Ray starrte Lee aus zusammengekniffenen Augen an. Seine Haltung war so lässig, als habe er ihr gerade von einer neuen Fernsehserie erzählt. Eine Hand hatte er in die Tasche seiner Jeans geschoben, die seine muskulösen Beine betonte, mit der anderen fuhr er sich jetzt über das Kinn, an dem sie einige Bartstoppeln erkennen konnte.
„Ich habe dir nicht gedroht“, widersprach er entschieden. „Das war eine Warnung.“
Sie schnaubte spöttisch. „Das macht es nicht unbedingt besser.“
„Wieso sollte ich dir deinen hübschen Hintern retten, nur um dir gleich darauf zu drohen?“ Seine Frage hätte sie beinah aus der Fassung gebracht. Er fand ihren Hintern hübsch?
Rays Finger zuckten. „Das frage ich dich.“
Lee seufzte schwer. „Setz dich und ich erkläre es dir.“
Darauf würde sie kein weiteres Mal hereinfallen. „Ich bleibe stehen und mehr noch, ich werde jetzt zu dieser Tür hinausgehen und von hier verschwinden“, erklärte sie entschieden, bewegte sich aber nicht vom Fleck. Tatsächlich konnte sie nicht leugnen, dass ihre Neugier geweckt war. Was wollte dieser Vampir von ihr und wieso war sie noch nicht tot?
Ray konzentrierte sich auf seine Stirn. Wenn er schon nicht reden wollte, dann würde sie sich die Informationen eben anders besorgen. Sie war schließlich eine Dämonin und auch wenn sie ihre Wurzeln hasste, so hatten sie doch einige Vorteile.
Schweigend starrte sie auf den Ansatz von Lees kurzem, dunklem Haar und sah nichts. Sie blinzelte und lauschte angestrengt, doch da war absolut nichts. Irritiert taumelte sie einen Schritt zurück.
„Dann verstehst du jetzt sicher, wieso du hier bleiben musst“, sagte Lee. „Tut mir leid.“
„Was?“ Vollkommen durcheinander starrte sie auf ihre Finger. Sie hatte seine Gedanken nicht lesen können. Das war ihr noch kein einziges Mal passiert.
Sicher, es gab Menschen, bei denen es schwerer war als bei anderen, aber sie fand immer einen Weg in ihre Köpfe. Aber bei Lee hatte sie nicht einmal den Hauch einer Emotion wahrgenommen. Da war einfach nichts.
„Alles in Ordnung?“ Lees besorgter Ton brachte Ray nun völlig aus der Fassung. Sie starrte ihn an und versuchte noch einmal, in seine Gedanken einzudringen. Das Ergebnis blieb jedoch das gleiche und Ray schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie machst du das?“
Jetzt war es an Lee fragend eine Augenbraue nach oben zu ziehen. „Ich mache was?“
„Du schließt mich aus.“
„Ähm.“ Er grinste schief. „Nicht, dass ich wüsste.“
„Aus deinem Kopf“, erklärte sie und deutete auf seine Stirn. „Ich kann dich nicht lesen.“
Lees Grinsen erstarb und er musterte sie eindringlich. „Ernsthaft?“
Als sie nickte, runzelte er die Stirn. „Versuch es noch einmal!“
Sie tat, was er verlangte, doch auch jetzt blieb es in ihrem Kopf vollkommen still. „Nichts“, flüsterte sie.
Lee kratzte sich am Hinterkopf. „Seltsam. Ich wusste nicht, dass man sich vor der mentalen Kraft eines Dämons schützen kann.“
Nein, das wusste sie auch nicht. „Das kann man auch nicht.“
„Offenbar ja doch.“ Er tippte sich gegen die Stirn.
„Aber ich habe das noch nie erlebt. Und mir ist auch nicht bekannt,...“ Sie ließ den Satz unvollendet, als er bereits wieder zu grinsen begann.
„Ich wusste es doch“, meinte er und Ray hatte das Gefühl, dass er mehr mit sich selbst sprach, als mit ihr.
„Was wusstest du?“, fragte sie dennoch.
„Ach, das erklär ich dir später.“ Er winkte ab. „Jetzt will ich aber erst einmal, dass du weißt, wieso du hier bleiben musst.“
Das wurde aber langsam auch Zeit!
„Ich habe dich hier her gebracht, weil ich nicht wollte, dass du stirbst. Wenn du allerdings jetzt mein Apartment verlässt, dann stehst du wieder auf der Abschussliste“, erklärte er ernst.
Ray biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste, dass sie den Dämonenjägern wenig entgegenzusetzen hatte. Diese Männer wussten, wo ihre Schwachstellen lagen und auch wenn Ray es mit einem von ihnen möglicherweise noch aufnehmen konnte, so hatte sie gegen mehrere absolut keine Chance. „Das ist nicht gerade beruhigend.“
„Ich weiß.“ Lee zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Aber deshalb bist du ja hier.“
„Wieso bin ich hier?“ Diese Frage interessierte sie beinah noch mehr.
„Weil ich dich hergebracht habe.“
„Aber wieso?“
„Ich wollte nicht, dass du stirbst.“
Sie seufzte. So kamen sie doch nicht weiter. „Aber wieso wolltest du es nicht? Du kennst mich doch gar nicht.“
Er schenkte ihr ein Lächeln, das ihr Herz einen Moment aus dem Takt brachte. „Genau das will ich ändern.“
Es war keine wirkliche Antwort auf ihre Frage, aber Ray verstand, dass sie sich im Moment wohl damit zufrieden geben musste. „Na schön“, sagte sie deshalb. „Wie lautet dein Plan?“