Ray zog die Aufmerksamkeit der beiden Wachen sofort auf sich. Beide schauten zunächst verdattert zu ihr herüber, stürmten dann aber los und waren innerhalb eines Wimpernschlages bei ihr.
Zeitgleich spürte sie Lees Hand, die sich auf ihren Rücken legte. „Bist du verrückt geworden?“, hörte sie ihn zischen, doch sie ignorierte ihn.
„Hallo“, sagte sie zu den Wachmännern und blickte ernst von einem zum anderen.
Die grimmigen Mienen der beiden wichen offener Verwunderung. Unsicher warfen sie einander Blicke zu, als warteten sie darauf, was der jeweils andere tun würde.
Ray kannte die beiden nicht und sie war sich auch ziemlich sicher, dass sie sie nicht kannten. Dennoch tat sie so, als würde sie hier regelmäßig ein und ausgehen. „Wenn ihr meinem Bruder wohl freundlicherweise mitteilen würdet, dass ich mit ihm sprechen möchte?“
Der kleinere der beiden Männer runzelte die Stirn, während sie der andere am Kopf kratzte. „Bruder?“
„Isaac Delour“, sagte sie und verdrehte genervt die Augen. „Aber nur keine Mühe, ich finde den Weg auch allein.“ Sie stolzierte an ihnen vorbei und zog Lee mit sich. Noch ehe sie die Haustür jedoch erreichen konnte, waren die Dämonen ihnen bereits gefolgt. „Moment mal“, knurrte der Größere und ergriff ihren Arm. Ray wirbelte in einer raschen Bewegung herum und entzog sich dabei seiner Berührung, während sie die Dunkelheit in sich heraufbeschwor. Es war eine Fähigkeit, die sie ihrer Familie zu verdanken hatte, doch sie hatte sie schon lange Zeit nicht mehr genutzt. Dennoch erwachte die Gabe jetzt in ihr und fühlte sich sofort so vertraut an, als habe sie nur auf sie gewartet.
Der Wachmann wich augenblicklich vor ihr zurück, als die Schatten um sie herum zu wirbeln begannen. Ray wusste, dass ihre Augen in diesem Moment silbrig schimmerten und sie bedrohlich aussehen musste.
Genau diese Wirkung hatte sie beabsichtigt.
Der Dämon schluckte und zog den Kopf ein, als würde ihm das irgendwie Schutz bieten.
Ray hob die Hand und hielt sie mit der Innenfläche nach oben vor ihrer Brust, sie konzentrierte sich auf das wilde Schlagen seines Herzens und krümmte dann ganz langsam ihre Finger.
Sofort presste der Mann seine Hand gegen die Brust. Keuchend krümmte er sich nach vorn. „Bitte“, brachte er stöhnend hervor und fiel auf die Knie.
Mit einem zufriedenen Lächeln ließ Ray die Hand sinken und erlöste ihn damit von ihrer Magie.
„Sonst noch jemand?“, fragte sie kühl und schaute hinüber zu dem anderen Dämon, der nun kopfschüttelnd zurückwich.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Ray, dass Lee sie anstarrte, doch sie wagte nicht, zu ihm zu schauen. Sie ahnte, dass ihr Auftritt ihn erschrocken haben musste. Ja, vielleicht war er auch viel mehr als das, denn vermutlich hatte er nicht gewusst, wozu sie in der Lage war. Sie war ja selbst auch nicht gerade stolz darauf.
Nachdem sie tief Luft geholt hatte, drängte sie die Dunkelheit in ihr Innerstes zurück. Die Schatten, die die ganze Zeit über um sie getanzt hatten, bäumten sich noch einmal auf, ehe sie sich dann zurückzogen und schließlich vollständig verschwanden.
Ray straffte die Schultern, nachdem sie ihre Gabe zur Ruhe gelegt hatte, und machte dann auf dem Absatz kehrt.
Sie musste Isaac finden!