Als Luisa aus dem Haus in das logenförmigen Rund tritt, das ihre Terrasse ausmacht, in einer Hand den Besen, in der anderen das Kehrblech, hat sie vorgehabt, dieses goldfarbene Zeug fortzufegen, das seit Stunden vom Himmel fällt. Stattdessen klammert sie sich mit der Hand, in der sie das Kehrblech hält, an den Kragen ihrer Tunika, und schaut besorgt die gestuften Terrassen hinab.
Etwas stimmt nicht, hier oben im Himmelsoktogon.
Die Flotte der Heerscharen ankert unten an den Kais mit herabhängenden Segeln.
Kein Laut klingt durch die substanzlose Luft.
Einen feinen Moment saugt Luisa die Unterlippe ein, dann erwacht ihre bodenständige Ader, und sie fängt doch an, das goldene glitzernde Zeugs zusammen zu fegen, wie sie es den ganzen Tag schon getan hat, ahnungslos, um was es sich handelt. Allein weil es glänzt, wirkt es glatt, und es fehlt noch, dass sich einer der feinen Sittiche – Verzeihung – Engelchen lang legt.
Der Himmel, dem sie nicht entstammt, hat sich für sie als derartig bürokratisch entpuppt, dass es sie nicht verwundern würde, wenn man am Ende noch Regressansprüche an sie stellen würde. Besonders, weil sie nur eine Migrantin ist, ihrer Ehe mit einem Spross der ersten Familie zum Trotz.
Verbissen fegt sie, kippt das volle Blech in die Tonne…
Moment.
In welche denn?
Vor dem Haus, neben den Rosenstöcken, stehen, nett verziert mit Edelsteinmosaiken, die drei Tonnen für die Trennung. Aber wenn sie nicht weiß, welche Substanz das Zeug hat, würde sie eine der Tonnen fehlbestücken.
Am Ende gibt das auch noch Ärger.
Ein Bußgeld.
„Ach.“ Ruppig klappt sie einen der drei Deckel hoch und schüttet das Zeug hinein, wirbelt herum, fegt weiter, und nimmt wie nebenher wahr, dass auch mit den Rosen etwas nicht stimmt. Statt in roter und rosefarbener Pracht erhobenen Hauptes zu stehen, lassen sie die Köpfe hängen. Vorsichtig befingert sie die Blätter.
„Seltsam“, murmelt sie. Sie fühlen sich saftig an. Intakt.
„Was ist mit euch?“ Sie beugt sich vor. Lauscht. Die Blüten schweigen, doch fast scheint es, als neigten sie die Häupter tiefer.
„Hallo?“ Geduld ist ihre Stärke nie gewesen. Sie rüttelt an einem Zweig, der holt aus, sie springt zurück. „Ah!“
Gereizt zupft sie einen Stachel aus dem Finger, saugt an der Fingerkuppe, greift den Besen auf und will ins Haus rauschen, als sie jäh innehält.
Ist das das Echo eines Donners gewesen?
Sie lehnt den Besen innen, im Haus, an die Wand.
Zuckt in unendlicher Ferne ein Blitz?
Mit einer Hand am Türgriff späht sie in das, was im Himmel der Himmel ist. Wolken kuppeln langsam aufeinander, bilden Türme.
Sie würde mit Ly reden müssen, unbedingt.
Er kennt sich hier aus. Sie ist nur eine Walküre, hier im Himmel nur geduldet, aber vor alle findet sie sich mit den Besonderheiten dieser Welt nicht zurecht.
Womöglich gibt es eine simple Erklärung.
Obwohl sie lange grübelnd im Bett gewartet hat, ist sie eingeschlafen, und als sie erwacht, fühlen sich die Nacht und der Tag zuvor, das Fegen, der goldfarbene Glimmer, wie ein Traum an.
Für gewöhnlich pflegt sie, nachts zu erwachen, wenn Ly heimkommt.
Die Unruhe, die sie auf ihrer Terrasse am Vortag ergriffen hat, nimmt sie bei diesem Gedanken in Besitz. Panisch tastet sie nach Ly. Und tatsächlich – er nicht nicht da.
Er ist nicht heimgekommen.
Entschlossen, aber mit wild hämmerndem Herzen wirft sie die Decke von sich, wickelt sich in den Bademantel, den sie vom Fußende des Bettes gegriffen hat und stürmt, unterwegs in die Pantoffeln schlüpfend, ins Wohnzimmer.
Sofort stockt sie, tastet sich dann, stumm vor Staunen, zur Glasfront des Raumes vor. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie auf die fünfhundert, jäh mit Gold übergossenen Kuppeln der Stadt.
Keuchend legt sie eine Hand auf ihr Herz.
„Guten Morgen.“
Sie wirbelt zu Lysanders Stimme herum und findet ihn, noch in Reisekleidern und in der von ihr so geliebten Menschengestalt, auf dem Sofa. Halb liegend, müde. Doch mit einem Lächeln.
Sie rauscht zu ihm hin, gestikuliert zum Fenster. „Das… was ist… Ah“
Neben ihm sinkt sie in die Kissen, schmiegt sich an ihn. „Was hat das zu bedeuten?“, wispert sie.
Sanft legt er einen Arm um sie. „Es hat Sternenstaub geregnet.“
„Sternenstaub?“, murmelt sie an seiner Schulter.
„Eine Menge davon.“ In seiner Stimme liegt ein Lächeln.
Abrupt nimmt sie den Kopf von seiner Schulter. „Von wo denn? Wir sind doch hier im Himmel.“
Geduldig sagte er: „Du weißt, dass es darüber noch einen gibt.“
„Ja, schon, aber das ist doch bloß Astronomie.“
Schief grinsend schüttelt er den Kopf.
„Nicht?“, quietscht sie und rückt ein Stück von ihm ab. Diese kanonische Organisation war ihr hier unten immer wie eine Scheinwelt vorgekommen, eigentlich sollte es sie nicht überraschen. Vielleicht war das hier bloß der sechste Himmel. Und das darüber der berühmte siebte?
Oben, in Valakjalf, hatten sie den immer für eine Legende gehalten.
„Dann ist das da oben…“ weit streckt sie den Arm zum Fenster aus, wirft den Kopf dorthin, sieht, wie zwei der Palastpfauen über die bedeckt schimmernden Wiesen staksen und ihre Spuren im Goldstaub hinterlassen.
Wie Spuren im Schnee.
Jedenfalls wäre es dort Schnee, wo sie herkommt.
Er antwortet nicht. Beugt sich vor, schnürt die Stiefel auf, um sie abzustreifen, ehe er sich wieder matt zurücklehnt.
„Und von dort hat es Sternenstaub geregnet?“, insistiert sie.
„Richtig.“
Sie hört ihm an, dass er eigentlich keine Lust zu Erklärungen hat.
„Und warum?“
„Das geschieht“, lächelt er sanft, „wenn ein einzigartiger Mensch geht.“
Einen Augenblick ist die Luft erfüllt von Lysanders Mattigkeit. Ihre vormalige Entrüstung über derart komplizierte Konstrukte wie die, die sie hier oben vorfindet, seit sie mit einem Engel verheiratet ist, wandelt sich in etwas Sanftes, als sie ihn ansieht. Als sie sich erneut neben ihn setzt, legt er sich lang, bettet seinen Kopf in ihrem Schoss, sodass sie schließlich verträumt mit seinen kastanienfarbenen Locken spielt.
Die Rosen, das kann sie sehen, erheben ihre Häupter. Der Himmel ist klar, die Sonne schickt sich an, an den letzten Wolken vorbei zu linsen.
„Hast du ihn gekannt“, fragt sie vorsichtig.
„Nur soweit es ihm gefiel.“ Dabei spiegelt seine Miene, dass es ausreichte, um ihn unvergesslich zu machen.
„Oh.“ Mit zwei Fingern löst sie sachte einen Knoten in seinem Haar.
„Hast du ein Andenken? Irgendwas? Eine Ephemera vielleicht?“
„Nicht nötig.“
„Was?“ Sie zieht ihre Hand zurück.
„Es gibt Menschen, die bei einem bleiben. Man muss kein Stück Papier ansehen, um an sie zu denken.“