Ray knetete nervös ihre eigenen Hände, während sie Bastian hinterher starrte. Sie hatte keine Ahnung, was die Unterhaltung zwischen den beiden zu bedeuten hatte, aber im Moment konnte sie auch nicht darüber nachdenken. Ihr Verstand versuchte noch immer zu verarbeiten, dass Lee gesagt hatte, Bastian sei der Boss des Jägers.
Himmel, bei all den Vampiren, die es auf dieser Welt gab, war sie ausgerechnet an den Anführer der Jäger geraten.
Ihr Herz hämmerte wie wild gegen ihre Brust.
„Hey.“ Lee griff nach ihren Händen und lächelte sie aufmunternd an. „Was ist los mit dir?“
Sie zwang sich dazu, gleichmäßig zu atmen. „Es ist nichts.“
„Ich höre deinen rasenden Puls und sehe, dass du unruhig bist.“
„Bastian ist also der Anführer der Jäger?“ Es machte keinen Sinn zu leugnen, wie unwohl sie sich fühlte.
„Er und sein Bruder, ja“, bestätigte Lee und dann schien ihm zu dämmern, weshalb sie das hatte wissen wollen. „Du musst aber keine Angst haben. Sie sind meine Freunde und sie würden dir nie etwas antun.“
„Solange sie glauben, dass ich deine Gefährtin werden könnte“, beendete Ray seinen Satz und lächelte matt. Genau das hatte er ihr erklärt und sie wusste, dass sie zugestimmt hatte, bei dieser Scharade mitzumachen. „Aber was ist, wenn sich in zwei Wochen herausstellt, dass ich eben genau das nicht bin?“
Dann würden die Jäger keinen Grund mehr haben, sie zu verschonen.
„Was wäre, wenn sich in den nächsten zwei Wochen herausstellen würde, dass du es doch bist?“, stellte Lee ihr eine Gegenfrage.
„Du weißt, dass das Unsinn ist“, widersprach sie. „Ich bin keine Vampirin, sondern ein Dämon.“
Sie wusste nicht, woher der Kloß in ihrer Kehle plötzlich kam, aber er war da. Er ließ sich nicht herunterschlucken und war so groß, dass er ihr beinah den Atem raubte. Es war albern, denn natürlich hatte sie von Anfang an gewusst, dass aus Lee und ihr niemals etwas würde werden können. Aber trotzdem durchzog jetzt ein stechender Schmerz ihre Brust, den sie vor sich selbst nicht leugnen konnte.
Die Tür flog auf und Ray zuckte zusammen. Lee fuhr gleichzeitig herum, als der Mann, der jetzt in das Büro trat, sagte: „Bastian, es gibt Neues von den Delours!“
Ray riss sofort die Augen auf.
„Duncan.“ Lee grüßte den anderen Mann, der ihn nun verwundert ansah.
„Lee“, erwiderte er den Gruß.
„Bastian ist nach oben gegangen“, erklärte Lee und der andere Mann, den er Duncan genannt hatte, nickte.
„Gut“, antwortete er und wandte sich dann an Ray. „Hallo, ich bin Duncan.“
„Ray“, stellte sie sich vor und drückte die Hand, die er ihr hinhielt.
„Er ist Bastians Bruder“, erklärte Lee und Ray hätte am liebsten laut gestöhnt. Natürlich traf sie nun auch noch den anderen Anführer der Jäger. Wie viel Pech konnte eine einzelne Dämonin eigentlich haben?
„Und Ray ist…“ Lee zögerte kurz. „Also…“ Er schien sich nicht sicher zu sein, was er sagen sollte und Ray kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Gern würde sie ihm helfen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie erklären sollte, was sie für ihn war. „Eine Dämonin“, sagte sie deshalb leise.
„Was?“ Duncan riss die Augen auf und starrte sie an. Ray musterte ihn eindringlich und las dabei flüchtig seine Gedanken, die sich gerade überschlugen.
„Sie ist die Dämonin, die du für deine Gefährtin hältst?“, platzte Duncan dann raus und Ray war nicht verwundert, dass auch er davon wusste. In seinem Geist hatte sie die Verbindung zu Adriana und der kleinen Mira entdeckt, die sie vorhin in der Bibliothek kennengelernt hatte.
„Genau“, bestätigte Lee schließlich und Duncan stieß zischend seinen Atem aus. „Eine Delour also.“
Er zog die Stirn kraus, ehe er sich an sie wandte. „Du weißt nicht zufällig, wer aus deiner Familie… Naja… also…“
Noch einmal tauchte Ray in seine Gedanken ein und fand dort die Worte, die er nicht auszusprechen wagte. „Wer von ihnen noch am Leben ist?“
Duncan verzog entschuldigend das Gesicht.
„Schon gut.“ Sie winkte ab, hatte aber jetzt keine Lust noch einmal das Verhältnis zu erklären, was sie zu ihrer Familie gehabt hatte.
„Ich dachte, ihr hättet sie alle ausgelöscht“, log Ray. Sie wollte nicht unehrlich sein, denn auch wenn ihr egal war, was die Jäger von ihr dachten, wäre sie Lee gegenüber doch lieber ehrlich. Allerdings konnte sie ihren Bruder unmöglich verraten. Lieber würde sie selbst sterben!