„Ich werde nicht mit ihnen sprechen, Isaac.“ Ray schüttelte entschieden den Kopf und entfernte sich weiter von der Trauergesellschaft.
„Aber sie machen sich Sorgen um dich“, protestierte ihr Bruder, der sich wohl nicht so leicht abschütteln lassen würde.
Ray schnaubte spöttisch. „Sie machen sich Sorgen um mich? Du weißt genau so gut wie ich, dass sie sich einzig um ihren gesellschaftlichen Stand sorgen. Ich bin ihnen nur ein Dorn im Auge, weil ich mich weigere das zu tun, was sie erwarten.“ Sie schüttelte den Kopf, als sie an ihre Eltern dachte, die für sie nie mehr als Erzeuger gewesen waren.
„Sie sind vielleicht nicht gerade die besten Eltern“, lenkte Isaac ein, als sie endlich stehen blieb und sich erneut zu ihm herumdrehte. Er zuckte mit den Schultern und grinste schief. „Aber du bist, was du bist und ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht weiß, wie es dir geht.“
Ein Lächeln schob sich auf Rays Züge, als sie ihren Zwillingsbruder ansah. „Du weißt doch immer ganz genau, wie es mir geht.“ Nicht, weil sie sich so oft bei ihm meldete, sondern weil sie einander spürten. Es war eine Verbindung in ihrem Blut, die sie immer ganz genau wissen ließ, in welcher Verfassung ihr Bruder war und sie wusste, dass er dasselbe bei ihr spüren konnte.
„Und trotzdem tut es gut, dich zu sehen.“ Seine dunkelvioletten Augen forschten in ihrem Gesicht. „Wirst du jetzt gleich wieder verschwinden oder gibst du mir wenigstens die Chance, mit dir einen Kaffee trinken zu gehen?“
Ray seufzte schwer und zuckte hilflos mit den Schultern. Gerade als sie den Mund aufmachen wollte, um ihrem Bruder den Wunsch zuzugestehen, ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Ray zuckte zusammen, während sich ihre Sinne automatisch auf die Umgebung sensibilisierten. Direkt nach der ersten folgte eine weitere Explosion, die unmittelbar zwischen den Trauergästen ausgelöst worden sein musste. Sie hörte, wie die Leute schrien, während eine dichte Rauchschwade ihnen allen die Sicht nahm.
„Was ist hier los?“, brüllte Isaac gegen den Lärm und griff nach ihrem Arm.
„Ich weiß es nicht.“ Ray schüttelte den Kopf und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können. Der Rauch reizte ihre Lungen und sie begann zu husten, weshalb sie sich rasch den Ärmel ihres Mantels vor den Mund presste.
Zeitgleich durchschnitt ein entsetzlicher Schmerzensschrei das Durcheinander und eine einzige Sekunde der Stille folgte, in der Ray realisierte, was hier gerade geschehen war. Jemand war ermordet worden!
Es dauerte keinen Wimpernschlage, dann breitete sich die Panik unter der Trauergesellschaft aus. Die ängstlichen Schreie wurden lauter, alle liefen durcheinander und Isaacs Gesicht tauchte vor ihr auf. „Weg hier“, brüllte er und Ray drehte sich herum, um ihm zu folgen. Ihre Beine begannen zu laufen, während ihr Hirn noch versuchte die Geschehnisse zu verarbeiten. Der dichte Rauch wollte einfach nicht verfliegen und sie konnte inzwischen kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Ihre Lungen kratzten und sie stolperte über irgendetwas. Noch während sie mit den Armen ruderte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, schloss sich Isaacs Hand um ihren Oberarm. Er fing sie auf und zerrte sie weiter und dann, ganz plötzlich, verlor sie das Gefühl des Bodens unter ihren Füßen.