Lee runzelte die Stirn, während er dem Gespräch zwischen Ray und Duncan lauschte. Er wusste, dass sie nicht gut auf ihre Familie zu sprechen war, denn sie hatte ihm von ihrer Beziehung erzählt. Aber trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie jetzt gerade nicht vollkommen ehrlich war.
Duncan hingegen schien das nicht zu bemerken. Er nickte jetzt langsam und verzog nachdenklich das Gesicht. „Irgendjemand muss entkommen sein.“
Ray verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich.“
Lee verspürte plötzlich den Drang, sie zu beschützen. Ohne länger darüber nachzudenken, gab er dem Impuls nach und legte den Arm um ihre Schulter. Es überraschte ihn nicht, dass sie zusammenzuckte, aber nach einem kurzen Seitenblick, ließ sie ihn gewähren.
„Es muss noch jemanden geben“, erklärte Duncan mit gerunzelter Stirn.
„Wieso?“, wollte Lee wissen.
„Die Geschäfte ruhen nicht“, antwortete Duncan und Lee presste die Lippen grimmig aufeinander. Er wusste, dass Rays Familie mehrere große Unternehmen führte und dort auf illegale Weise Geld verdiente. Drogen- und Menschenhandel gehörten ebenso zu den Einnahmequellen der Delours wie Diebstahl und Betrug. Sie hatten die Fäden zahlreicher Machenschaften in der Stadt in der Hand und die Jäger hatten eigentlich angenommen, dass nach dem lange geplanten Schlag gegen die Familie zumindest eine Weile Ruhe einkehren würde.
Natürlich gab es auch andere Dämonen, die nach Großem strebten und auch offen mit den Delours konkurriert hatten, aber dennoch waren sie es, die den höchsten Einfluss in Toronto ausübten.
Wenn die Geschäfte also nun tatsächlich weitergingen, musste ein Familienmitglied die Macht an sich gerissen haben. Es war nahezu unmöglich, dass ein anderer Dämon das Unternehmen übernommen hatte, aber Lee konnte auch nicht glauben, dass jemand den Anschlag überlebt hatte.
Ray an seiner Seite schwieg und ihre Miene war so neutral, dass Lee sie ihr nicht abnahm. Sie verbarg etwas, das spürte er ganz deutlich, aber in Anwesenheit von Duncan wollte er sie nicht danach fragen. Vermutlich würde sie es nur abstreiten und für Lee würde es noch schwerer werden, an Informationen zu kommen.
„Ich muss mit Bastian sprechen“, murmelte Duncan jetzt mehr zu sich selbst und riss Lee damit aus seinen Gedanken.
„Ihr wisst also nichts?“ Noch einmal heftete sich sein Blick auf Ray und auch wenn er sie beide angesprochen hatte, war klar, dass er nur von ihr einen Hinweis erwartet hatte.
Sie schüttelte allerdings entschieden den Kopf und Duncan quittierte das mit einem Seufzen. Er wandte sich bereits zur Tür, als Lee sich räusperte. „Wenn du uns nicht mehr brauchst, würde wir uns auf den Heimweg machen“, meinte er und griff nach Rays Hand.
Duncan nickte. „Na schön, aber wenn euch noch etwas einfällt oder sich jemand bei ihr meldet, dann gebt mir Bescheid.“ Damit verließ er das Büro.
Schweigend folgte Lee ihm mit Ray an seiner Seite und als sie den Eingangsbereich des Hauses wieder erreicht hatten, hob Duncan nur die Hand zum Gruß, ehe er in die Bibliothek verschwand.
Lee führte Ray hinaus und ging mit ihr die Einfahrt hinunter. Sie sagte nichts, wirkte aber so in Gedanken versunken, dass Lee unheimlich gern gewusst hätte, was gerade in ihr vorging. Immer wieder zog sie die Stirn in Falten und schluckte, als habe sie einen Kloß im Hals.
Nachdem sie gemeinsam das Hoftor durchquert hatten, blieb Lee stehen. Erst jetzt schien Ray wieder in die Realität zurückzukehren, denn sie blinzelte kurz und sah ihn dann fragend an.
Er streckte seine Arme wortlos nach ihr aus und sie verstand ihn sofort. Ohne zu zögern sank sie in seine Umarmung und legte ihren Kopf an seine Brust. Die Vertrautheit zwischen ihnen bereitete ihm ein warmes Gefühl in seinem Innersten. Er konnte nur hoffen, dass ihm seine Gefühle für Ray nicht den Verstand benebelten.