Lee ballte die Hände zu Fäusten und hatte Mühe, ein Knurren zu unterdrücken. Da Ray den Wasserhahn aufgedreht hatte und sehr leise sprach, hatte er nicht dem gesamten Telefonat folgen können. Umso deutlicher hatte er dafür verstanden, dass sie mit einem Mann namens Isaac gesprochen hatte und zu eben diesem Mann hatte sie gesagt, dass sie ihn liebte.
Wer zur Hölle war dieser Isaac?
Nur zu gern hätte Lee sich eingeredet, dass es sich bei ihm um ein Mitglied ihrer Familie handelte, aber er war sich sicher, dass bei der Trauerfeier niemand außer ihr überlebt hatte. Der Plan war perfekt gewesen und wenn er selbst Ray nicht im letzten Moment von der Feier weggeholt hätte, würde auch sie nun nicht mehr unter den Lebenden weilen.
All das ließ jedoch leider nur einen Schluss zu. Isaac musste ihr Freund sein. Verdammt!
Am liebsten hätte Lee die Tür aufgestoßen und Ray auf der Stelle danach gefragt. Dann jedoch würde sie wissen, dass er sie belauscht hatte, und das wollte er wirklich nicht.
Ein leises Seufzen drang aus dem Badezimmer an Lees Ohr und er hörte, wie sie gleich darauf das Wasser abstellte.
Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, huschte Lee lautlos aus dem Schlafzimmer und saß einen Wimpernschlag später auf der Couch. Er schaffte es sogar noch, den Fernseher anzuschalten, ehe er Ray aus dem Zimmer treten hörte.
Lässig legte er die Beine auf den Sessel zu seiner Linken und tat so, als würde er dem Fernsehprogramm interessiert folgen, während er darauf achtete, wie Rays Schritte näher kamen.
„Ernsthaft?“, fragte sie, trat um die Couch herum und ließ sich neben ihn fallen.
Überrascht sah er sie an und zog fragend eine Augenbraue nach oben, während sie amüsiert schmunzelte. „Obstfliegen?“
Irritiert runzelte er die Stirn. Wovon redete sie denn da?
Ihr Grinsen wurde breiter, während sie auf den TV-Bildschirm deutete.
Als er sich diesem zuwandte, dämmerte ihm aber endlich, was sie so amüsierte. In seiner Eile hatte er nicht auf das Programm geachtet, doch tatsächlich hatte er wohl eine Dokumentation über Eintagsfliegen eingeschaltet.
Langsam begann er zu nicken. „Interessante Tierchen“, meinte er, weil er keine Ahnung hatte, was er sonst sagen sollte.
„Tatsächlich?“, hakte sie nach.
„Natürlich“, bestätigte er so ernst, wie es eben ging.
„Die erwachsenen Tiere leben ausschließlich zur Begattung und Eiablage“, verkündete die Sprecherstimme der Dokumentation in diesem Moment, während ein riesiger Schwarm winziger Fliegen über einem Gewässer zu sehen war.
Und Ray prustete los. „Ja“, kicherte sie. „Wirklich unheimlich faszinierende Tiere.“
Lee fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht, während nun auch er lachen musste. Als er dabei zu Ray hinüberschaute, wischte die sich gerade eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Ich dachte eigentlich, dass Vampire eher auf Mücken stehen“, erklärte sie amüsiert.
„Was?“
„Na, wegen der Blutsaugerei. Irgendwie verbindet euch das doch, oder?“ Sie krümmte sich inzwischen lachend und Lee lachte ebenfalls. „Du findest also, dass ich etwas mit einer Mücke gemeinsam habe?“ Er rutschte zu ihr hinüber und präsentierte ihr seine Fangzähne. „Die hier sind ja wohl kaum mit einem Mückenrüssel vergleichbar“, erklärte er dann in gespielter Empörung.
Ray hob abwehrend die Hände. „Schon gut. Ich wollte dich nicht in deiner Ehre kränken.“
„Das hoffe ich für dich“, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust, während ihm auffiel, wie gut Ray ihr Lachen stand.
„Nein, wirklich. Ich gebe zu, dass mir bisher noch keine Mücke begegnet ist, die auch nur annähernd so attraktiv gewesen ist wie du“, erklärte sie noch immer lachend.
Lee stutzte. Sie fand ihn attraktiv?
Als habe sie zeitgleich bemerkt, was sie gerade gesagt hatte, verstummte Rays Lachen und sie räusperte sich. Wenn Lee sich nicht irrte, konnte er auf ihren Wangen sogar eine leichte Rötung erkennen.
Zu gern hätte er das Thema vertieft, aber gleichzeitig fiel ihm auch wieder ihr heimliches Telefonat ein, weshalb er lächelnd nach der Fernbedienung griff, um umzuschalten. „Das nehme ich mal als Kompliment“, meinte er dabei leichthin und fügte wie beiläufig an: „Lass das nur nicht deinen Freund hören.“
„Meinen Freund?“, kam ihre Reaktion sofort, wie er es sich erhofft hatte.
„Oder hast du keinen?“, fragte er und war stolz auf sich, wie neutral er bei dieser Frage klang. Innerlich jedoch wäre er beinah explodiert, so angespannt war er.
Einen Moment schwieg Ray, dann runzelte sie die Stirn. „Versuchst du mich gerade auszuhorchen?“
Überrascht zog er die Augenbrauen nach oben. „Wie kommst du denn darauf?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du etwas wissen willst, dann frag mich einfach direkt“, sagte sie.