen, in der Hand hält er die Flasche. Seine blonden Haare feucht und zu einem spitzen Gebilde aufgetürmt, und nie, niemals hat er so anbetungswürdig ausgesehen.
„Gian?“
Ich greife nach der Flasche und nehme einen gewaltigen Schluck. „Ich bin gegangen“, kratze ich.
„Seh‘ ich.“ Er verengt die Augen.
„Für immer.“
Die großen grauen Augen weiten sich, ungläubige Freude flirrt durch sie hindurch.
„Sicher?“
„Nie war ich mir in etwas sicherer, als darin“, ich nehme noch einen Schluck, „Lass‘ uns zu dir gehen. Ich hätte einen Kuchen, falls du nichts da hast.“ Ich hebe den Karton an.
„Den mag doch kein Mensch“, lacht er unsicher, „Es ist bestimmt immer derselbe.“
„Ja“, ich stemme mich hoch, halte ihm die Hand hin, „er wird seit Jahren von Familie zu Familie getragen.“
Lachend greift er nach meinen Händen. Ich lege meinen Arm um ihn und wir wandern durch das Schneegestöber.
In ein aufrichtiges Leben.