Lee musterte Ray, die schließlich auch die zweite Blutkonserve geleert hatte und anschließend ihre Fangzähne zurückzog, als hätte sie nie etwas anderes getan.
„Habt ihr das schon geübt?“, wollte Duncan wissen, der offenbar ähnlich beeindruckt von ihrem Können war.
„Nein“, antwortete Lee knapp, ehe er sich darauf besann, dass sie sich nun endlich um Isaac kümmern mussten.
„Was habt ihr bisher rausgefunden?“, fragte er an die Brüder gerichtet.
Sofort wurde Bastians Miene ernst. „Nicht viel“, gab er zu. „Wir haben unsere Kontaktmänner befragt, aber niemand hat etwas von Isaac gehört. Es gibt Gerüchte darüber, dass er die Delour-Geschäfte übernommen hat und wieder andere erzählen sich, dass die Familie Greys ihn ausgezahlt haben.“
Ray stieß hörbar die Luft aus. „Isaac würde die Unternehmen niemals an die Greys verkaufen.“ In ihrer Stimme schwang deutlicher Zorn mit. „Diese Familie ist ein beinah noch größerer Abschaum, als die meine.“
Lee nickte grimmig. Natürlich hatte auch er von dieser Dämonen-Familie gehört. Während die Jäger sich in der letzten Zeit hauptsächlich darauf konzentriert hatten, die Delours auszuschalten, waren ihnen auch stets Informationen darüber zugetragen wurden, dass sich diese andere Familie daran versuchte, die Delours aus den Geschäften Torontos zurückzudrängen.
„Das glauben wir auch nicht“, meinte Duncan jetzt mit ruhiger Stimme.
„Aber wir haben auch keinen Hinweis darauf, wo sie Isaac hingebracht haben könnten. Wir wissen nicht einmal, von wo aus sie ihre Geschäfte führen“, erklärte Bastian weiter.
Lee seufzte. Das waren keine guten Neuigkeiten.
„Ich weiß, wo die Greys ihr Hauptquartier haben“, sagte Ray in diesem Moment. „Aber es ist sicher gut bewacht. Selbst wenn sie Isaac dorthin gebracht haben, können wir da nicht einfach hineinspazieren.“
„Das lass nur meine Sorge sein“, entgegnete Bastian und sein Mundwinkel zuckte. Tatsächlich wusste Lee, dass sein Freund trotz seiner manchmal sehr hitzköpfigen Art, auch ein guter Stratege war. Wenn er sagte, dass er einen Plan hatte, dann war darauf Verlass.
„Wir müssten nur vorher herausfinden, ob sich Isaac tatsächlich vor Ort befindet oder nicht“, fügte Bastian hinzu. „Das könnte zu unserem Problem werden.“
Ray räusperte sich. „Nicht unbedingt“, sagte sie mit einem leichten Lächeln auf den hübschen Lippen. „Isaac und ich sind schon von unserer Geburt an auf gewisse Weise verbunden. Ich weiß zwar nicht, wie es ihm geht oder kann im Geist mit ihm sprechen, aber ich spüre ihn. Und ich weiß auch, wenn er in der Nähe ist.“
„Tatsächlich?“ Lee sah sie neugierig an. Das war eine Tatsache, die er bisher noch nicht gewusst hatte. Er hatte noch nie davon gehört, dass auch Dämonen über eine solche Verbindung zueinander verfügen konnten.
„Das heißt also, wenn wir dich nah genug heranbringen, kannst du uns sagen, ob Isaac bei ihnen ist?“, hakte Bastian nach und fuhr sich über das Kinn.
Ray nickte, doch Lee hielt nicht viel von dieser Idee. „Sie sind genauso hinter ihr her wie hinter ihrem Bruder“, widersprach er deshalb. „Es wäre vollkommener Irrsinn, sie jetzt direkt zu ihnen zu bringen.“
„Sie geht doch nicht allein“, widersprach Duncan sofort, aber das überzeugte Lee kein Bisschen. „Dann würdest du Adriana also dorthin mitnehmen?“
Duncan erwiderte nichts, aber seine Miene verriet Lee, was er bereits gewusst hatte. Natürlich würde der andere Mann seine Gefährtin niemals einer solchen Gefahr aussetzen.
„Das ist nicht deine Entscheidung“, mischte Ray sich jetzt ein und sah ihn ernst an. „Du hast gesagt, wir würden Isaac gemeinsam retten. Aber wenn du deine Meinung inzwischen geändert hast, gehe ich auch allein.“
Lee presste die Kiefer fest aufeinander. Ja, genau das hatte er tatsächlich gesagt. Aber sie musste doch begreifen, dass sie sich auf diese Weise quasi den Löwen zum Fraß vorwarf.
„Wo ist das Hauptquartier?“, fragte Bastian in die angespannte Stimmung zwischen ihnen hinein.
Ray wandte den Blick von Lee ab und sah den anderen Mann nun an. Sie nannte eine Adresse mitten in der Stadt. „Dort befindet sich eine Tiefgarage“, erklärte sie. „Von dieser aus gelangt man in die unterirdischen Räumlichkeiten.“
Unterirdisch. Diese Information besserte Lees Laune kein Bisschen. Ein Hauptquartiert, das sich unter der Erde befand, bedeutete auch weit weniger Fluchtmöglichkeiten.
„Gut.“ Bastian erhob sich von der Couch. „Ich rede mit den anderen. In ein paar Stunden sollten wir aufbruchbereit sein.“
„Bitte beeilt euch.“ Ray schluckte und Bastian nickte ernst, ehe er den Raum schnellen Schrittes verließ.