Lee leckte sich immer wieder nervös über die Lippen, während Ray ihn abwartend anstarrte. Himmel, er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, aber vermutlich war es das beste, ihr nun endlich die Wahrheit zu sagen. Er hatte ihr schließlich ausführlich seine Beweggründe erklärt und nun konnte er nur noch auf ihr Verständnis hoffen.
„Ich habe dir mein Blut gegeben“, sagte er deshalb geradeheraus.
Ray blinzelte und schwieg.
Die Worte waren heraus und nun wartete Lee stumm auf ihre Reaktion.
Doch Ray sagte nichts. Und sie tat auch nichts. Sie starrte ihn einfach nur weiterhin aus ihren großen, violetten Augen an. Oder besser gesagt, sie starrte anscheinend durch ihn hindurch.
„Ray?“, fragte er schließlich zögernd, weil er nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt verstanden hatte.
Sie schluckte, blinzelte erneut und dann schien ihr Blick sich endlich wieder auf ihn zu fokussieren. Trotzdem sagte sie noch immer nichts.
„Alles in Ordnung?“, versuchte Lee es deshalb noch einmal.
„Du hast mir dein Blut gegeben?“, fragte Ray nun leise, aber er konnte keinerlei Emotion aus ihrer Stimme heraushören.
Lee nickte. „Ich konnte dich doch nicht sterben lassen“, versuchte er sein Handeln zu rechtfertigen.
„Du hast mir dein Blut gegeben“, wiederholte Ray noch einmal, diesmal nicht als Frage und eher an sich selbst gerichtet. „Vampirblut“, fügte sie dann hinzu und schüttelte langsam den Kopf. Dann entzog sie ihm ihre Hand und Lee verspürte zeitgleich einen Stich mitten in sein Herz.
Während sie ihre Finger betrachtete, als sehe sie sie gerade zum ersten Mal, schlucke Lee den Schmerz herunter. Er hatte damit gerechnet, dass sie nicht begeistert sein würde. Schließlich war das, was er getan hatte, keine Lappalie.
„Was bedeutet das?“, fragte Ray jetzt und endlich erkannte er auch ihre Emotionen. Sie hatte Angst.
Lee erhob sich und nahm dann auf der Kante ihres Bettes Platz, wo er ihr noch etwas näher sein konnte. „Ich bin mir nicht sicher“, gestand er dann und musste sich zwingen, sie nicht erneut zu berühren. „Aber offenbar hat dir mein Blut dabei geholfen, zu heilen.“
Ray nickte mit gerunzelter Stirn.
„Ich hätte dich um Erlaubnis gebeten, wenn ich gekonnt hätte. Aber in dem Moment zählte nur, dich zu retten. Und es hat funktioniert.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Und allein dafür würde ich es jederzeit wieder tun.“
Ray schluckte, während ihr Blick sich mit seinem verwob. Lee versuchte all seine Gefühle in seine Augen zu legen, denn ihnen schien sie im Moment am meisten zuzuhören.
„Hast du schon einmal davon gehört, was mit einem Dämon passiert, wenn er Vampirblut zu sich nimmt?“, fragte Ray irgendwann zögerlich.
„Nein“, gab Lee zu. „Ich habe keine Ahnung.“
„Ein Mensch wird auf diese Weise zu einem Vampir gewandelt, nicht wahr?“, wollte sie wissen und er nickte. „Ja, auf diese Weise wandelt man einen Menschen.“ Aber Ray war kein normaler Mensch.
„Woran merkt man denn, dass man ein Vampir ist?“, fragte sie und sah ihn dann unsicher an.
Lee überlegte kurz. Geschärfte Sinne, Schnelligkeit und dergleichen fielen bei Ray natürlich weg, denn über ebendiese Fähigkeiten verfügte sie als Dämonin ja bereits. Und das Teleportieren mussten auch gewandelte Vampire erst lernen.
„Fangzähne“, antwortete Lee schließlich, als ihm der entscheidende Punkt in den Sinn kam. „Wir haben Fangzähne.“
Augenblicklich öffnete Ray ihren Mund und tastete nach ihren Zähnen. „Sie sind normal. Oder?“ Sie präsentierte ihm ihre Zähne, indem sie die Oberlippe zurückzog und er nickte. Dann zeige er ihr sein eigenes Gebiss. „Das sind sie bei mir aber im Normalfall auch“, erklärte er dann.
Sie nickte. „Stimmt. Aber wie kommen sie denn zum Vorschein?“
Lee ließ seine Fangzähne herausgleiten. „Durch Willenskraft oder starke Gefühle“, sagte er dann und biss sich ohne Umschweif in sein Handgelenk. „Oder durch den Geruch von Blut.“
Er hielt ihr den Arm unter die Nase und sie zuckte zusammen. Erschrocken presste sie die Finger vor den Mund. „Verflucht!“, nuschelte sie dazwischen hindurch und Lee zog eine Augenbraue nach oben.
Vorsichtig nahm sie dann ihre Hand von ihren Lippen und präsentierte zwei strahlenweise und messerscharfe Fänge.
„Oh, verdammt“, entfuhr es daraufhin auch Lee. Was hatte er ihnen da nur eingebrockt?