„Also schön.“ Ruby seufzte am anderen Ende der Telefonleitung. „Wie kann ich dir helfen?“
„Ich will sie besser kennenlernen“, erklärte Lee leise. Er hatte keine Lust, dass Ray ihn belauschte, auch wenn er annahm, dass sie ihm Nebenzimmer beschäftigt und nicht gerade neugierig war, was er hier gerade mit seiner Schwester besprach.
„Okay“, antwortete Ruby gedehnt und in ihrer Stimme schwang eine unausgesprochene Frage mit, da sie offenbar noch nicht verstand, worauf er hinauswollte.
„Ich meine, wenn ich sie näher kennenlerne und mehr über sie erfahre, sollte ich doch auch herausfinden, ob wir zueinander passen. Ob meine Vermutung sich bestätigt“, führte Lee seine Überlegungen weiter aus.
„Mh“, war die Antwort, die er daraufhin bekam.
„Mh? Was meinst du mit mh?“
„Naja, ich meine, natürlich ist es sinnvoll, sie besser kennenzulernen. Anders wirst du nicht erfahren, ob sie deine Gefährtin sein könnte“, bestätigte Ruby. „Aber was hält sie denn von der ganzen Sache?“
„Was meinst du?“
„Du wirst ihr doch von deinem Verdacht erzählt haben“, erklärte seine Schwester. „Was sagt sie dazu?“
„Ähm…“ Verlegen fuhr sich Lee durch das kurze Haar. „Also eigentlich…“ Er schluckte und verzog den Mund. „Wenn ich ehrlich sein soll… ich meine…“, stammelte er herum und Ruby keuchte laut in den Hörer.
„Du hast es ihr nicht gesagt?“ Ihre Stimme wurde eine Oktave höher und Lee zuckte zusammen.
„Nicht direkt…“, gab er zu.
„Was soll das denn heißen?“
„Ich habe ihr erklärt, dass ich ihr helfen würde, die Jäger von sich abzubringen“, gestand er. Es brachte schließlich nichts, die Wahrheit zu verschleiern.
Ruby schwieg einen Moment und gerade als er fragen wollte, ob sie noch dran sei, fragte sie: „Und wieso solltest du das tun?“
„Weil ich ein guter Kerl bin.“
„Natürlich.“ Ruby schnaubte spöttisch. „Und das hat sie dir abgenommen?“
„Nein. Sie wollte wissen, wieso ich ihr helfen will.“ So war es schließlich gewesen. „Und ich habe ihr erklärt, dass ich sie attraktiv finde und gern näher kennenlernen will.“
„Aha. Wir kommen der Sache also schon näher. Und weiter?“
Lee seufzte. Er hätte wissen müssen, dass Ruby sich nicht mit Halbwahrheiten würde zufrieden geben. Wenn er ihre Hilfe wollte, dann würde er ihr alles bis ins kleinste Detail erzählen müssen.
„Ich hab sie gebeten, mir zwei Wochen Zeit zu geben.“
„Wofür“, bohrte Ruby nach.
„Um sie vor den Jägern als meine mögliche Gefährtin vorzustellen und so aus der Schussbahn zu bringen.“ Angespannt lauschte Lee, um sich zu vergewissern, dass Ray ihn tatsächlich nicht hören konnte. Auch wenn er sich bemüht leise zu sprechen, wollte er dennoch kein Risiko eingehen. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte keine Geräusche von nebenan vernehmen und hoffte, dass das ein gutes Zeichen war.
Also Ruby jetzt in schallendes Gelächter ausbrach, zog Lee die Stirn in Falten. „Wieso lachst du?“
„Entschuldige.“ Sie prustete und klang, als habe sie große Mühe, ihr glucksen zu unterdrücken. „Aber du verdrehst die Wahrheit zu einer so komplizierten Lüge, dass sie fast schon wieder der Wahrheit entspricht. Das ist so absurd, dass nur dir das einfallen konnte.“
Lee dachte einen Moment über das Gesagte nach und musste zugeben, dass seine Lüge wirklich so nah an der Wahrheit lag, dass er vermutlich auch einfach direkt hätte ehrlich zu Ray sein können. Andererseits konnte er sich nur schwer vorstellen, dass sie zugestimmt hätte, ihn kennenzulernen, wenn er ihr gesagt hätte, dass sie seine Gefährtin sein könnte. Ja tatsächlich wusste er ja nicht einmal, ob sie überhaupt daran interessiert war, jemals die Gefährtin von irgendwem zu werden.
„Ich hatte gehofft, sie würde nicht so abgeneigt von der ganzen Gefährten-Sache sein, wenn sie mich erst einmal besser kennengelernt hat“, gestand Lee leise.
„Nein“, widersprach Ruby entschieden. „Du hoffst, dass sie sich in die verliebt.“
Lee setzte bereits an, um seiner Schwester zu erklären, dass sie falsch lag, doch noch ehe er ein Wort sagen konnte, erkannte er, dass er sich damit nur selbst belügen würde. Auch wenn er den Gedanken nicht bewusst gehabt hatte, so hatte Ruby doch Recht. Er hoffte tatsächlich, dass Ray sich in ihn verlieben könnte.
Sein Schweigen war für Ruby offenbar Antwort genug. „Ich hoffe, dass du dich nicht in ihr getäuscht hast“, sagte sie. „Und ich hoffe auch, dass du in ihr dein Glück finden wirst. Du hast es verdient.“
„Danke.“ Lee zuckte zusammen, als in genau diesem Moment die Tür des Schlafzimmers geöffnet wurde und Ray heraus trat.
Ruby sagte etwas, doch er hörte nicht zu. Seine Aufmerksamkeit war auf die schlanke Frau gerichtet, die in heller Jeans und grauem Pullover vor ihm stand und ihn fragend ansah.