„Mein Plan?“ Lee sah Ray verwundert an. Wovon redete sie denn da?
„Wie hast du vor, die Jäger von mir abzubringen?“, fragte Ray und zog die geschwungenen Augenbrauen ein Stück nach oben, während sie ihn abwartend betrachtete.
„Von dir abbringen. Die Jäger“, wiederholte Lee nicht gerade übermäßig intelligent. Allerdings fiel ihm in diesem Moment auch nichts Besseres ein. Wie sollte er ihr nur erklären, dass sein Plan eigentlich überhaupt nicht als solcher bezeichnet werden konnte?
„Du bist doch ein Jäger oder?“ Rays Misstrauen war nun offenbar geweckt. Jetzt musste er vorsichtig sein.
„Ja“, antwortete Lee rasch. „Also… Schon.“ Er klang selbst in seinen eigenen Ohren lächerlich, weshalb er sich rasch räusperte. Jetzt war er froh, dass sie seine Gedanken nicht lesen konnte.
„Okay“, meinte Ray gedehnt. „Na schön, es reicht langsam. Ich will jetzt wissen, was du von mir willst.“
„Was?“ Damit brachte sie ihn nun erst Recht aus der Fassung. Er konnte ihr doch nicht sagen, dass er wenig ehrenhafte Gedanken gehabt hatte, als er sie gerettet hatte.
„Du hast mir das Leben gerettet und ich bin nicht so naiv, dass ich nicht weiß, dass du eine Gegenleistung dafür erwartest. Also sag mir, was du willst und wie ich die Jäger loswerde.“
Lee schluckte. Das waren zwei sehr gute Fragen. Allerdings konnte er ihr unmöglich die Wahrheit sagen. Noch nicht. „Ja.“ Er befeuchtete sich die Lippen. „Ich hab natürlich tatsächlich einen Plan“, meinte er, um Zeit zu schinden.
„Ich bin ganz Ohr.“
„Ich hatte so ein Gefühl, als ich dich auf der Beerdigung gesehen habe.“ Sie zu belügen, würde sicher kein gutes Licht auf ihn werfen, also bemühte sich Lee so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
„Ein Gefühl?“
„Ja. Wie dem auch sei. Jedenfalls denke ich, dass ich die Jäger von dir abbringen kann, wenn du mir ein bisschen Zeit gibst.“ Ja, das klang doch gut! Lee war äußerst zufrieden mit sich. Jetzt hatte er tatsächlich einen Plan. Auch wenn der nicht ganz dem entsprach, was sie glaubte.
„Ich soll dir Zeit geben?“ Ray wirkte verunsichert, aber sie sah ihn nicht mehr so misstrauisch an, wie zuvor. Immerhin das war schon einmal ein Erfolg.
„Im Prinzip müssen wir die Jäger nur davon überzeugen, dass du keine Gefahr darstellst. Das tust du doch nicht, hab ich Recht?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte wirklich keinen Ärger haben.“
„Genau. Du müsstest also hier bleiben, unauffällig sein. Und in der Zwischenzeit, sehe ich, was ich tun kann.“
„Unauffällig.“ Sie stieß langsam die Luft aus. „Wie stellst du dir das denn vor?“
Jetzt kamen sie also zum kritischen Teil. Lee zuckte lässig mit den Schultern. Er würde es ihr einfach geradewegs heraus sagen. „Ich hab mir gedacht, wir tun so, als wären wir ein Paar.“
Ray starrte den Vampir einen Moment mit großen Augen an, dann lachte sie auf.
„Ein Paar?“, wiederholte sie fassungslos.
„Wieso nicht?“, entgegnete Lee mit ernster Miene und ihr Lachen erstarb. Ungläubig schüttelte sie den Kopf: „Du willst die Jäger davon überzeugen, mich in Frieden zu lassen, indem du mich datest?“
Er nickte.
Das konnte doch nicht sein Ernst sein?
„Ich glaube kaum, dass sie das überzeugen wird“, gab Ray zu bedenken. „Im Gegenteil.“
„Glaub mir, sie werden dich in Ruhe lassen, wenn sie sehen, dass wir etwas miteinander haben.“ Lee trat von einem Fuß auf den anderen und Ray bekam das Gefühl, er sei nervös. Ihr Instinkt warnte sie davor, dass er ihr etwas verschwieg, doch noch ehe sie ihn darauf ansprechen konnte, seufzte Lee schwer.
„Sieh mal, in unseren Kreisen gibt es kaum etwas wichtigeres, als das Finden eines Gefährtens“, erklärte er und sie nickte. Selbstverständlich wusste sie davon, dass sich jeder Vampir nach diesem einen Wesen sehnte, mit dem er die Ewigkeit verbringen konnte. Ein Gefährte war für sie mehr als nur ein Partner, weil sie vom Schicksal zueinander geführt wurden. Zumindest waren das die Dinge, die sich die Dämonen erzählten. Ray hatte diese Geschichten immer geliebt, aber ihr Verstand hatte ihr gesagt, dass sie vermutlich viel schöner klangen, als sie in der Realität waren.
„Wenn meine Freunde also glauben, dass ich eine mögliche Gefährtin gefunden habe, würden sie ihr niemals etwas antun, weil sie wissen, dass sie mir damit das Herz aus der Brust reißen würden.“
Ray musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Und du willst ihnen weismachen, dass ich eine mögliche Gefährtin sein könnte?“
„Ganz genau.“
„Wieso?“ Sie verstand nicht, wieso er das für sie tun wollte. Er kannte sie nicht und sie gehörte der Art an, die seinesgleichen jagte und ohne mit der Wimper zu zucken zur Strecke brachte. Und nun stand dieser großgewachsene Vampir vor ihr und wollte seine Freunde belügen, um ihr zu helfen.
Ein schiefes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ich glaube eben an das Gute im Menschen.“
„Auch an das Gute in einem Dämon?“, hakte sie wenig überzeugt nach.
Er zögerte und das war ihr Antwort genug. Sie nickte, erhob sich und klatschte in die Hände. „Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen, aber es ist nicht nötig.“ Sie konnte auf sich aufpassen und wenn die Jäger ihrer Familie so dicht auf den Fersen waren, würde sie untertauchen. Das konnte sie schließlich gut.
„Ich glaube nicht, an das Gute in jedem Dämon“, meldete Lee sich da endlich zu Wort und sie blieb stehen.
„Ich kann es nicht, weil ich schon zu viele Dämonen zu viel Böses haben tun sehen. Aber ich glaube, dass du nicht so bist.“
Rays Herz zog sich zusammen und sie schluckte. Tatsächlich war es genau das, was sie sich selbst seit so langer Zeit einzureden versuchte. Aber er hatte unrecht, mit dem, was er sagte. So leid es ihr tat, aber sie war nicht das, was er in ihr zu sehen glaubte.
Sie straffte die Schultern, wandte sich zu ihm um und lächelte bedauernd. „Du irrst dich.“
„Nein“, widersprach er ihr ohne zu zögern, was sie wirklich überraschte.
„Lass mich dir helfen. Zwei Wochen und dann kannst du gehen, wohin du willst, ohne um dein Leben fürchten zu müssen.“
Es klang verlockend, das musste sie zugeben. Aber bisher hatte Ray den Haken an der Sache noch nicht entdeckt.
„Wieso ist dir das so wichtig?“, fragte sie deshalb nach.
„Mein Edelmut reicht dir also nicht als Begründung?“, stellte er eine Gegenfrage und verzog den Mund zu einem unschuldigen Lächeln.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf eine Antwort, sodass er schließlich mit den Schultern zuckte.
„Also schön, möglicherweise habe ich ein paar Hintergedanken.“
Aha, nun kamen sie also endlich zum Punkt.
„Und?“ Ray zog die Augenbrauen hoch, um ihn zum Weitersprechen zu ermutigen.
Sein Blick glitt einmal über ihren gesamten Körper und seine Augen schienen zu glühen, als er ihr schließlich wieder ins Gesicht schaute. „Du gefällst mir“, murmelte er und in seiner Stimme schwang ein dunkles Grollen, das ihr eine Gänsehaut über den Rücken trieb. „Und ich wäre nicht abgeneigt, wenn wir uns in diesen zwei Wochen möglicherweise etwas näher kommen würden.“