Lee sah noch, wie Ray zu taumeln begann, dann reagierte er blitzschnell. In übermenschlicher Geschwindigkeit war er von der Bettkante aufgesprungen und an ihrer Seite. Seine Hände griffen nach ihren Schultern, genau in dem Moment, als sie vom Stuhl zu kippen drohte.
Verwundert starrte er auf sie herab, als sie nun in seinen Armen hing. Sie war bewusstlos!
Alarmiert starrte Lee zu Lina. „Ruf einen Arzt!“, rief er und trug Ray hinüber zum Bett. Als die weißhaarige Hexe keine Anstalten machte, das zu tun, worum er sie gebeten hatte, fluchte er und wiederholte seine Aufforderung erneut.
„Sie braucht keinen Arzt“, erklärte Lina ruhig und erhob sich nun ebenfalls von ihrem Stuhl.
„Sie ist ohnmächtig!“ Lee strich Ray über die Stirn. War ihre Wunde am Bauch vielleicht wieder aufgegangen? Oder war ihr Kopf schlimmer verletzt, als er angenommen hatte?
Aber die Ärzte hatten doch vorhin noch gesagt, dass sie heile würde. Wieso war sie dann jetzt also bewusstlos?
„Leander.“ Linas Hand legte sich auf seinen Arm. Das vollkommen gelassene Lächeln auf ihren Lippen, machte ihn nur noch nervöser. „Es ist wohl alles ein bisschen viel für sie gewesen“, erklärte Lina sanft. Dann deutete sie auf Ray. „Siehst du? Sie kommt schon wieder zu sich.“
Lee folgte ihrem Bick und stellte tatsächlich fest, dass Ray die Augen wieder öffnete. Während sie sich mit der Hand über die Stirn fuhr, seufzte Lee erleichtert auf. „Geht es dir gut?“, fragte er. „Hast du Schmerzen? Soll ich einen Arzt holen?“
Ihm war egal, was Lina gesagt hatte. Wenn Ray sich nicht gut fühlte, würde er die Ärzte hier her holen. Und zwar alle!
„Nein“, antwortete Ray. „Alles in Ordnung.“ Sie setzte sich auf, aber Lee war noch immer nicht ganz davon überzeugt. „Wirklich?“, hakte er deshalb nach.
„Oh, Leander!“ Lina schüttelte den Kopf. „Du führst dich auf wie eine Glucke!“ Sie lachte auf und schlenderte dann zur Tür hinüber. „Du kannst sie doch fühlen. Wenn sie Schmerzen hätte, wüsstest du es.“
Lee, der gerade zu einer Erwiderung hatte ansetzen wollen, machte den Mund wieder zu. Richtig, durch die Blutsbindung sollte er Rays Gefühle wahrnehmen können. Wie hatte er das nur vergessen können?
Gerade wollte er sich darauf konzentrieren, in sich hineinzuhören, da räusperte Lina sich.
„Ihr solltet sehen, dass ihr das zwischen euch klärt“, meinte sie und wedelte mit dem Zeigfinger hin und her. „Und dann ist da wohl noch so ein gewisser Bruder, um den ihr euch kümmern solltet.“
Sie hatte Recht. Noch immer gab es keine Spur von Isaac. Eine Tatsache, die er Ray bisher verheimlicht hatte.
„Was meint sie damit?“, fragte diese natürlich prompt.
Lee warf Lina einen genervten Blick zu. Sie hätte jetzt wirklich nicht damit anfangen müssen. Lee hatte warten wollen, bis Ray sich vollständig erholt hatte, ehe er ihr von Isaac erzählte. Er ahnte, dass sie dann nämlich nicht mehr auf ihre eigene Genesung rücksichtnehmen, sondern sich direkt auf die Suche nach ihrem Bruder würde machen wollen.
„Erklär es ihr. Ihre Wunden sind beinah vollständig verheilt und sie hat ein Recht darauf zu erfahren, was los ist.“ Lina griff nach der Klinke der Tür. „Und Leander?“ Sie zwinkerte ihm zu. „Du hattest schon immer ein gutes Gespür für das Schicksal.“