Länger hat es nicht gedauert. Mit einem 7-minütigen Whats app-chat, macht Susanne eine 27 jährige Freundschaft zunichte. Dabei fing alles so harmlos an, nämlich mit der Erwägung, Whats app generell abzuschaffen, weil es sie stresst. In Wahrheit stresst sie etwas anderes.
Nämlich der Wunsch, das eigene Leben in die Schablone des Glücks zu pressen. Sie hat da so eine Vorstellung von Glück, seit sie erwachsen wurde. Mann, Kinder, Heim.
Es hatte sich als schwierig entpuppt, den richtigen Mann zu finden, aber als er da war, ging sie eine Symbiose ein. Nichts mehr alleine, absolut gar nichts. Alles zu zweit und für alle sichtbar. Selfies mit zwei Gesichtern, ihrem und seinem, aneinander geschmiegt und demonstrativ innig. Später wird der Raum, der fotografiert werden sollte, eng, weil noch die Kinder mit drauf müssen. Womöglich haben sie deshalb keinen Hund, bevorzugt Münsterländer oder Retriever, weil der nicht auch noch aufs Bild passt. Dafür ist Whats app eigentlich super: Statusbilder der auf ewig glücklichen Familie am Strand, Herzen aus Muscheln und sie alle darin. Oder das alljährliche Weihnachtsbaumfällen.
Sie merkt die Verwandlung gar nicht. Schwimmt im rosa-pudrigen Badewasser scheinbar immer währender Glückseligkeit. Rosen zum Valentinstag, Fotos davon, damit alle den Strauß sehen. Schmuck, Gesten, Blümchen hier, Schnickschnack da, der ihre tiefe Liebe beweist. Dabei bleibt etwas von ihr auf der Strecke.
Wer eigentlich?
Ach ja, genau...
Die Frau, die emanzipiert Journalistin hatte werden wollen.
Die, die mit der besten Freundin Lily allein unterwegs ist und sich schlapp lacht.
Die Freundin, die sie langsam und unauffällig, über Jahrzehnte gegen Freundinnen austauscht, die ihr ähnlicher sind. Gegen die, die auch Familie haben, deren schiere Existenz auf Whats app-Fotos verschickt wird. Damit das auch alle sehen.
Aber diese eine Freundin aus ihrem früheren Leben ist renitent. Insistiert, nervt, weist darauf hin, dass sie zum letzten Mal etwas nur zu zweit gemacht haben vor circa 12 Jahren.
Sie windet sich. Nur sie beide? Warum das denn?
Wir können doch was als Familien machen, schreibt sie auf Whats app, denn normalerweise gibt Lily klein bei. Sie zickt nur manchmal und abschaffen will Susanne sie eigentlich nicht, denn sie ist die einzige, die sie wirklich kennt. Also ihr echtes Inneres, das sie aufgegeben hat für das Pauschalangebot des Glücks.
Aber dieses Mal ist Lily hartnäckig. Nach einem endlos-Zoff (7-minütig?) per Whats app einigen sie sich auf ein gemeinsames Wochenende, zu dem sie verreisen.
Rückblickend muss sie sagen, dass da alles angefangen hat. Sie fing an, sich zu häuten, war wieder wie früher. Selbstbestimmt, eloquent, witzig und echt.
Das war zwar sehr schön gewesen, aber auch gefährlich. Brandgefährlich.
Und möglicherweise auch der Grund, aus dem sie das Zweisammensein mit Lily so lange gemieden hat. Es offenbart ihr nämlich, wer sie wirklich ist, was das gesamte Konstrukt ihres Lebens zum Einstürzen bringen kann.
Vier Wochen nach diesem Freundinnen-Tripp bröckelt es nämlich. Sie kann schon so lange nicht mehr:
Ihren Anforderungen an sich als Mutter genügen.
Und die perfekte Ehefrau sein.
Und im Job (Halbtags!) die beste sein.
Und gut aussehen, für die Selfies mit Familie, damit alle sehen, wie erfüllt sie ist.
Vor allem, weil sie das alleine machen muss, denn jenseits der Muschelherzen ist ihr Liebster bis spät abends im Büro, im die Familie zu versorgen. Was er am liebsten alleine täte, aber an ihre Halbtagsstelle klammert sie sich.
Wozu hätte sie sonst studiert?
Das mit der Arbeit ist dasselbe wie das mit Lily. Etwas Altes, Authentisches von früher. Irgendwie kann sie beides nicht loslassen.
Also, sie kann nicht mehr, was sich auch körperlich zeigt, demzufolge sich vier Wochen nach der ersten Häutung mit Lily das ganze Gebäude in seiner Brüchigkeit offenbart. Sie kann vor Rückenschmerzen nicht mehr geradeaus gehen, bekommt Opiate verschrieben und den eindringlichen ärztlichen Rat, sich mehr um sich selbst zu kümmern.
Jammertal des Selbst!
Heulend sitzt sie Zuhause in ihrem mit Bildern geschmückten Nest und Jonas benimmt sich wie ein Arsch. Behauptet, sie simuliere, damit sie Anerkennung für das bekäme, was sie leistet.
Lily, sie brauchte Lily so dringend. Aber die schlendert mit ihrem Tim über Bergpfade in den Alpen. Bei strahlendem Sonnenschein. Wovon sie nie Bilder bekommt. Lily verschickt keine Fotos von sich und Tim aus dem Urlaub.
Sie verschießt einen Notruf nach dem anderen an Lily. Die hilft, per Whats app, aus Museen, einem Bergpfad, aus einem Bistro.....sie antwortet, egal wo sie ist, und de-eskaliert.
Erst am Abend, einigermaßen beruhigt, stellt sie fest, dass Lily an dem Tag ja eigentlich Geburtstag hatte.
Mist!
Sie wartet, bis Jonas aus dem Büro kommt, dann stellen sie sich zu viert auf und jubilieren per Whats app ein Geburtstagsständchen.
Trautes Beisammen sein!
Glück!
Wem will sie eigentlich was vormachen?
Lily lächelt das weg. Sie glaubt, Lily nimmt sie schon lange nicht mehr ernst.
Und die Antwort auf die Frage ist einfach: Sich selbst will sie etwas vormachen.
Um wieder gesund zu werden, damit das Schauspiel der Selbstoptimierung aufrecht erhalten kann, muss sie ihre Alltagsbelastung kürzen.
Da von Jonas keine Hilfe zu erwarten ist, muss woanders gestrichen werden, und also am besten da, wo es ohnehin zwickt.
Lily ist gefährlich.
Sie legt den Finger immer genau in die Wunde.
Trifft stets den Nagel auf den Kopf.
Sieben Minuten dauerte der Chat gestern Abend.
Zuerst eierte sie, Susanne, noch was herum. Es stresst mich, immer auf Whats apps antworten zu müssen. Du glaubst gar nicht, wie viel Kontakte ich habe.
Das kann ich nicht glauben, gibt Lily zurück, all die schönen Bilder (Smiley hinten dran)
Deshalb dachte ich, ich schaffe das ganz ab, geht sie gar nicht auf die Nachricht ein.
Hin und her gingen ein paar Nachrichten und dann schreibt Lily:
Ich denke außerdem, dass das eine deiner Maßnahmen ist, dich zu entstressen, weil du die Entlastung nicht kriegst, die du brauchst. Deshalb kürzt du jetzt alles, was dir vor Augen führt, was du da eigentlich machst. In deinem Leben.
Darauf antwortet sie nicht.
Sie weiß nicht, wie es weitergeht.
Vielleicht wird sie einen von ihnen umbringen.
Jonas, ihren Mann.
Oder Lily.
(Die Kurzform meiner mit Pseudonym Jane noch nicht fertig veröffentlichten Geschichte "Freundinnen")