Ihre Kehle war wie zugeschnürt, während sie immer wieder durch Lees kurzes Haar strich. Die Tränen, die ihr heiß über das Gesicht liefen, bildeten einen unwirklichen Kontrast zu seiner so kühlen Haut.
Sie hätte viel eher eingreifen sollen. Vielleicht hätte sie ihn dann noch retten können.
Aber stattdessen war sie viel zu sehr damit beschäftigt ihrem Bruder zu helfen. Sie war blind gewesen und hatte falsche Prioritäten gesetzt und nun war Lee tot. Es war allein ihre Schuld.
„Ray!“, rief Bastian erneut, doch sie sah ihn nicht an. Ihre Augen ruhten auf Lees leblosem Körper und seinen geschlossenen Lidern. Ihr ganzer Körper erbebte unter ihrem Schluchzen, doch es war ihr egal.
Das einzige, was zählte, war, dass sie Lee verloren hatte, ehe sie ihn überhaupt richtig hatte finden können.
„Was…?“, hörte sie Bastian plötzlich erschrocken rufen. „Verflucht, was tust du da?“
Die Worte drangen langsam an Rays Verstand und nun schaute sie doch nach ihm. Bastians Augen waren vor Scheck geweitet, aber er sah nicht zu ihr. Nein, sein Blick fixierte jemand anderen und als Ray der Richtung mit ihren eigenen Augen folgte, entdeckte sie auch den Grund für sein Entsetzen.
Isaac hatte sich aufgerappelt und seine eigenen Schatten herbeigerufen. Sie tanzten um seinen offenbar geschwächten Körper und ließen seine Gestalt dadurch eher unwirklich wirken. Unwirklich und für Unwissende sicher beängstigend.
Er hatte die Hand ausgestreckt und als Ray hinüber zu den Dämonen sah, erkannte sie, dass er einen von ihnen zum Erstarren gebracht hatte. Dem kahlköpfigen Vampir war es deshalb gelungen, den anderen zu Boden zu ringen. Nun griff er nach einem Dolch, der am Boden gelegen hatte, und schnitt dem erstarrten Dämon ohne mit der Wimper zu zucken, den Kopf von den Schultern. Ray sah noch, wie sein Körper in sich zusammenfiel und dann nichts als eine Pfütze von ihm zurückblieb.
Isaac hatte sich inzwischen den Dämon vorgenommen, der über dem blonden Vampir gekniet hatte und auch der Blonde reagierte nun blitzschnell und nutzte die Gelegenheit, um sich seiner zu entledigen.
Dasselbe widerholte sich auch mit dem letzten verbleibenden Dämon und schließlich sah Isaac zu ihr. Die dunkelvioletten Augen ihres Bruders richteten sich auf sie, während er langsam näher kam.
Ray entging nicht, dass er hinkte, aber er ließ sich seine Schmerzen nicht anmerken.
Isaac ging schließlich neben ihr auf die Knie und zeitgleich verschwanden die Schatten um ihn herum. „Dräng sie zurück“, sagte er mit leiser Stimme und Ray blinzelte verwirrt durch den Tränenschleier.
„Deine Schatten“, erklärte ihr Bruder, der sie auch wortlos verstanden hatte, und erst jetzt wurde Ray bewusst, dass die Schatten tatsächlich noch immer um sie tanzten.
Sie schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihr Innerstes und drängte sie zurück. Es fiel ihr schwer, sie sicher wegzusperren, denn ihr Schmerz war so groß, dass die Schatten bei ihr bleiben wollten.
Schließlich gewann sie aber doch die Oberhand und als sie die Lider wieder öffnete, nickte Isaac zufrieden. Dann legte er seine Hand auf ihre Schulter. „Du liebst ihn wirklich“, murmelte er und es klang ein wenig überrascht, aber nicht, wie eine Frage.
Zaghaft nickte Ray. Jetzt konnte sie es nicht mehr leugnen.
Neue Tränen stiegen in ihr auf und sie erbebte.
Isaac zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Ich habe seine Gedanken gelesen“, erklärte er an ihrem Haar. „Er hat dich auch geliebt.“
Ray schluchzte auf. Die Worte, die eigentlich so gut gemeint gewesen sein sollten, verletzten sie umso mehr. Isaac hatte in der Vergangenheit gesprochen. Und damit wurde Lees Tod plötzlich grausam real.
„Nein“, wimmerte sie unter Tränen und riss sich von ihrem Bruder los. Sie krallte die Finger in Lees Shirt. „Nein!“