Lee hatte es nicht nur geschafft, sich allein anzuziehen, sondern war vorher auch noch rasch unter die Dusche gesprungen. Er hatte den Verband von seinem Oberkörper gelöst und festgestellt, dass die Wunden schon beinah vollständig verheilt waren. Dennoch war die Haut um den einst verletzten Bereich noch etwas empfindlich, aber spätestens in ein bis zwei Tagen würde auch davon nichts mehr übrig sein.
Mit noch feuchtem Haar betrat Lee nun das Wohnzimmer, indem Ray neben ihrem Bruder auf einer Couch saß. Adriana spielte mit der kleinen Mira auf ihrer Decke und auch Duncan hatte sich zu seiner Tochter gesetzt. Cam hielt unterdessen eine rote Teetasse in den Händen, aus der sie kleine Schlucke trank und Bastian, der neben ihr saß, spielte mit einer Strähne ihres roten Haars.
„Ah, da bist du ja“, empfing ihn Letzterer nun.
Cam schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Es tut gut, dich wieder auf den Beinen zu sehen“, sagte sie und Lee wusste, dass sie jedes Wort genau so meinte.
Ein lautes Pochen an der Haustür, ließ Lee herumfahren, doch noch ehe irgendjemand reagieren konnte, flog die Tür auch schon auf. Ruby erschien im Flur des Anwesens und ihre braunen Augen erfassten Lee sofort.
Sie stieß einen Freudenschrei aus und dann schoss sie in Vampirgeschwindigkeit auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Lee konnte gar nichts anderes tun, als die Arme um den Rücken seine Schwester zu schließen.
„Dem Himmel sei Dank, du bist wieder wach“, murmelte Ruby an seiner Brust, ehe sie sich von ihm löste und zu ihm aufblickte. Tränen schimmerten in ihren Augen, ein Anblick, den er von seiner Schwester nur selten kannte.
„Tu das nie wieder, hast du verstanden?“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht, dann presste sie ihre Wange noch einmal an ihn. „Du hast mir einen riesen Schrecken eingejagt!“
Lee tätschelte sanft ihr kurzes Haar. „Tut mir leid“, murmelte er, weil er ahnte, wie sie sich gefühlt haben musste. „Aber es geht mir schon wieder gut.“
„Schon ist gut“, erwiderte Ruby sarkastisch und ließ ihren Bruder nun wieder los. „Drei Tage, Leander. Drei verfluchte Tage!“ Sie hielt drei Finger in die Luft um ihre Aussage zu bekräftigen. „Und gerade als ich mich überreden lasse und nach Hause fahre, um ein paar Stunden zu schlafen, wachst du wieder auf!“
Ihre Stimme klang ein bisschen vorwurfsvoll, aber Lee wusste, dass es nur die Sorge war, die im Moment aus ihr sprach.
„Drei Tage?“, hakte er aber dennoch verwundert nach. Er hatte nicht gewusst, dass er so lange bewusstlos gewesen war. Als er sich nach Bastian umschaute und der zur Bestätigung nickte, schluckte Lee. Drei Tage ohne Bewusstsein waren für einen Vampir eine verdammt lange Zeit.
„Aber nun ist er ja offenbar wieder wohlauf“, meldete sich in diesem Moment eine andere Stimme zu Wort und Lee lächelte seinem Schwager Taye zu, der nun durch die offene Haustür hereinkam. Er kam zu ihnen hinüber und legte seine Hand auf Rubys Schulter, doch sein Blick ruhte auf Lee. „Gut, dich zu sehen.“
Lee nahm die Worte des anderen Mannes mit einem Nicken entgegen, ehe Adriana sich einmischte. „Kommt doch endlich herein“, rief sie aus der Bibliothek und die drei ließen sich nicht länger bitten.
Ruby und Taye teilten sich einen Sessel, weshalb für Lee der andere übrig blieb, auf dem er nun Platz nahm.
Dann sah er abwartend in die Runde. „Also?“, fragte er und sah dann zu Bastian. „Worüber wolltest du sprechen?“ Er hatte schließlich nicht vergessen, dass Bastian ihn in die Bibliothek gebeten hatte, weil er bei irgendetwas Unterstützung in Anspruch nehmen wollte. Nun, wenn es nach Lee ging, waren jetzt wirklich genug Personen anwesend. Zu viele, wenn er ehrlich sein sollte. Denn eigentlich hätte er fiel lieber mit Ray allein gesprochen. Die saß nun aber fast zwei Meter von ihm entfernt und starrte schweigend auf ihre ineinander gefalteten Hände. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Lee fast glauben können, sie ignorierte ihn ganz bewusst.
„Vielleicht sollte ich etwas dazu sagen“, meldete sich Isaac plötzlich zu Wort und zog damit die Blicke aller Anwesenden auf sich. Er grinste schief, als ihm diese Tatsache wohl auch bewusst wurde. „Ich meine, es tut mir fast ein bisschen leid, aber ich kann euer aller Gedanken lesen.“ Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sich dafür entschuldigen.
„Von ihnen allen?“, hakte Ray sofort nach und sah ihren Bruder mit großen Augen an. Als der nur entschlossen nickte, runzelte sie die Stirn.
„Du nicht?“, fragte Duncan vom Teppich aus und musterte Ray neugierig.
Sie errötete leicht, schüttelte dann aber den Kopf. „Lees konnte ich von Anfang an nicht lesen“, gab sie dann offen zu.