Ray verzog das Gesicht als sie hörte, dass Lee die rothaarige Frau namens Cam um Blut gebeten hatte. Sie hatte inzwischen zwar festgestellt, dass das Zeug viel besser schmeckte, als sie zunächst angenommen hatte, aber zu hören, wie Lee es bestellte, als sei es ein Glas Wasser, war dennoch merkwürdig.
„Wir müssen Bastian und den anderen erklären, was ich getan habe“, unterbrach Lee ihre Überlegungen.
Ray ahnte, dass er damit ihre Wandlung in einen Vampir-Dämonen meinte, doch sie hakte zur Sicherheit noch einmal nach. „Du meinst, sie sollten wissen, was ich jetzt bin?“
Lee beugte sich zu ihr herüber und legte seine Hand auf ihre Wange. „Was wir beide jetzt sind“, verbesserte er sie und sein Atem strich dabei über ihre Haut. Sofort begann sich ihr Herzschlag zu schleunigen und ihr Blick wanderte wie von selbst zu seinen Lippen, die sich in genau diesem Moment zu einem Lächeln verzogen. „Später“, flüsterte er und lehnte sich dann wieder zurück.
Irritiert blinzelte Ray, als er auf diese Weise wieder Abstand zwischen sie beide gebracht hatte und registrierte im gleichen Augenblick, dass Cam zurück in die Bibliothek kam. Sie trug ein Tablett mit leeren Gläsern und direkt hinter ihr folgten Bastian und Duncan, wobei ersterer den Arm voller Blutkonserven hatte.
Ray konnte nicht anders, als die Nase zu rümpfen. Es war einfach ein absurder Anblick.
„Lee.“ Bastian nickte ihnen zum Gruß zu, ehe er die Beutel auf dem kleinen Tisch vor ihnen ablegte, wo auch Cam das Tablett platzierte.
„Dir geht es also besser?“, fragte Bastian dann an Ray gerichtet, ehe er sich auf die gegenüberstehende Couch neben seine Gefährtin setzte.
Ray nickte, während sich nun auch Duncan setzte.
„Das ging aber schnell“, sagte er und runzelte die Stirn auf eine Weise, die Ray seinen Argwohn deutlich spüren ließ.
„Laut unseren Informationen dürften deine Wunden nicht so schnell geheilt sein“, fügte er dann auch gleich hinzu.
„Zumindest nicht, wenn sie tatsächlich mit einer dieser gesegneten Waffen verursacht wurden“, fügte Bastian hinzu und in seinen Worten lag definitiv eine unausgesprochene Frage.
Lee schien das offenbar auch bemerkt zu haben, denn er räusperte sich. „Richtig“, bestätigte er. „Es gibt da etwas, was ihr wissen solltet.“
Die Brüder schwiegen und Ray wartete angespannt darauf, dass Lee die Bombe platzen ließ. Doch es war Cam, die ihnen allen zuvor kam. „Du hast sie gewandelt“, sagte sie und klang dabei kein bisschen überrascht.
Ray zuckte zusammen, als die junge Frau den Fakt offen aussprach und auch Lee wirkte ehrlich überrascht.
„Prinzessin, das ist Unsinn. Sie ist eine Dämonin und kein Mensch“, widersprach Bastian Cam und strich ihr liebevoll über den Arm.
„Naja“, unterbrach Lee seinen Freund. "Eigentlich hat Cam den Nagel ziemlich präzise auf den Kopf getroffen."
Bastian und Duncan starrten ihn mit großen Augen an, ehe ihre Blicke sich zeitgleich auf Ray richteten. Das Unbehagen in ihr wuchs an und sie begann nervös ihre Hände zu kneten.
„Aber... das ist doch... also ich meine...“ Duncan stammelte Satzanfänge, schaffte es aber nicht, einen einzigen von ihnen zu beenden. Stattdessen schüttelte er immer wieder den Kopf.
Bastian schien sich schneller wieder gefasst zu haben. „Wie ist das denn möglich?“, wollte er wissen.
Lee zuckte mit den Schultern. „Sie wäre noch auf dem Weg ins Krankenhaus verblutet“, erklärte er. „Die Ärzte malten ihr wenig Hoffnung aus, weil sie einfach nicht heilte. Ich musste irgendetwas tun.“
„Lee hat mit das Leben gerettet“, wagte Ray sich nun auch endlich etwas zum Thema beizutragen.
„Ich musste es zumindest versuchen“, fügte Lee hinzu und griff nach ihren Händen. Seine warmen Finger umschlossen die ihren und Ray wurde sofort ein wenig ruhiger. Seine Berührung gab ihr seltsamerweise ein Gefühl von Sicherheit. Er lächelte sie an. „Und es hat funktioniert.“
„Dann ist sie jetzt also eine Vampirin?“, hakte Cam nach und Ray konnte deutlich spüren, dass die Frau nicht nur neugierig klang. Sie konnte allerdings nicht recht deuten, welche anderen Gefühle in Cam tobten.
„Und eine Dämonin“, erklärte Ray leise und sie konnte deutlich sehen, dass Cam zusammenzuckte, auch wenn diese das zu verbergen versuchte, indem sie sich das rote Haar hinter das Ohr strich.
„Sie wird dir nichts tun“, flüsterte Bastian ihr zu und legte seine Hand auf ihr Knie.
Ray runzelte die Stirn. Wieso sollte sie der anderen Frau etwas tun wollen? Sie blickte zu Cam hinüber, die jetzt nickte, aber in ihren Augen lag ein Gefühl, das Ray nur allzu gut erkennen konnte. Angst. Cam hatte Angst vor ihr.
Die Erkenntnis trat Ray wie ein Schlag ins Gesicht und sie erhob sich abrupt. Als Cam abermals zusammenzuckte, versuchte Ray das zu ignorieren.
„Es ist vielleicht besser, wenn ich jetzt gehe“, sagte sie und war selbst etwas überrascht, wie kühl ihre Stimme plötzlich klang. Sie wartete jedoch nicht darauf, dass irgendjemand etwas sagen konnte oder Lee auf die Idee kam sie aufzuhalten, sondern eilte rasch aus dem Raum. Im Flur hastete sie beinah auf die Haustür zu und als sie endlich ins Freie trat, war ihr egal, ob jemand sie beobachtete. Sie nahm all ihre übermenschlichen Fähigkeiten – egal ob dämonisch oder vampirisch – zusammen und rannte die Auffahrt hinunter.