Zwei Stunden später erwachte Lee in einer äußerst unbequemen Position auf Rays Couch. Er musste mehrmals blinzeln, ehe er realisierte, dass er eingeschlafen sein musste.
Stöhnend richtete er sich auf und legte eine Hand in den Nacken, um die schmerzenden Muskeln zu massieren. Noch immer war Ray nicht nach Hause gekommen und langsam kam er sich vor, wie ein verrückter Stalker.
Das änderte allerdings nichts daran, dass er ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache hatte.
Bevor er eingeschlafen war, hatte er sich ein wenig genauer in ihrer Wohnung umgesehen. Er hatte nicht herumschnüffeln wollen, aber er hatte einfach gehofft, irgendeinen Hinweis auf ihren Verbleib finden zu können.
Das war jedoch nicht der Fall gewesen.
Ihm war aber aufgefallen, dass die Tasche, die sie gepackt hatte, als sie zu ihm gezogen war, halb ausgeräumt neben ihrem Bett gestanden hatte. Und auch die Waschutensilien waren inzwischen wieder im Badezimmer platziert.
Wenn Ray untergetaucht wäre, hätte sie doch sicher das Nötigste mitgenommen, was seinen Verdacht nur noch verstärkt hatte.
Jetzt seufzte Lee. Er hatte keine Ahnung, wo er nach ihr suchen könnte und auch ihr Mobiltelefon war nach wie vor ausgeschaltet. Grimmig legte er das Gerät nun, nachdem er noch einmal erfolglos ihre Nummer gewählt hatte, zurück auf den Couchtisch. Dabei fiel sein Blick auf einen Block, der in der Ablage darunter lag.
Neugierig zog er ihn hervor und entdeckte eine offenbar hastig dahingekritzelte Notiz. Es handelte sich um eine Uhrzeit und eine Adresse.
Lee runzelte die Stirn.
Da hatte er stundenlang auch einen Hinweis gehofft und hier direkt vor seiner Nase lag ein solcher.
Er riss das Papier vom Block und stand auf. Was auch immer Ray an diesem Ort am anderen Ende der Stadt zu tun gehabt hatte, vielleicht hatte Lee Glück und würde sie dort finden.
Er warf einen Blick auf die Uhr, die ihm verriet, dass es inzwischen bereits auf Mittag zuging. Zu gern hätte er Bastian von seiner Entdeckung in Kenntnis gesetzt, allerdings ahnte er, dass der wenig erfreut sein würde, wenn er ihn jetzt störte. Für ihre Art war im Moment Schlafenszeit.
Einen Moment überlegte Lee noch, dann entschied er sich, die Adresse zunächst allein anzusteuern. Wenn er etwas entdecken würde, könnte er Bastian später immer noch informieren.
Rasch löschte er das Licht in der Wohnung und verließ dann das Haus. Am Straßenrand winkte er sich ein Taxi heran, dem er die Adresse nannte und dann ließ er sich von dem Fahrer durch Toronto chauffieren.
Er zählte die Minuten und wippte ungeduldig mit dem Fuß, bis der Taxifahrer endlich das Fahrzeug anhielt und ihm einen Preis nannte. Lee zahlte rasch und stieg dann aus dem Wagen, wo er sich mit gerunzelter Stirn umblickte. Er befand sich im nordöstlich gelegenen Stadtteil Rosedale, bei dem es sich um eine eher ruhige und reiche Gegend handelte. Jetzt stand Lee vor einer imposanten Villa, die von einer parkähnlichen Anlage umgeben war. Mit einem kurzen Blick auf den Notizzettel überprüfte Lee die von Ray notierte Adresse.
Was hatte sie denn hier zu suchen gehabt?