Eine schlanke Frau in einem knappen Lederkleid öffnete die Tür und schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln. Ihr kurzes, schwarzes Haar ließ sie elegant und trotzdem unglaublich flippig aussehen und Ray war sich sicher, dass sie mit ihrem Aussehen jedem Mann in diesem Nachtclub den Kopf verdrehen könnte.
Jetzt trat die Frau auf ihren hohen Pumps zu Lee und umarmte ihn herzlich. „Hey“, sagte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Lee legte den freien Arm um sie und Ray beeilte sich, ihn endlich loszulassen. Verlegen brachte sie ein wenig Abstand zwischen sich, ehe sich die dunkelhaarige Frau schließlich ihr zuwandte. „Hallo“, sagte sie und musterte sie so neugierig, dass es Ray unangenehm war.
„Ruby, das ist Ray. Ray, meine Schwester Ruby“, stellte Lee sie einander vor und die beiden Frauen schüttelten sich die Hände. Das war also seine Schwester. Sie musste zugeben, dass sie sie sich vollkommen anders vorgestellt hatte.
Ray bemühte sich um ein Lächeln, doch sie vermutete, dass es ihre Augen nicht erreichen würde. Ruby jedoch sah sie nur ernst an und nickte. „Das ist sie also“, sagte sie und es schwangen so viele unausgesprochene Worte mit, dass Ray eine Gänsehaut bekam. Wusste diese Frau, dass sie eine Dämonin war? Hatte Lee bereits mit ihr über sie gesprochen?
Angespannt wartete sie auf eine Reaktion von ihm, bis er seine Schwester beim Arm nahm und sich zu ihr hinunter beugte. Er raunte ihr einige Worte zu, die Ray aufgrund der lauten Musik nicht verstehen konnte, doch Rubys ernste Miene wurde langsam ein wenig sanfter, während sie ihrem Bruder zuhörte. Schließlich nickte sie. „Folgt mir“, sagte sie dann und stolzierte vor ihnen her durch den Club.
Ehe Ray reagieren konnte, hatte Lee bereits wieder nach ihrer Hand gegriffen und zog sie mit sich. Staunend stellte sie dabei fest, dass Ruby sich mit Leichtigkeit ihren Weg durch die tanzende Meute bahnte. Es schien beinah, als wichen die Menschen unbewusst vor ihr zurück, um ihr Platz zu machen. Faszinierend. Ray selbst wurde nämlich immer wieder von irgendwem angerempelt und hatte mächtig Probleme, mit den Geschwistern Schritt zu halten.
Ruby führte sie zielstrebig durch den großen Raum und stieg dann im hinteren Teil einige Treppenstufen nach oben. Ray hatte die verschiedenen Séparées bereits entdeckt, die sich zu beiden Seiten am Rand der Tanzfläche befanden. Jedes verfügte über einen eigenen Zugang über einige Stufen und einige waren hinter verspiegeltem Glas gelegen, sodass man nicht sehen konnte, inwieweit sie besucht waren. In genau so ein Séparée führte Ruby sie jetzt und Ray hätte beinah erleichtert geseufzt, als sie hinter Lee in den gemütlichen Raum trat. Das Glas dämpfte den Lärm des Nachtclubs und die Musik drang nun nur noch deutlich leiser an ihr Ohr, nachdem die Tür geschlossen war. Eine breite, helle Couch und zwei Sessel standen um einen kleinen Tisch herum, von wo aus man das Treiben auf der Tanzfläche aber auch die Bühnenshow beobachten konnte.
„Danke“, sagte Lee jetzt gerade und seine Schwester nickte. „Ich lass euch etwas zu trinken bringen.“
„Und vielleicht auch etwas zu essen“, überlegte Lee und sah Ray fragend an.
Sie nickte, denn tatsächlich hatte sie inzwischen Hunger bekommen.
„Alles klar.“ Ruby wandte sich bereits wieder zum Gehen. „Wenn ihr sonst noch etwas braucht, wendet euch einfach an das Personal.“ Damit war sie auch schon wieder verschwunden.
Lee schloss die Tür hinter seiner Schwester und schenkte Ray dann ein Lächeln. „Setz dich doch“, bat er und deutete auf die Couch. Ray zog ihre Jacke aus und hängte sie über einen der Sessel, ehe sie auf der wirklich bequemen Couch Platz nahm. Dann beobachtete sie durch das Glas hindurch die vielen Menschen, die sich im Takt der Musik wogen.
Wieviele von ihnen mochten wohl Vampire sein?
Sie überlegte kurz, ob sie Lee genau das fragen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sicher würde er ihre Frage nicht beantworten können und eigentlich war es auch nicht wichtig. Man sah ihr ihre Art ja schließlich auch nicht an. Zumindest hoffte sie das.
„Entspann dich“, meinte Lee, der ihre Nervosität offenbar bemerkt hatte. „Hier drin sieht uns keiner.“
Ray wollte ihm gerade sagen, dass sie das natürlich wusste, da fiel ihr ein, dass es doch eigentlich vollkommen unsinnig war, in diesem Raum zu sitzen. „Aber wollten wir nicht hier her kommen, damit wir gesehen werden?“
Lee zuckte nur mit den Schultern. „Wir können nachher noch tanzen gehen und uns ein wenig unter die Leute mischen“, erklärte er leichthin.
Sie verzog das Gesicht. Tanzen… Das war etwas, was sie zum einen nicht mochte und zum anderen auch gar nicht konnte. Sie verstand nicht, worin der große Spaß lag, sich in albernen zuckenden Bewegungen zu dem lauten Wummern des Basses zu bewegen. Sicher, ab und an hatte sie auch schon einmal eine kleine Tanzeinlage abgeliefert. Aber nur dann, wenn sie niemand sehen konnte. Zu Hause, in ihrer abgeschlossenen Wohnung. Beim Putzen vielleicht.
„Was schaust du so grimmig drein?“ Lee musterte sie neugierig, als versuche er ihre Gedanken zu erraten.
„Ich bin nicht gerade die begnadetste Tänzerin“, gestand sie leise. Eine maßlose Untertreibung.
„Kann ich mir gar nicht vorstellen“, gab er zurück und sein Blick glitt unfassbar langsam über ihren Körper.
Ray räusperte sich verlegen und schlug die Beine übereinander. „Ehrlich gesagt, konnte ich diesem Herumgezappel noch nie besonders viel abgewinnen.“
Verblüfft sah Lee ihr jetzt wieder in die Augen, dann begann er schallend zu lachen. „Herumgezappel?“ Er ergriff ihre Hand und stand mit ihr auf. Dann zog er sie an die Fensterfront und positionierte sich dicht davor. Er selbst blieb hinter ihr stehen und schaute ihr über die Schulter. Sein warmer Atem strich ihr über den Hals, als er sprach und Ray erschauderte, während sie sich seiner Präsenz nur allzu bewusst war.
„Sieh dir die Tänzerinnen auf der Bühne an“, hauchte er und seine Stimme klang belegt. „Ist das, was sie da tun, für dich Herumgezappel?“
Ray versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die seine Nähe ihr bereitet hatte, und ließ ihren Blick zu besagten Tänzerinnen schweifen. In knappen Korsagen und nur mit winzigen Höschen bekleidet, räkelten sie sich an Stangen, die in den Boden eingelassen waren und bis hinauf zur Decke reichten. Im Takt der Musik wickelten sie sich aufreizend um ebendiese, warfen das lange Haar hin und her und vollführten akrobatische Einlagen, zu denen Ray nicht einmal im Traum in der Lage sein würde. Nein, als Herumgezappel konnte man das, was sie da taten, sicher nicht bezeichnen.