Ray war froh, dass sie von dem Kellner unterbrochen worden und sie nun erneut auf der Couch saß. Ihre Knie waren weich geworden, als Lee mit ihr getanzt hatte und ihr Herz hatte so wild gegen ihre Brust gehämmert, dass es ihr den Atem geraubt hatte. Ihr Körper prickelte noch immer von seiner Nähe und in ihr war eine Hitze erwacht, die absolut unangemessen war.
Sie hatte sich von ihm mitreißen lassen und dabei alles andere vollkommen vergessen.
Stumm saß sie jetzt neben Lee, nippte an einem Getränk, dass für ihren Geschmack viel zu süß schmeckte und zwang sich ein paar der Häppchen zu essen, die ihnen gebracht worden waren. Eigentlich waren diese köstlich, doch Ray konnte sich absolut nicht darauf konzentrieren. Lee, dessen Bein ihres beim Sitzen berührte, war ihr so nah, und wenn er sich vorbeugte, um nach etwas von der Platte zu greifen, streifte er manchmal beiläufig ihren Arm. Jedes Mal reagierte ihr verräterischer Körper mit einem Schauer auf diese Berührung und Ray hatte keine Ahnung, wie lange sie das noch ertragen würde.
„Entschuldige“, sagte sie deshalb und sprang auf. „Ich muss mal…“ Sie überlegte, was sie sagen könnte, um der Zweisamkeit zu entkommen und machte dabei eine vage Geste in Richtung der Tür. „Ich muss mich frischmachen“, erklärte sie dann, weil ihr absolut nichts besseres in den Sinn kam.
Lee, der sie im ersten Moment verwundert angesehen hatte, nickte jetzt. „Natürlich“, sagte er. „Ich kann…“, begann er und stand auf, doch Ray unterbrach ihn rasch. „Nein, nein. Ich finde mich schon zurecht.“
Sie drängte sich an ihm vorbei, stürzte beinah panisch zur Tür und riss diese auf. „Bin gleich zurück“, rief sie noch, ehe sie nach draußen trat und eilig die Treppe hinunterstieg. Sie wusste, dass er sie durch das Fenster hindurch würde sehen können, weshalb sie sich bemühte nicht zu sehr danach auszusehen, als sei sie auf der Flucht. Und gleichzeitig bemühte sie sich, zwischen den vielen Menschen unterzugehen und so aus seinem Sichtfeld zu verschwinden.
Es dauerte eine Weile, ehe sie stehenblieb und sich umsah. Von hier aus konnte sie das Séparée, in dem Lee auf sie wartetet, nicht mehr sehen und endlich atmete sie aus. Die Erleichterung, die sie überfiel, war so enorm, dass sie über sich selbst den Kopf schüttelte. Was war denn nur los mit ihr?
Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie sich jemals so aufgeführt hatte.
Aber in Lees Nähe verlor sie aus unerklärlichen Gründen die Kontrolle über sich selbst. Es war ein beängstigendes und gleichzeitig berauschendes Gefühl.
Seufzend fuhr sich Ray durch das lange, rotblonde Haar. Sie würde sich einfach etwas zusammenreißen müssen. Es konnte schließlich kein Problem sein, die zwei Wochen mit Lee auszuhalten und anschließend würde sie wieder ihrer eigenen Wege gehen können. Und das hoffentlich ohne Jäger auf dem Hals zu haben.
Und auch ohne ihre Familie, die sie zurück in ihren Kreisen haben wollte. Das war ein Gedanke, an den sich Ray erst noch würde gewöhnen müssen… So viele Jahre hatte sie gehofft, dass sie irgendwann nichts mehr mit ihnen zu tun haben müsste und nun hatten die Jäger sie erlöst. Sie konnte nur hoffen, dass Isaac nicht auf irgendwelche dummen Ideen kam. Sein Gedanke, die Firma weiterzuführen, machte Ray Angst. Sie wollte nicht, dass ihr Bruder die Geschäfte ihrer Familie übernahm. Isaac hatte sich zwar nicht so sehr abgewandt, wie Ray es getan hatte, aber sie wusste, dass er die Machenschaften immer sehr kritisch gesehen hatte. Und auch wenn ihre Eltern ihn am liebsten als Nachfolger herangezogen hätten, so hatte Isaac sich nie dafür interessiert und stets das getan, wonach ihm der Sinn stand. Aber jetzt…
„Hey.“ Eine fremde Stimme riss Ray aus ihren Gedanken und sie drehte sich überrascht nach dieser um. Ein großgewachsener Mann baute sich vor ihr auf und starrte mit deutlichem Argwohn auf sie herab. „Was hast du hier zu suchen?“, fragte er und Ray verstand nicht gleich, wieso er so unfreundlich mit ihr sprach.
Als sie sich dann aber auf seinen Geist konzentrierte, konnte sie seine Gedanken lesen und das Blut in ihren Adern gefror auf der Stelle. Er war ein Vampir. Ein Jäger. Und er hatte erkannt, was sie war.