„Ray!“ Lee erblickte sie und stürzte auf sie zu. Während er nach Luft schnappte, zog er sie aus dem Sessel und riss sie in seine Arme. Voller Erleichterung presste er sie gegen seine Brust, nur um sie gleich darauf wieder ein Stück von sich zu halten und prüfend zu mustern. „Geht es dir gut? Bist du verletzt?“
Sie nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Es ist alles in Ordnung“, erklärte sie und ihm fiel ein gigantischer Stein vom Herzen.
„Was ist denn passiert? Du warst auf einmal verschwunden… ich dachte, dir sei etwas zugestoßen.“ Noch einmal umarmte Lee sie fest, ehe ein Lachen seine Aufmerksamkeit weckte. Blinzelnd blickte er zu Bastian, der auf dem gegenüberstehenden Sessel saß und sich jetzt bemühte, sein Lachen zu unterdrücken.
„Willst du dich nicht erst einmal setzen?“, fragte er jetzt und fuhr sich mit der flachen Hand über den Mund.
Lee überlegte einen Moment, entschied dann aber, dass Bastian vermutlich Recht hatte. Er nahm die Hände von Rays Rücken und drückte sie zurück auf den Platz, von dem er sie zuvor gezogen hatte, ehe er auf den Sessel neben ihr sank. „Also?“ Erwartungsvoll schaute er dann von Bastian zu Ray und wieder zurück.
Ray räusperte sich. „Also ich war auf dem Weg zur Toilette“, begann sie. „Und dann war da plötzlich dieser Kerl…“
„Mitch“, erklärte Bastian. „Er muss sie erkannt haben.“
„Aber wie?“ Ray sah nun zu Bastian, der langsam nickte. „Wir haben deine Familie schon seit einer ganzen Weile überwacht. Alle meine Jäger haben Bilder von euch gesehen.“
„Ihr habt mich überwacht?“ Ray riss die Augen erschrocken auf.
„Deine Familie“, korrigierte Bastian sie. „Dich eigentlich nicht…“ Er warf Lee einen kurzen Blick zu. „Ich vermute, du warst auf einer der Aufnahmen drauf und Mitch hat dich deshalb wiedererkannt.“
„Das ist doch jetzt auch vollkommen egal!“ Lee konnte nicht verstehen, wieso sich die beiden jetzt mit solchen Nichtigkeiten aufhielten. „Was ist passiert?“
„Naja, dieser Mitch schien nicht gerade erfreut mich in dem Nachtclub zu sehen…“ Ray verzog den Mund.
„Er hat sie in den Zirkel gesperrt und mich gerufen“, beendete Bastian ihre Ausführung und Lee zuckte zusammen. „Er hat sie eingesperrt?“ Fassungslos sprang er auf. Wenn er Mitch in die Finger bekommen würde…
„Schließlich wusste er nicht, dass du ein Auge auf Ray geworfen hast“, gab Bastian zu bedenken und hob beschwichtigend die Hände.
„Er hätte sie umbringen können!“ Der Gedanke überkam Lee so plötzlich, dass er beinah brüllte. Himmel, die Jäger waren dazu ausgebildet genau das mit Dämonen zu tun. Sie zeigten keine Gnade und die Tatsache, dass Mitch Ray nur in den Zirkel gesperrt hatte, grenzte an ein Wunder.
Zornig ballte er die Hände zu Fäusten, während er Ray noch einmal eindringlich musterte. „Hat er dir wehgetan?“, fragte er mit eisiger Stimme. „Ich schwöre, wenn er dir irgendwie…“
„Es ist nichts passiert!“ Nun stand auch Ray auf und legte ihm besänftigend ihre schmalen Hände auf die Brust.
„Wo ist er?“, wollte Lee dennoch wissen und schaute hinüber zu seinem Freund.
Der wirkte ganz offen amüsiert. „Weit weg.“
„Wo?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Wie kannst du es nicht wissen? Du bist sein Boss“, knurrte Lee grimmig. Ray an seiner Seite keuchte leise auf.
„Ich hab ihm aber gesagt, dass er das Weite suchen soll, bis du dich beruhigt hast“, erklärte Bastian achselzuckend.
„Woher wusstest du…?“ Lee schüttelte langsam den Kopf. Wie hatte er denn wissen können, dass er Mitch am liebsten den Kopf hätte abreißen wollen.
„Ach, weißt du…“ Bastian zwinkerte ihm zu. „Es ist nicht so lange her, dass ich mit meinem Schicksal gehadert habe. Ich weiß, wie sich das anfühlt.“
Lee schnaubte spöttisch. Ja, Bastian hatte sich tatsächlich so sehr gegen sein Schicksal und seine Bindung zu Cam gewehrt, dass es einfach lächerlich gewesen war. Aber sein plötzlicher Sinneswandel in Bezug auf Ray überraschte ihn nun doch. Schließlich war es Bastian gewesen, der strickt dagegen gewesen war, als Lee sie hatte retten wollen. „Ausgerechnet du kommst mir jetzt mit dem Schicksal?“, fragte er deshalb gedehnt, doch Bastian schien kein bisschen gekränkt zu sein.
„Wenn man selbst betroffen ist, fällt es einem nicht so auf.“ Bastian erhob sich und schlenderte an ihnen vorbei zur Tür. „Aber von außen betrachtet, kann man die Hinweise tatsächlich sehen.“ Er nickte ihnen zu und trat dann hinaus in den Flur. „Macht das Licht aus, wenn ihr geht.“ Damit zog er die Tür hinter sich ins Schloss und ließ Lee mit offenem Mund zurück.