Sie durchquerten den Eingangsbereich und Bastian führte sie zu einer Tür, die sich an der Seite der Treppe befand. Diese öffnete er und Ray konnte erkennen, dass eine andere Treppe von dort aus nach unten führte. In den Keller, wie sie vermutete.
Dort hatte Bastian sein Büro?
Stirnrunzelnd folgte sie ihm, nachdem er das Licht eingeschaltet hatte. Die hölzernen Stufen führten sie in einen kleinen Flur, von dem aus vier weiße Türen abgingen. Bastian öffnete die erste auf der linken Seite und automatisch ging im Inneren das Licht an. Ray betrat hinter ihm den Raum und staunte nicht schlecht. Sie befanden sich tatsächlich in einem äußerst eleganten Büro. An der linken Seite dominierte ein großer Schreibtisch mit Computer vor einem Regal, das über und über mit verschiedenen Ordnern gefüllt war. An der gegenüberliegenden Wand hing ein gigantischer Flachbildschirm, der allerdings im Moment ausgeschaltet war und im hinteren Bereich gab es eine kleine Sitzgruppe, bestehend aus vier roten Sesseln um einen Tisch.
„Setz dich doch.“ Bastian deutete auf ebendiese Sessel und ging an seinen Schreibtisch. Er kramte in einer Schublade herum, während Ray seiner Aufforderung nachkam und sich setzte. Kurz darauf kam er zu ihr und nahm ihr gegenüber Platz. „Also“, sagte er und sein Mundwinkel zuckte.
„Also?“, wiederholte sie fragend.
„Du und Lee, was?“ Sein Grinsen wurde breiter.
„Ähm…“ Sie hatte keine Ahnung was sie darauf antworten sollte. Ja, eigentlich wusste sie nicht einmal, was seine Frage genau bedeuten sollte.
„Dann läuft da also wirklich etwas zwischen euch?“, kam Bastian nun ohne Umschweif auf den Punkt.
„Was?“, platzte Ray entsetzt heraus. Wie kam er nur darauf, dass zwischen ihnen etwas lief? Sie kannte Lee ja gerade einmal vierundzwanzig Stunden und selbst wenn da etwas gelaufen wäre, dann ginge es Bastian ja wohl überhaupt nichts an. Obwohl… Ihr Puls beschleunigte sich. Lee hatte gesagt, es würde ihr helfen, die Jäger von sich abzubringen, wenn diese annahmen, dass eben genau das der Fall war. Sie mussten denken, dass sie etwas miteinander hatten.
Und Bastian schien zweifelsfrei zu den Jägern zu gehören.
Sie schluckte. „Also wir…“, setzte sie an ohne zu wissen, was sie eigentlich sagen wollte. Sie schaffte es, sich zu einem Lächeln durchzuringen und zuckte dann mit den Schultern.
„Schon gut.“ Bastian schmunzelte wissend. „Es geht mich ja eigentlich nichts an.“
Während er sprach, zog er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche. „Dann wollen wir dem guten alten Lee mal verraten, wo er dich finden kann.“ Damit tippte er eine Nummer in das Gerät ein und schaltete dann auf die Lautsprechfunktion, sodass Ray auch ganz ohne ihr dämonisches Gehör dem monotonen Tuten lauschen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis Lee abnahm. Seine tiefe Stimme klang angespannt und Rays Herz machte einen kleinen Satz, als sie ihn hörte.
„Bastian! Gut, dass du anrufst! Du musst mir helfen! Ray ist verschwunden! Ich denke, ihr ist irgendwas…“
„Keine Sorge, mein Freund“, unterbrach Bastian ihn. „Ich bin dein Retter in der Not.“
„Was?“ Die Verwirrung war Lee deutlich anzuhören.
„Ich meine, dass ich etwas gefunden habe, was du verloren hast.“ Bastian zwinkerte ihr zu und sie verdrehte die Augen über seine Wortwahl.
„Bastian, es ist mir verdammt egal, was du gefunden hast oder was ich verloren habe. Hast du mir nicht zugehört? Ray ist verschwunden!“
„Ich denke, es wird dich doch interessieren, was ich gefunden habe“, widersprach Bastian. „Es ist etwa 1,65m groß, schlank, hat violette Augen und rotblondes Haar. Und es trägt ein schwarzes Kleid.“
Stille folgte.
Dann: „Ray ist bei dir?“ Lee klang so überrascht, dass Ray lächeln musste.
„Der Kandidat hat 100 Punkte“, bestätigte Bastian. „Wann möchtest du deinen Hauptgewinn abholen?“
„Jetzt hör schon auf mit dem Mist“, knurrte Lee am anderen Ende der Leitung ungeduldig. „Geht es ihr gut? Ist ihr was passiert? Ist sie…“
„Es geht mir gut“, rief Ray dazwischen, weil sie es nicht mehr länger aushielt, dass er sich so um sie sorgte.
„Ray?“ Lee schien sie sofort erkannt zu haben.
„Ja, sie ist hier. Und es geht ihr bestens“, versicherte Bastian, ehe sie etwas sagen konnte. „Komm rüber, wir warten in meinem Büro auf dich.“
Er drückte auf den Knopf an seinem Mobilfunkgerät und beendete damit das Gespräch, dann lehnte er sich auf seinem Sessel zurück.
„10“, sagte er und sah sie direkt an.
„10?“, wiederholte sie verständnislos.
„9.“ Bastian grinste breit. „8. 7. 6“, zählte er langsam die Sekunden.
Ray legte den Kopf schräg.
„5. 4. 3.“
Was sollte das denn?
„2. 1.“
Die Tür flog auf und Lee stürzte in den Raum.