Ray trat aus der Dusche und schlang ein Handtuch um ihren Körper. Seufzend begann sie dann, ihr Haar in einen Turban zu wickeln und tapste dann hinüber in ihr Wohnzimmer. Sie ließ sich auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher an, ehe sie nach ihrem Mobiltelefon griff, das auf dem Tisch vor ihr gelegen hatte.
Das Display zeigte drei Anrufe in Abwesenheit an, die allesamt von Lees Nummer kamen und auch einige Textnachrichten hatte er ihr wieder geschickt. Ray verzog das Gesicht, ehe sie diese öffnete. Nachdem sie sein Apartment verlassen hatte, hatte er zwei Tage nicht von sich hören lassen, aber nun versuchte er schon seit über vierundzwanzig Stunden, sie zu erreichen. Ray hatte zunächst mit sich gerungen, sich dann aber dafür entschieden, seine Anrufe nicht entgegenzunehmen. Schon die geschriebenen Worte brachten sie dazu, ihre Entscheidung, sich von ihm zurückzuziehen, zu hinterfragen und sie ahnte, dass sie der Verlockung kaum würde widerstehen können, wenn sie diese auch noch aus seinem Mund hören würde. Seine Stimme würde ihr vermutlich direkt ins Mark fahren und sie würde vor seiner Tür stehen, noch ehe er aufgelegt hatte.
Doch das war im Moment einfach keine Option. Sie war, was sie war, und das musste sie akzeptieren. In einer anderen Welt, in der sie beide derselben Art angehört hätten, hätten sie vielleicht zusammen sein können, aber so standen die Dinge nun einmal nicht und es war albern, sich Hoffnungen zu machen, wo es keine gab.
Bitte, lass uns reden!
Ich möchte dir helfen!
Lass uns gemeinsam einen Weg finden, deinem Bruder zu helfen.
Ray überflog die Nachrichten und schluckte. Wie gern hätte sie ihm geglaubt und seine Hilfe angenommen. Aber sie konnte einfach nicht.
Nach einem kurzen Zögern löschte sie seine neuen Nachrichten und wählte dann die Nummer ihres Bruders, wie sie es in den letzten Tagen schon so oft versucht hatte, dass sie es nicht mehr zählen konnte.
Stumm lauschte sie dem Freizeichengeräusch und erwartete nicht, dass er abnehmen würde. Sie hatte schon alle Orte aufgesucht, an denen sie Isaac vermutet hatte, aber nirgends war er zu finden gewesen und auch auf ihre Anrufe hatte er kein einziges Mal reagiert. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
„Rose?“, vernahm sie so plötzlich seine Stimme am anderen Ende der Leitung, dass sie zusammenzuckte.
„Isaac?“, fragte sie wenig intelligent, weil sie so überrascht war, ihn zu hören.
„Wieso rufst du an?“, wollte er wissen und klang hörbar angespannt.
„Ich möchte mich bei dir entschuldigen“, sagte sie rasch, weil sie Angst hatte, er könne einfach wieder auflegen. „Du hattest Recht mit dem, was du zu mir gesagt hast. Ich bin eine Dämonin und ich hätte mich niemals auf einen Vampir einlassen dürfen. Aber du musst wissen, dass ich nur dein Bestes wollte…“
„Schon gut“, unterbrach er sie knapp und klang dabei äußerst reserviert. „Können wir uns treffen?“
Verdattert riss sie die Augen auf. „Natürlich“, rief sie. „Jederzeit!“
„Gut“, brummte er. „Morgen Abend.“
„Sicher.“ Vor Erleichterung hätte sie am liebsten geweint.
Er nannte ihr eine Adresse, die sie sich rasch auf einem Block notierte, der auf ihrem Couchtisch lag. „22 Uhr“, fügte Isaac dann noch hinzu. „Und sei pünktlich.“
„Natürlich“, versicherte sie ihm. Er wusste doch, dass sie niemals zu spät kam.
„Isaac, ich…“, setzte sie dann noch an, doch das Tuten in der Leitung verriet ihr, dass er bereits grußlos aufgelegt hatte.
Langsam nahm Ray das Telefon vom Ohr und starrte auf das dunkle Display. Ihr Bruder hatte sich seltsam verhalten. So distanziert und kühl. Aber die Erleichterung darüber, dass er mit ihr gesprochen hatte und sie nun treffen wollte, überwog und sie schob die düsteren Gedanken zur Seite.