„Danke“, durchbrach Ray schließlich die Stille und Lee zuckte überrascht zusammen. Sie sah ihn so emotionslos an, dass er sich nicht sicher war, ob er sich nicht vielleicht verhört hatte. Dann jedoch atmete sie tief durch und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. „Ich kann dir nicht sagen, wie dankbar ich dir bin“, sagte sie und starrte auf ihre eigenen Finger, die sie auf ihrem Schoß miteinander verwob.
Diesmal war Lee sich sicher, dass er ihre Worte genau verstanden hatte und doch konnte er nicht glauben, dass sie das gerade gesagt hatte. „Du bedankst dich bei mir?“
Sie nickte und sah wieder zu ihm auf. Ein schiefes Lächeln erschien auf ihren sinnlichen Lippen. „Ziemlich verrückt, oder?“
Lee konnte nicht abstreiten, dass es genau das war, was ihm als erstes in den Sinn gekommen war und seine Miene musste wohl genau das auch aussagen, denn Rays Grinsen wurde breiter, als sie entschuldigend mit den Schultern zuckte. „Es tut so gut, zu hören, dass sie endlich tot sind.“
Lee schüttelte fassungslos den Kopf und leerte sein Whiskeyglas in einem Zug. Das Brennen in seiner Kehle schien im Augenblick das einzig Reale an dieser Situation zu sein.
„Sie waren schlechte Menschen. Intrigant, machtbesessen und böse.“ Die Abscheu war deutlich in Rays Worten zu hören.
Ihr Blick fiel hinaus auf die funkelnde Stadt. „Aber sie waren meine Familie.“ Sie machte eine Pause, in der sie ihren schwarzen Mantel aufknöpfte und die langen Beine übereinander schlug. „Ich bin ein Teil von ihnen und auch, wenn ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte, hätte ich nie gedacht, dass ich solche Erleichterung fühlen würde, wenn sie endlich…“ Sie brach ab, schien in ihren Gedanken zu schwelgen und Lee vollkommen vergessen zu haben. Ihre Finger spielten mit einigen Strähnen ihres langen rotblonden Pferdeschwanzes und ihre sonderbar violetten Augen wanderten träge über die dunkle Silhouette des nächtlichen Torontos. Sie passte gut hier in sein Apartment, fand Lee. Und wenn es nach ihm gehen würde, müsste sie es nie wieder verlassen.
So leicht, war die Situation allerdings nicht und auch wenn Lee sich gewünscht hätte, dass sie noch eine Weile hier gesessen und geschwiegen hätte, während er sie beobachten konnte, Ray schien andere Pläne zu haben. Mit einem Räuspern schien sie sich selbst aus ihren Gedanken zu reißen, dann wandte sie sich Lee wieder zu. „Genug herzzerreißende Familiengeschichten.“ Mit den flachen Händen schlug sie sich auf die Schenkel. „Ich werde jetzt gehen.“
Lee verzog den Mund. „Hatten wir nicht geklärt, dass das nicht geht?“
„Nein“, sie schüttelte knapp den Kopf und stand auf. „Du hattest zehn Minuten. Und die sind inzwischen um.“
Lee erhob sich ebenfalls, um zu verhindern, dass sie sich davonmachte. „Wenn du aus dieser Tür hinaustrittst, dann bist du so gut wie tot“, erklärte er schlicht und das genügte tatsächlich, dass sie innehielt. Er sah, wie sich die Muskeln in ihrem Rücken anspannten, ehe sie sich langsam zu ihm herumdrehte. „War das jetzt eine Drohung?“