Ray löste sich aus Lees Griff, als sie sein Apartment erreicht hatten. Ihre Gedanken kreisten um die Dinge, die sie vor wenigen Minuten erfahren hatte und gleichzeitig schaffte sie es nicht, auch nur eine Überlegung zu Ende zu bringen. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass die Geschäfte ihrer Familie weitergeführt wurden. Die Vermutung lag nah, dass Isaac derjenige war, der das Zepter übernommen hatte und Ray wusste, dass er sich damit in Gefahr brachte. Nicht nur die anderen Dämonen würden versuchen, an seine Stelle zu rücken, sondern auch die Jäger waren ihm nun auf den Versen. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sie herausfinden würden, dass er den Anschlag überlebt hatte.
Ray machte sich furchtbare Sorgen um ihren Bruder und gleichzeitig war sie unfassbar wütend. Wieso hatte er nicht die Finger davon gelassen? Und warum war er nicht untergetaucht, wie sie es ihm gesagt hatte?
„Ray?“ Lee riss sie aus ihren Gedanken und sie zuckte zusammen. Irritiert stellte sie fest, dass sie ohne es zu bemerken, ins Schlafzimmer gegangen war und nun auf der Kante des Bettes saß. Lee, der ihr offenbar gefolgt war, lehnte im Türrahmen und musterte sie mit ernster Miene.
„Was verheimlichst du vor mir?“ Seine Frage überraschte sie und gleichzeitig hatte sie bereits befürchtet, dass er es bemerken würde. Nur zu gern würde sie sich ihm anvertrauen, aber auch wenn sie ihr eigenes Leben in seine Hände gelegt hatte, so stand es ihr nicht zu, dasselbe mit Isaacs zu tun.
„Ich kann es dir nicht sagen“, erklärte sie, weil es ihr widerstrebte, ihn anzulügen.
Lee legte den Kopf schräg, kam dann zu ihr herüber und nahm neben ihr Platz. Er schwieg eine Weile und Ray starrte auf ihre Hände, die sie in den Schoß gelegt hatte. Nervös spielte sie mit ihren Fingern herum und überlegte krampfhaft, was sie nun tun sollte.
„Du beschützt jemanden“, durchbrach Lee plötzlich das Schweigen und seine dunkle Stimme bereitete ihr eine Gänsehaut. Seine Worte waren keine Frage und sie trafen den Nagel absolut präzise auf den Kopf.
Schwach nickte Ray. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen.
„Wen?“, wollte Lee wissen, doch das konnte sie ihm nicht sagen. Traurig sah sie ihn an, um ihm genau das mitzuteilen, doch als ihr Blick sich in seinen himmelblauen Augen verfing, vergaß sie jedes Wort. Kleine weiße Flecken tanzten um seine Pupille und sahen dabei aus wie Wattewölkchen am Firmament. Ray versank in diesen faszinierenden Himmelaugen und gleichzeitig beschleunigte sich ihr Herzschlag.
Lee beugte sich zu ihr herüber und sein Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter vor ihr. Sein angenehm herber Duft stieg ihr in die Nase und benebelte ihren Verstand. Ihr Blick zuckte hinunter zu seinen schmalen Lippen und gleichzeitig wünschte sie sich, dass genau diese sie berühren würden.
Die Sekunden verstrichen und Ray hielt gespannt den Atem an. Gerade glaubte sie, er würde sie küssen, da flüsterte er etwas, was sie nicht verstand. Die Worte drangen erst langsam zu ihr vor und durchbrachen das filigrane Netz, was sich um ihren Geist gelegt hatte. Sie musste mehrmals blinzeln, aber als er es dann ein drittes Mal wiederholte, verstand sie ihn klar und deutlich.
„Beschützt du den Mann, den du liebst?“