Lee lauschte ihren Worten, während er versuchte, sich diesen Isaac vorzustellen. Wenn er Ray so wichtig war, konnte er unmöglich so ein Widerling wie seine Familie sein, aber dennoch tat er nun genau das, was er bei seinen Eltern angeblich verabscheut hatte. Es fiel Lee schwer, dieses Verhalten nachzuvollziehen und er war sich auch nicht sicher, wie Ray dazu stand. Ihr Tonfall war so neutral gewesen, als sie gesprochen hatte, dass es beinah klang, als spräche sie von völlig Fremden.
„Wie denkst du über das Verhalten deines Bruders?“, fragte er sie deshalb geradeheraus.
„Ich…“ Sie stieß langsam ihre Luft aus und verzog dann nachdenklich das Gesicht. Dabei biss sie sich auf die Unterlippe und begann mit einer Strähne ihres rotblonden Haars zu spielen. „Ich halte nichts von den Geschäften meiner Eltern“, gab sie leise zu. „Ich weiß nicht viel darüber und das ist auch gut so, denn die wenigen Dinge, die ich früher mitbekommen habe, waren…“ Sie schluckte, als müsse sie die Erinnerungen besiegen. „Grausam“, brachte sie dann so leise hervor, dass er sie beinah nicht verstanden hätte.
Sofort überkam Lee der Impuls, ihre Hand zu drücken, doch er riss sich zusammen. Es war gerade einmal wenige Minuten her, dass er mit seiner Beherrschung hatte kämpfen müssen und wenn Ray sich nicht von ihm gelöst hätte, hätte er diesen Kampf sicher verloren.
„Ich weiß, dass Isaac die Dinge nicht ganz so kritisch sieht wie ich. Aber trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er etwas tun würde…“ Ihre Stimme brach und sie blinzelte. Lee meinte ein Glitzern in ihren Augen zu erkennen, als diese feucht wurden, doch dann fuhr sie sich über das Gesicht und ihre Fassung kehrte zurück. „Ich habe Angst, dass er sich da in etwas verrennt“, sagte sie mit fester Stimme. „Und ich habe noch viel größere Angst davor, dass die Jäger ihn finden könnten.“
Verdammt. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.
Sicher waren Duncan, Bastian und die anderen Isaac bereits auf den Versen. Und er musste ehrlich zugeben, dass ihn das nicht einmal gestört hätte, wenn dieser Kerl nicht Rays Bruder wäre.
Allerdings ahnte er inzwischen, dass Ray seinen Tod nicht so leicht verkraften würde, wie den der anderen Familienmitglieder. Und diese Tatsache brachte ihn in eine Zwickmühle.
„Meinst du, du könntest ihn davon überzeugen, aus dem Familienunternehmen auszusteigen?“, fragte er gedehnt. Das zumindest könnte sich als hilfreich herausstellen.
„Ich weiß es nicht“, gab Ray zu. „Aber ich hoffe es. Ich muss es einfach versuchen, denn wenn er all das weiterführt, dann wird er das mit dem Leben bezahlen.“ Sie klang verzweifelt. „Die Jäger würden kein Erbarmen mit ihm haben, nicht wahr?“
Ihr Blick suchte den seinen und Lee musste schlucken, ehe er antworten konnte. „Nein“, sagte er schlicht, denn genau das entsprach der Wahrheit. Ray, die damit wohl gerechnet hatte, wandte sich ab. „Ich muss es einfach schaffen“, murmelte sie und Ray glaubte, sie spräche mehr mit sich selbst als mit ihm.