Lee kam langsam zu sich und musste mehrmals blinzeln, ehe er begriff, dass er wohl bewusstlos gewesen sein musste. Er starrte an eine weiße Decke und es dauerte noch einige weitere Sekunden, ehe ihm wieder einfiel, was geschehen war. Er hatte nach Ray gesucht und war dann zu dieser Adresse in Rosedale gefahren. Er war in das Haus gegangen und dann war da dieser ohrenbetäubende Knall gewesen. Danach konnte er sich allerdings an nichts mehr erinnern.
Lee zwang sich jetzt, sich langsam aufzurichten, wobei er ein unangenehmes Stechen im Kopf spürte. Vorsichtig tastete er nach seinem Kopf und stellte fest, dass er geblutete haben musste. Die Wunde an seinem Hinterkopf war jetzt zwar nicht mehr frisch, aber auch noch nicht vollständig verheilt. Was war denn nur geschehen?
„Ach, schon wieder wach?“, fragte jemand und Lee drehte langsam den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, die ihm seltsam bekannt vorkam.
Am anderen Ende des einrichtungslosen Raumes saß ein Mann auf dem Boden, der ihn grimmig musterte. Isaac!
„Du“, brachte Lee erstaunt hervor, als er feststellte, dass Isaac in einem Zirkel gefangen war.
Ein prüfender Blick verriet ihm, dass auch er in einem solchen saß.
„Ich könnte mir auch deutlich angenehmere Gesellschaft vorstellen“, brummte Isaac. Lee ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern schaute sich weiter um. Als er seinen Kopf dabei weiter nach rechts drehte, erstarrte er. In einem dritten Zirkel lag der reglose Körper einer Frau auf dem steinernen Boden. „Ray!“, rief er und sprang auf. Instinktiv wollte er zu ihr laufen, doch die unsichtbare Zirkelwand, ließ ihn zurückprallen. Er stolperte, fing sich aber wieder und ging dann doch auf die Knie. „Ray!“
„Sie kann dich nicht hören“, erklärte Isaac und in seiner Stimme lag deutlich hörbarer Zorn. „Sie ist bewusstlos.“
Lees Herzschlag setzte für einen Moment aus, ehe sein Puls zu rasen begann. „Was ist geschehen?“, verlangte er zu erfahren, nahm seinen Blick aber keine Sekunde von Ray. Sie lag mit dem Rücken zu ihm und ein Arm ragte seltsam verdreht unter ihrem Körper hervor. Der Geruch ihres Blutes hing in der Luft und Lee ahnte, dass es nicht nur von der Kopfwunde kam, die er entdecken konnte. Aber immerhin atmete sie und auch ihr Herz schlug noch, das konnte Lee hören.
„Ich weiß nicht, was sie mit ihr gemacht haben. Als sie sie herbrachten, war sie bereits in diesem Zustand“, erklärte Isaac angespannt. Auch ihm schien seine Schwester nicht egal zu sein.
„Wer hat das getan?“
„Dämonen“, gab Isaac leise zu. „Und das nur meinetwegen.“
Nun schaute Lee doch zu dem anderen Mann hinüber. Er hatte das Gesicht verzogen und die Hände zu Fäusten geballt, während auch er zu seiner Schwester hinüberstarrte, als hoffe er, dass sie aufwachen möge.
„Deinetwegen?“ Hatte er die Dämonen etwa beauftragt, Ray so zuzurichten?
„Sie sind wütend, weil ich die Geschäfte meiner Familie nicht auf ihre Weise weiterführen wollte.“, erklärte Isaac. „Ich bekam ein Angebot, die Firmen an eine andere Familie abzutreten, doch das lehnte ich ab. Und als ich dann einige Sachen ändern wollte, bekam ich die ersten Drohungen. Man teilte mir mit, dass ich mich gegen meine Art auflehnen würde.“ Isaac schüttelte langsam den Kopf. „Ich hätte auf Ray hören sollen. Doch stattdessen habe ich sie hier mit reingezogen. Und jetzt …“ Er ließ die letzten Worte unausgesprochen, doch Lee verstand ihn auch so.
Mit fest aufeinandergepressten Zähnen sah er jetzt wieder zu Ray, die sich noch immer nicht rührte. „Wie lange liegt sie schon da?“, wollte er wissen.
„Viel zu lange“, kam die Antwort von ihrem Bruder, die Lee nicht hatte hören wollen. „Sie brachten sie eine ganze Weile vor dir hier her.“
Lee schluckte. Es war zum Verrücktwerden, dass er hier sitzen und hilflos mit ansehen musste, wie sie dort lag.
Nun hatte er sie endlich gefunden und dann das!
„Die Dämonen halten dich also schon länger hier fest?“, fragte er Isaac und zwang sich, die Zeit zu nutzen, um alles in Erfahrung zu bringen, was wichtig war. Vielleicht würde er etwas herausfinden können, was ihnen später von Nutzen sein konnte.
„Ja“, bestätigte der Andere. „Als ich vor den Jägern geflohen bin, brachten mich die Männer meiner Eltern hier her und dann überwältigten sie mich.“
„Und Ray?“
„Sie wollten mich dazu zwingen, sie herzubestellen“, sagte Isaac. „Aber ich habe mich geweigert.“
Lee nickte und warf Rays Bruder einen kurzen Blick zu, der ihm sein Verständnis vermitteln sollte. Wenn er in seiner Situation gewesen wäre, hätte er Ruby auch niemals verraten.
„Aber diese Bastarde hatten Hilfe von einer Hexe“, fuhr Isaac jetzt fort und Lee konnte die Wut hören, die er dabei unterdrücken musste. „Mit einem verfluchten Zauber haben sie mir die Stimme genommen und dann hat einer von ihnen Rose angerufen. Sie glaubte natürlich, dass ich es sei, der sie um ein Treffen bat, weshalb sie sofort zustimmte und hier her kam. Direkt in ihre Falle.“ Er fluchte und Lee tat es ihm gleich.
„Du nennst sie immer Rose“, überlegte er dann, was ihm auch bei ihrer ersten Begegnung schon aufgefallen war.
Isaac machte einen Zustimmenden Laut. „Die Namen, die unsere Eltern uns gaben sind Raisa und Izaiah. Doch wir haben uns schon als Kinder immer nur Rose und Isaac genannt.“ In seiner Stimme lag etwas Warmes, als schwelge er in den Erinnerungen, doch als er weitersprach, war das schon wieder verschwunden. „Doch als wir älter wurden, wandte sich Rose immer mehr gegen die Familie. Irgendwann kehrte sie ihr ganz den Rücken und von da an, wurde aus Rose Ray.“
Lee runzelte die Stirn, während er Isaac zuhörte. Dann nickte er verstehend. „Und weißt du, was die Dämonen jetzt mit uns vorhaben?“
„Ich vermute, nichts Gutes“, meinte Isaac und da musste Lee ihm zustimmen. Diese Befürchtung hatte er leider auch.