Isaac stieß den Atem mit einem langen Seufzer aus. „Ich habe es geahnt“, sagte er dann und lächelte seine Schwester schließlich an.
„Was meinst du damit?“, fragte Ray und runzelte irritiert die Stirn.
Ihr Bruder warf einen kurzen Blick in die Runde, dann nickte er knapp. „Wir sollten uns mal unter vier Augen unterhalten“, erklärte er dann entschlossen und stand auf.
„Aber…“, wollte Ray widersprechen, weil sie keine Ahnung hatte, was das ganze sollte.
„Nichts aber“, unterbrach Isaac sie. „Komm schon. Es dauert auch nicht lange.“ Er hielt ihr auffordernd die Hand hin und Ray wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Aus diesem Grund legte sie seine Finger in die ihres Bruders und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen.
„Wir gehen mal eben an die frische Luft“, erklärte er dann den Vampiren. „Wenn ihr uns entschuldigen würdet?“
Die anderen nickten zustimmend, wirkten aber dennoch leicht irritiert oder neugierig.
Ray ließ sich von Isaac hinter sich herziehen und wagte schließlich sogar, noch einen kurzen Blick auf Lee zu werfen. Der sah irgendwie nicht besonders interessiert aus. Nein, seine Miene wirkte eher angespannt, aber als er jetzt bemerkte, dass sie zu ihm sah, drehte Ray sich rasch wieder um. Sie wusste nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, nach allem, was vorgefallen war.
Als sie nun hinter Isaac die Bibliothek verließ, musste sie zugeben, dass sie fast ein wenig erleichtert war, auf diese Weise auch etwas Abstand zu Lee zu gewinnen. In seiner Gegenwart wurde ihr schwindlig, weil er so viele Gefühle in ihr auslöste. Einerseits wollte sie ihm um den Hals fallen, weil sie so froh war, dass er noch am Leben war. Sie wollte ihm ihren Dank aussprechen, weil er ihr beigestanden hatte und sie wollte ihn küssen und mit ihm nach oben verschwinden, um genau das zu tun, was sie vor ihrem Aufbruch zu den Greys getan hatten. Sie sehnte sich danach, seine Haut auf ihrer zu spüren und ihre Phantasie ging mit ihr durch, wenn sie ihn nur anschaute.
Auf der anderen Seite schämte sie sich dafür, was sie im SUV zu ihm gesagt hatte und sie wusste nicht, wie sie die Worte zurücknehmen sollte. Oder ob er ihre Entschuldigung überhaupt hören wollte. Woher sollte sie schließlich wissen, dass er tatsächlich ernsthaft an ihr interessiert war?
Sicher, die körperliche Anziehung war auch von seiner Seite nicht abzustreiten, aber Ray war sich inzwischen sicher, dass sie viel mehr als das wollte. Sie hatte sich in Lee verliebt.
Aber sie würde den Teufel tun, ihm das auf die Nase zu binden! Nicht, solange sie nicht wusste, wie er zu ihr stand.
Sie seufzte langgezogen und bemerkte erst jetzt, dass sie das Haus längst verlassen hatten.
Isaac hatte ihr ihre Jacke über die Schultern gelegt, was ihr auch erst jetzt wirklich bewusst wurde, weshalb sie nun die Arme durch die Ärmel schob und den Reißverschluss zuzog. Dann ging sie schweigend neben Isaac her, der um das große Gebäude herumschlenderte. Seine Hände hatte er tief in den Hosentaschen vergraben und er schien es nicht unbedingt eilig zu haben, mit ihr zu sprechen.
Geduld hatte allerdings noch nie zu Rays größten Stärken gehört, weshalb sie es jetzt auch war, die das Schweigen durchbrach. „Also, worüber wolltest du mit mir sprechen?“, fragte sie deshalb und blieb stehen, als sie nun die Terrasse hinter dem Haus erreicht hatten.
„Über Lee“, antwortete ihr Bruder ohne Umschweif und sofort begann Rays Puls zu rasen.