Lee starrte Ray reglos hinterher. Sie war so plötzlich aufgesprungen, dass er es erst realisiert hatte, als sie schon aus dem Raum hinausgestürzt war. Das Schlagen der Tür ließ ihn nun aus seiner Starre erwachen und er blinzelte irritiert.
„Was…?“, fragte er vollkommen verständnislos und blickte in die Runde. Duncan wirkte ähnlich überrascht wie Lee selbst, während Cam und Bastian einander schuldbewusst ansahen.
Lee versuchte die letzten Sekunden Revue passieren zu lassen, doch ihm kam nichts in den Sinn, was Rays Abgang erklären könnte.
„Nun geh ihr schon nach“, fuhr Bastian ihn in diesem Moment an. „Oder willst du, dass sie erst wieder an die falschen Leute gerät?“
Die Worte seines Freundes wirkten auf Lee wie ein Adrenalinschub. Er dachte keine Sekunde länger nach, sprang auf und raste in Vampirgeschwindigkeit hinter Ray her. Vor dem Haus verschaffte er sich einen Überblick, doch auch wenn sie ebenso schnell unterwegs war wie er, konnte sie hören und vor allem spüren. Lee teleportierte sich an die Grundstücksgrenze und versperrte Ray auf diese Weise genau in dem Moment den Weg, als sie durch das Tor schießen wollte.
Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit prallte sie mit einer solchen Wucht gegen Lee, dass sie beide durch die Luft flogen und dann rücklings auf dem Boden landeten. Instinktiv schloss Lee noch seine Arme um sie, um ihren Sturz abzufangen, als er auch schon mit dem Rücken voran auf dem harten Asphalt aufschlug. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, als Ray nur Sekundenbruchteile danach auf ihm landete. Sie schrie auf und auch Lee verzog das Gesicht.
„Was zum Teufel…?“ Ray stemmte sich von seiner Brust hoch und Lee ließ sie los, damit sie von ihm herunterrutschen konnte. Er selbst blieb noch einen Moment liegen und holte tief Luft.
„Alles in Ordnung?“, fragte Ray und sie beugte sich über ihn. Mit einem kurzen Nicken setzte sich nun auch Lee auf. „Wenn du mir erklären würdest, was mit dir los ist, dann bin ich zufrieden“, brummte er und bewegte seine schmerzenden Schultern auf und ab.
Als Ray nicht antwortete, zog er fragend eine Augenbraue nach oben. „Also? Wo willst du plötzlich hin?“
„Ich wollte nur…“ Sie brach ab und nagte unsicher auf ihrer Unterlippe herum, was Lee dazu veranlasste, sie eindringlich zu mustern. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Augen feucht glänzten.
„Was ist los?“, fragte er sofort alarmiert und beugte sich näher zu ihr.
„Cam“, brachte Ray leise hervor. „Sie hat Angst vor mir, nicht wahr?“
„Was?“ Wie kam sie denn darauf?
„Ich habe es gesehen“, meinte Ray sichtlich bedrückt.
„Was hast du gesehen?“, hakte er nach.
„Wie sie zusammengezuckt ist, als sie gehört hat, dass ich noch immer eine Dämonin bin.“
Lee runzelte die Stirn. Er hatte zwar nichts dergleichen beobachtet, aber natürlich hatte er auch Bastians Bemerkung gehört, bevor Ray davongeeilt war. Und er wusste, wieso Cam so reagiert hatte.
„Das hat nichts mit deiner Person zu tun“, erklärte er Ray jetzt. „Sie hat Dinge erlebt, die…“ Lee suchte nach den richtigen Worten, doch ihm wollte nicht einfallen, wie er zusammenfassen sollte, was Cam durchgemacht hatte.
„Ein Dämon hat sie gebrochen?“, fragte Ray, die offenbar genau wusste, worüber er sprach.
Lee nickte. Genau das war passiert. Cam hatte die übelste Fähigkeit der Dämonen am eigenen Leib spüren müssen. Ein Dämon hatte ihren Willen gebrochen und sie anschließend dahingehend beeinflusst, dass sie geglaubt hatte, sie würde ihn lieben.
Rays Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Ich würde niemals…“, setzte sie an, doch er unterbrach sie.
„Ich weiß“, sagte er und umfing ihr Gesicht mit seinen Händen. Er wusste nicht, woher er die Überzeugung nahm, aber er war sich absolut sicher, dass Ray diese Fähigkeit niemals anwenden würde.
„Aber ich bin, was ich bin“, flüsterte sie und er spürte den Schmerz, den ihre diese Worte bereiteten.
„Ja“, sagte er mit fester Stimme. „Du bist, was du bist. Meine Gefährtin!“